Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Ricks Lyhne.

licher Eintracht ihren Arm um sie gelegt hatte, Ihnen folgte die älteste, höchst
entrüstet. Gerda blieb allein zurück und sah trotzig vor sich hin, während sie
mit dem gelben Stocke in der Last hin und her schlug. Dann währte es eine
kleine Weile, da ertönte von dem andern Ende des Gartens die heisere Sing¬
stimme der Zwölfjährigen:

Und fragst du mich, mein Schatz,
Was soll das welke Veilchen --

Ricks verstand die Neckerei wohl; er hatte neulich Gerda ein Buch ge¬
schenkt, worin ein getrocknetes Weinblatt lag, das er in dem Garten zu Verona
gepflückt hatte, wo sich Juliens Grab befindet. Er konnte sich kaum halten
vor Lachen. Dann kam die Frau mit ihrem Manne zurück, den sie endlich
gefunden hatte, und Ricks gab ihm den eine Tischlerarbeit betreffenden Auftrag,
um deswillen er gekommen war.

Von diesem Tage an achtete Ricks fleißiger auf Gerda, und mehr und mehr
ward er sich bewußt, wie gut und lieblich sie sei, und allmählich schweiften
seine Gedanken öfter zu diesem vertrauensseligen kleinen Mädchen hinüber.

Sie war auch wirklich reizend und hatte so viel von jener sanfte", rüh¬
renden Schönheit, die uns unwillkürlich die Thränen in die Augen lockt. Über
ihre ganze früh entwickelte Gestalt war noch etwas kindlich Unschuldiges ver¬
breitet. Ihre kleinen, weichgcformten Hände, die im Begriff waren, die rosen¬
rote Farbe der Übergangszeit abzulegen, waren so unschuldig und hatten so
gar nichts von der nervösen, zitternden Neugierde dieses Zeitpunktes an sich.
Sie hatte einen starken, kleinen Hals, volle, runde Wangen, eine jener niedrigen,
träumerischen Frauenstiruen, in denen große Gedanken so ungewohnt, ja fast
schmerzhaft siud, daß sich dabei die vollen Brauen unwillkürlich zusammenziehe".
Und nun gar das Auge! so dunkelblau und tief, aber nur so tief wie ein
Wasser, dessen Grund man sehen kann. Und dieses Auge lag zwischen vollen,
weichen Augenwinkeln, in denen das Lächeln wohnte und wohl geschützt unter dem
Lide wohnte, das sich verwundert hob. So sah sie aus, die kleine Gerda, weiß
und rot und blond, mit all ihrem kurzen, goldig schimmernden Haar, das im
Nacken zu einem zierlichen Knoten verschlungen war.

Sie sprachen oft mit einander, Ricks und Gerda, und er ward immer
mehr von ihr eingenommen; ruhig, fein und offen im Anfang, bis sich eines
Tages eine Veränderung in der Luft, die sie umgab, bemerkbar machte, ein
kleiner Funke von einem Gefühl, für das Sinnlichkeit ein zu starker Ausdruck
war, obgleich es doch im Grunde nichts weiter war. Es treibt die Hände, den
Mund und die Augen, nach dem zu greifen, was das Herz nicht nahe genug
ans Herz ziehen kann. Und dann eines Tages, bald darauf, ging Ricks zu
Gerdas Vater, weil Gerda so jung war und weil er sich ihrer Liebe sicher
fühlte. Und der Vater gab sein Jawort, und Gerda gab das ihre.

Im Frühjahr fand die Hochzeit statt. (Fortsetzung folgt.)




Ricks Lyhne.

licher Eintracht ihren Arm um sie gelegt hatte, Ihnen folgte die älteste, höchst
entrüstet. Gerda blieb allein zurück und sah trotzig vor sich hin, während sie
mit dem gelben Stocke in der Last hin und her schlug. Dann währte es eine
kleine Weile, da ertönte von dem andern Ende des Gartens die heisere Sing¬
stimme der Zwölfjährigen:

Und fragst du mich, mein Schatz,
Was soll das welke Veilchen —

Ricks verstand die Neckerei wohl; er hatte neulich Gerda ein Buch ge¬
schenkt, worin ein getrocknetes Weinblatt lag, das er in dem Garten zu Verona
gepflückt hatte, wo sich Juliens Grab befindet. Er konnte sich kaum halten
vor Lachen. Dann kam die Frau mit ihrem Manne zurück, den sie endlich
gefunden hatte, und Ricks gab ihm den eine Tischlerarbeit betreffenden Auftrag,
um deswillen er gekommen war.

Von diesem Tage an achtete Ricks fleißiger auf Gerda, und mehr und mehr
ward er sich bewußt, wie gut und lieblich sie sei, und allmählich schweiften
seine Gedanken öfter zu diesem vertrauensseligen kleinen Mädchen hinüber.

Sie war auch wirklich reizend und hatte so viel von jener sanfte», rüh¬
renden Schönheit, die uns unwillkürlich die Thränen in die Augen lockt. Über
ihre ganze früh entwickelte Gestalt war noch etwas kindlich Unschuldiges ver¬
breitet. Ihre kleinen, weichgcformten Hände, die im Begriff waren, die rosen¬
rote Farbe der Übergangszeit abzulegen, waren so unschuldig und hatten so
gar nichts von der nervösen, zitternden Neugierde dieses Zeitpunktes an sich.
Sie hatte einen starken, kleinen Hals, volle, runde Wangen, eine jener niedrigen,
träumerischen Frauenstiruen, in denen große Gedanken so ungewohnt, ja fast
schmerzhaft siud, daß sich dabei die vollen Brauen unwillkürlich zusammenziehe«.
Und nun gar das Auge! so dunkelblau und tief, aber nur so tief wie ein
Wasser, dessen Grund man sehen kann. Und dieses Auge lag zwischen vollen,
weichen Augenwinkeln, in denen das Lächeln wohnte und wohl geschützt unter dem
Lide wohnte, das sich verwundert hob. So sah sie aus, die kleine Gerda, weiß
und rot und blond, mit all ihrem kurzen, goldig schimmernden Haar, das im
Nacken zu einem zierlichen Knoten verschlungen war.

Sie sprachen oft mit einander, Ricks und Gerda, und er ward immer
mehr von ihr eingenommen; ruhig, fein und offen im Anfang, bis sich eines
Tages eine Veränderung in der Luft, die sie umgab, bemerkbar machte, ein
kleiner Funke von einem Gefühl, für das Sinnlichkeit ein zu starker Ausdruck
war, obgleich es doch im Grunde nichts weiter war. Es treibt die Hände, den
Mund und die Augen, nach dem zu greifen, was das Herz nicht nahe genug
ans Herz ziehen kann. Und dann eines Tages, bald darauf, ging Ricks zu
Gerdas Vater, weil Gerda so jung war und weil er sich ihrer Liebe sicher
fühlte. Und der Vater gab sein Jawort, und Gerda gab das ihre.

Im Frühjahr fand die Hochzeit statt. (Fortsetzung folgt.)




<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0530" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/289653"/>
            <fw type="header" place="top"> Ricks Lyhne.</fw><lb/>
            <p xml:id="ID_1789" prev="#ID_1788"> licher Eintracht ihren Arm um sie gelegt hatte, Ihnen folgte die älteste, höchst<lb/>
entrüstet. Gerda blieb allein zurück und sah trotzig vor sich hin, während sie<lb/>
mit dem gelben Stocke in der Last hin und her schlug. Dann währte es eine<lb/>
kleine Weile, da ertönte von dem andern Ende des Gartens die heisere Sing¬<lb/>
stimme der Zwölfjährigen:</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1790"> Und fragst du mich, mein Schatz,<lb/>
Was soll das welke Veilchen &#x2014;</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1791"> Ricks verstand die Neckerei wohl; er hatte neulich Gerda ein Buch ge¬<lb/>
schenkt, worin ein getrocknetes Weinblatt lag, das er in dem Garten zu Verona<lb/>
gepflückt hatte, wo sich Juliens Grab befindet. Er konnte sich kaum halten<lb/>
vor Lachen. Dann kam die Frau mit ihrem Manne zurück, den sie endlich<lb/>
gefunden hatte, und Ricks gab ihm den eine Tischlerarbeit betreffenden Auftrag,<lb/>
um deswillen er gekommen war.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1792"> Von diesem Tage an achtete Ricks fleißiger auf Gerda, und mehr und mehr<lb/>
ward er sich bewußt, wie gut und lieblich sie sei, und allmählich schweiften<lb/>
seine Gedanken öfter zu diesem vertrauensseligen kleinen Mädchen hinüber.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1793"> Sie war auch wirklich reizend und hatte so viel von jener sanfte», rüh¬<lb/>
renden Schönheit, die uns unwillkürlich die Thränen in die Augen lockt. Über<lb/>
ihre ganze früh entwickelte Gestalt war noch etwas kindlich Unschuldiges ver¬<lb/>
breitet. Ihre kleinen, weichgcformten Hände, die im Begriff waren, die rosen¬<lb/>
rote Farbe der Übergangszeit abzulegen, waren so unschuldig und hatten so<lb/>
gar nichts von der nervösen, zitternden Neugierde dieses Zeitpunktes an sich.<lb/>
Sie hatte einen starken, kleinen Hals, volle, runde Wangen, eine jener niedrigen,<lb/>
träumerischen Frauenstiruen, in denen große Gedanken so ungewohnt, ja fast<lb/>
schmerzhaft siud, daß sich dabei die vollen Brauen unwillkürlich zusammenziehe«.<lb/>
Und nun gar das Auge! so dunkelblau und tief, aber nur so tief wie ein<lb/>
Wasser, dessen Grund man sehen kann. Und dieses Auge lag zwischen vollen,<lb/>
weichen Augenwinkeln, in denen das Lächeln wohnte und wohl geschützt unter dem<lb/>
Lide wohnte, das sich verwundert hob. So sah sie aus, die kleine Gerda, weiß<lb/>
und rot und blond, mit all ihrem kurzen, goldig schimmernden Haar, das im<lb/>
Nacken zu einem zierlichen Knoten verschlungen war.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1794"> Sie sprachen oft mit einander, Ricks und Gerda, und er ward immer<lb/>
mehr von ihr eingenommen; ruhig, fein und offen im Anfang, bis sich eines<lb/>
Tages eine Veränderung in der Luft, die sie umgab, bemerkbar machte, ein<lb/>
kleiner Funke von einem Gefühl, für das Sinnlichkeit ein zu starker Ausdruck<lb/>
war, obgleich es doch im Grunde nichts weiter war. Es treibt die Hände, den<lb/>
Mund und die Augen, nach dem zu greifen, was das Herz nicht nahe genug<lb/>
ans Herz ziehen kann. Und dann eines Tages, bald darauf, ging Ricks zu<lb/>
Gerdas Vater, weil Gerda so jung war und weil er sich ihrer Liebe sicher<lb/>
fühlte. Und der Vater gab sein Jawort, und Gerda gab das ihre.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1795"> Im Frühjahr fand die Hochzeit statt. (Fortsetzung folgt.)</p><lb/>
            <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0530] Ricks Lyhne. licher Eintracht ihren Arm um sie gelegt hatte, Ihnen folgte die älteste, höchst entrüstet. Gerda blieb allein zurück und sah trotzig vor sich hin, während sie mit dem gelben Stocke in der Last hin und her schlug. Dann währte es eine kleine Weile, da ertönte von dem andern Ende des Gartens die heisere Sing¬ stimme der Zwölfjährigen: Und fragst du mich, mein Schatz, Was soll das welke Veilchen — Ricks verstand die Neckerei wohl; er hatte neulich Gerda ein Buch ge¬ schenkt, worin ein getrocknetes Weinblatt lag, das er in dem Garten zu Verona gepflückt hatte, wo sich Juliens Grab befindet. Er konnte sich kaum halten vor Lachen. Dann kam die Frau mit ihrem Manne zurück, den sie endlich gefunden hatte, und Ricks gab ihm den eine Tischlerarbeit betreffenden Auftrag, um deswillen er gekommen war. Von diesem Tage an achtete Ricks fleißiger auf Gerda, und mehr und mehr ward er sich bewußt, wie gut und lieblich sie sei, und allmählich schweiften seine Gedanken öfter zu diesem vertrauensseligen kleinen Mädchen hinüber. Sie war auch wirklich reizend und hatte so viel von jener sanfte», rüh¬ renden Schönheit, die uns unwillkürlich die Thränen in die Augen lockt. Über ihre ganze früh entwickelte Gestalt war noch etwas kindlich Unschuldiges ver¬ breitet. Ihre kleinen, weichgcformten Hände, die im Begriff waren, die rosen¬ rote Farbe der Übergangszeit abzulegen, waren so unschuldig und hatten so gar nichts von der nervösen, zitternden Neugierde dieses Zeitpunktes an sich. Sie hatte einen starken, kleinen Hals, volle, runde Wangen, eine jener niedrigen, träumerischen Frauenstiruen, in denen große Gedanken so ungewohnt, ja fast schmerzhaft siud, daß sich dabei die vollen Brauen unwillkürlich zusammenziehe«. Und nun gar das Auge! so dunkelblau und tief, aber nur so tief wie ein Wasser, dessen Grund man sehen kann. Und dieses Auge lag zwischen vollen, weichen Augenwinkeln, in denen das Lächeln wohnte und wohl geschützt unter dem Lide wohnte, das sich verwundert hob. So sah sie aus, die kleine Gerda, weiß und rot und blond, mit all ihrem kurzen, goldig schimmernden Haar, das im Nacken zu einem zierlichen Knoten verschlungen war. Sie sprachen oft mit einander, Ricks und Gerda, und er ward immer mehr von ihr eingenommen; ruhig, fein und offen im Anfang, bis sich eines Tages eine Veränderung in der Luft, die sie umgab, bemerkbar machte, ein kleiner Funke von einem Gefühl, für das Sinnlichkeit ein zu starker Ausdruck war, obgleich es doch im Grunde nichts weiter war. Es treibt die Hände, den Mund und die Augen, nach dem zu greifen, was das Herz nicht nahe genug ans Herz ziehen kann. Und dann eines Tages, bald darauf, ging Ricks zu Gerdas Vater, weil Gerda so jung war und weil er sich ihrer Liebe sicher fühlte. Und der Vater gab sein Jawort, und Gerda gab das ihre. Im Frühjahr fand die Hochzeit statt. (Fortsetzung folgt.)

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_289122
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_289122/530
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_289122/530>, abgerufen am 22.07.2024.