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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr.

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Aus dem Leben Aaiser Wilhelms.

ihn später errang, erwartet, vielmehr an einen Rückzug der preußischen Armee
und an eine Verteidigungsschlacht derselben gegen die bis in die Mark vorge¬
drungenen Feinde, ja sogar an die Möglichkeit des Eindringens der Feinde in
Berlin gedacht zu haben. Als Schneider ihn fragte, ob er den Feldzug mit¬
machen dürfe und in welcher Weise dies geschehen solle, erhielt er die Antwort:
"Wozu? Sie werden doch von Potsdam nach Großbeeren hinüberreiten können."
Der König sah also damals die Österreicher aus Böhmen durch Sachsen und
die Lausitz vormarschircn und die Preußen vor ihnen bis vier Meilen vor der
Hauptstadt zurückweichen; er sah den Feldzug mit der Defensive beginnen, einer
Kampfweise, die der preußischen Armee noch niemals günstig gewesen ist. "Un¬
gefähr eine Woche vor dem Abgange des großen Hauptquartiers -- erzählt
Schneider -- bemerkte ich in der Bibliothek eine große Kiste aus starkem Holze
und nichts weniger als elegant gebaut, mit Eisenblech beschlagen und in Form
und Umfang einer Marktkiste ähnlich. Ich erkundigte mich bei dem Kammer¬
diener, was sie an dieser Stelle zu bedeuten habe, und hörte, daß der König
schon wiederholt allerlei Papiere da hinein gepackt habe. Er traf also Vor¬
sorge für den Fall, daß ihm das launenhafte Glück der Schlachten den Rücken
kehrte; denn wahrscheinlich waren seine wichtigsten Papiere in der Kiste, die bei
ihrem unscheinbaren Aussehen leicht beiseite gebracht werden konnte. Er war
aber seinem ganzen Charakter nach fern von Selbstüberhebung und Gering¬
schätzung andrer und er hatte in seiner Jugend erfahren, was es heißt, wenn
eine Königsfamilie sich zur Flucht gezwungen sieht." Bald jedoch änderte sich
diese Stimmung. Als Schneider am 14. Juni beim Könige war, äußerte
dieser, der soeben die Nachricht erhalten hatte, daß der Bundestag feindliche
Beschlüsse gegen Preußen gefaßt habe, daß die Österreicher aus Schleswig-
Holstein abgezogen und daß die Konzentration der ersten und der Elbarmee
ausgeführt worden sei: "Ich gehe einen Tag nach der Kriegserklärung ins
Hauptquartier ab. Die Herren werden sich wundern, wenn sie mich anzugreifen
denken. Wir sind fertig und sie nicht." -- "Also geht es nun nicht nach Gro߬
beeren?" -- "O nein." Als am 29. das Telegramm über den Sieg der Armee
des Kronprinzen bei Skalitz eingelaufen war und Schneider es dem Könige vor¬
gelesen hatte, war dieser hocherfreut und sagte: "Mein Sohn ist glücklicher als
ich in meinen jungen Jahren. Mir war ein solches Kommando und ein solcher
Erfolg nicht beschieden." Dann aber fügte er hinzu: "Das geht ja im An¬
fange alles zu gut; wenn es nur so weiter geht. Wir sind noch lange nicht
über den Berg." Dann folgte er auf den über die Tische des Arbeitszimmers
ausgebreiteten Karten den Bewegungen der Truppen. "Es war -- berichtet
Schneider -- wunderschönes Wetter, die Fenster standen offen, und ich sah drüben
am Denkmale Friedrichs des Großen meine Frau, welche aus Potsdam mit nach
Berlin gekommen war, um den König vor seinem Abgange zur Armee, wenigstens
aus der Ferne, noch einmal zu sehen. Ich winkte ihr, etwas mehr auf die


Aus dem Leben Aaiser Wilhelms.

ihn später errang, erwartet, vielmehr an einen Rückzug der preußischen Armee
und an eine Verteidigungsschlacht derselben gegen die bis in die Mark vorge¬
drungenen Feinde, ja sogar an die Möglichkeit des Eindringens der Feinde in
Berlin gedacht zu haben. Als Schneider ihn fragte, ob er den Feldzug mit¬
machen dürfe und in welcher Weise dies geschehen solle, erhielt er die Antwort:
„Wozu? Sie werden doch von Potsdam nach Großbeeren hinüberreiten können."
Der König sah also damals die Österreicher aus Böhmen durch Sachsen und
die Lausitz vormarschircn und die Preußen vor ihnen bis vier Meilen vor der
Hauptstadt zurückweichen; er sah den Feldzug mit der Defensive beginnen, einer
Kampfweise, die der preußischen Armee noch niemals günstig gewesen ist. „Un¬
gefähr eine Woche vor dem Abgange des großen Hauptquartiers — erzählt
Schneider — bemerkte ich in der Bibliothek eine große Kiste aus starkem Holze
und nichts weniger als elegant gebaut, mit Eisenblech beschlagen und in Form
und Umfang einer Marktkiste ähnlich. Ich erkundigte mich bei dem Kammer¬
diener, was sie an dieser Stelle zu bedeuten habe, und hörte, daß der König
schon wiederholt allerlei Papiere da hinein gepackt habe. Er traf also Vor¬
sorge für den Fall, daß ihm das launenhafte Glück der Schlachten den Rücken
kehrte; denn wahrscheinlich waren seine wichtigsten Papiere in der Kiste, die bei
ihrem unscheinbaren Aussehen leicht beiseite gebracht werden konnte. Er war
aber seinem ganzen Charakter nach fern von Selbstüberhebung und Gering¬
schätzung andrer und er hatte in seiner Jugend erfahren, was es heißt, wenn
eine Königsfamilie sich zur Flucht gezwungen sieht." Bald jedoch änderte sich
diese Stimmung. Als Schneider am 14. Juni beim Könige war, äußerte
dieser, der soeben die Nachricht erhalten hatte, daß der Bundestag feindliche
Beschlüsse gegen Preußen gefaßt habe, daß die Österreicher aus Schleswig-
Holstein abgezogen und daß die Konzentration der ersten und der Elbarmee
ausgeführt worden sei: „Ich gehe einen Tag nach der Kriegserklärung ins
Hauptquartier ab. Die Herren werden sich wundern, wenn sie mich anzugreifen
denken. Wir sind fertig und sie nicht." — „Also geht es nun nicht nach Gro߬
beeren?" — „O nein." Als am 29. das Telegramm über den Sieg der Armee
des Kronprinzen bei Skalitz eingelaufen war und Schneider es dem Könige vor¬
gelesen hatte, war dieser hocherfreut und sagte: „Mein Sohn ist glücklicher als
ich in meinen jungen Jahren. Mir war ein solches Kommando und ein solcher
Erfolg nicht beschieden." Dann aber fügte er hinzu: „Das geht ja im An¬
fange alles zu gut; wenn es nur so weiter geht. Wir sind noch lange nicht
über den Berg." Dann folgte er auf den über die Tische des Arbeitszimmers
ausgebreiteten Karten den Bewegungen der Truppen. „Es war — berichtet
Schneider — wunderschönes Wetter, die Fenster standen offen, und ich sah drüben
am Denkmale Friedrichs des Großen meine Frau, welche aus Potsdam mit nach
Berlin gekommen war, um den König vor seinem Abgange zur Armee, wenigstens
aus der Ferne, noch einmal zu sehen. Ich winkte ihr, etwas mehr auf die


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[0539] Aus dem Leben Aaiser Wilhelms. ihn später errang, erwartet, vielmehr an einen Rückzug der preußischen Armee und an eine Verteidigungsschlacht derselben gegen die bis in die Mark vorge¬ drungenen Feinde, ja sogar an die Möglichkeit des Eindringens der Feinde in Berlin gedacht zu haben. Als Schneider ihn fragte, ob er den Feldzug mit¬ machen dürfe und in welcher Weise dies geschehen solle, erhielt er die Antwort: „Wozu? Sie werden doch von Potsdam nach Großbeeren hinüberreiten können." Der König sah also damals die Österreicher aus Böhmen durch Sachsen und die Lausitz vormarschircn und die Preußen vor ihnen bis vier Meilen vor der Hauptstadt zurückweichen; er sah den Feldzug mit der Defensive beginnen, einer Kampfweise, die der preußischen Armee noch niemals günstig gewesen ist. „Un¬ gefähr eine Woche vor dem Abgange des großen Hauptquartiers — erzählt Schneider — bemerkte ich in der Bibliothek eine große Kiste aus starkem Holze und nichts weniger als elegant gebaut, mit Eisenblech beschlagen und in Form und Umfang einer Marktkiste ähnlich. Ich erkundigte mich bei dem Kammer¬ diener, was sie an dieser Stelle zu bedeuten habe, und hörte, daß der König schon wiederholt allerlei Papiere da hinein gepackt habe. Er traf also Vor¬ sorge für den Fall, daß ihm das launenhafte Glück der Schlachten den Rücken kehrte; denn wahrscheinlich waren seine wichtigsten Papiere in der Kiste, die bei ihrem unscheinbaren Aussehen leicht beiseite gebracht werden konnte. Er war aber seinem ganzen Charakter nach fern von Selbstüberhebung und Gering¬ schätzung andrer und er hatte in seiner Jugend erfahren, was es heißt, wenn eine Königsfamilie sich zur Flucht gezwungen sieht." Bald jedoch änderte sich diese Stimmung. Als Schneider am 14. Juni beim Könige war, äußerte dieser, der soeben die Nachricht erhalten hatte, daß der Bundestag feindliche Beschlüsse gegen Preußen gefaßt habe, daß die Österreicher aus Schleswig- Holstein abgezogen und daß die Konzentration der ersten und der Elbarmee ausgeführt worden sei: „Ich gehe einen Tag nach der Kriegserklärung ins Hauptquartier ab. Die Herren werden sich wundern, wenn sie mich anzugreifen denken. Wir sind fertig und sie nicht." — „Also geht es nun nicht nach Gro߬ beeren?" — „O nein." Als am 29. das Telegramm über den Sieg der Armee des Kronprinzen bei Skalitz eingelaufen war und Schneider es dem Könige vor¬ gelesen hatte, war dieser hocherfreut und sagte: „Mein Sohn ist glücklicher als ich in meinen jungen Jahren. Mir war ein solches Kommando und ein solcher Erfolg nicht beschieden." Dann aber fügte er hinzu: „Das geht ja im An¬ fange alles zu gut; wenn es nur so weiter geht. Wir sind noch lange nicht über den Berg." Dann folgte er auf den über die Tische des Arbeitszimmers ausgebreiteten Karten den Bewegungen der Truppen. „Es war — berichtet Schneider — wunderschönes Wetter, die Fenster standen offen, und ich sah drüben am Denkmale Friedrichs des Großen meine Frau, welche aus Potsdam mit nach Berlin gekommen war, um den König vor seinem Abgange zur Armee, wenigstens aus der Ferne, noch einmal zu sehen. Ich winkte ihr, etwas mehr auf die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_289122/539>, abgerufen am 22.07.2024.