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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr.

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Ricks Lyhne.

der dänischen und der ausländischen Litteratur kam, wie überhaupt wenn Däne¬
mark mit etwas verglichen werden sollte, das nicht dänisch war; denn es war
ganz notwendig, vorsichtig zu sein, der sanfte Kanzleirat war nämlich einer von
den guten, begeisterten Patrioten, die es damals gab, Menschen, die es mit ge¬
nauer Not eingestanden, daß Dänemark nicht die bedeutendste Großmacht sei,
die sich aber auf nichts einließen, was das Land selbst oder alles sonst irgend
dazu Gehörige auf einen andern Platz als an die Spitze hätte stellen können.
Was er bei diesen Unterredungen auch sehr gern hatte, jedoch ganz unbewußt
und ohne das geringste Gewicht darauf zu legen, das war, die strahlende Be¬
wunderung zu sehen, mit der ihm die Augen der siebzehnjährigen Gerda folgten,
sobald er sprach, und sie bemühte sich, jedesmal zugegen zu sein, wenn er da
war, und nahm so lebhaft Teil an allem, daß er häufig sehen konnte, wie sie
vor Entzücken errötete, sobald er etwas gesagt hatte, das ihrer Ansicht nach
besonders schön war.

Er war nämlich ohne jegliches Dazuthun von seiner Seite das Ideal
dieser jungen Dame geworden,' im Anfang wohl hauptsächlich deshalb, weil er,
wenn er in die Stadt ritt, einen ausländischen grauen Radmantel von ziemlich
romantischem Schnitt trug. Dann kam aber dazu, daß er immer Milano sagte
und nicht Mailand, und daß er so allein in der Welt dastand und einen so
schwermütigen Ausdruck hatte. Es war so vielerlei, worin er sich von allen
andern Menschen sowohl in Varde wie in Ningkjöbing unterschied.

An einem heißen Sommertage kam Ricks durch die kleine Straße, die
hinter dem Garten des Kanzleirats lag. Die Sonne brannte auf die kleinen
ziegelsteinbraunen Häuser herab, die kleinen Kutter, die im Fluß lagen, waren
mit Matten behängt, damit das Pech nicht aus den Fugen schmelzen sollte,
und rings umher waren alle Fenster geöffnet, um die Kühlung einzulassen, die
draußen nicht vorhanden war. Vor den offnen Hausthüren saßen die Kinder
und lernten ihre Lektionen laut und summten um die Wette mit den Bienen
oben im Garten, und ein Volk Sperlinge schwirrte schweigend von Baum zu
Baum, alle auf einmal hinauf und alle auf einmal wieder herab.

Ricks trat in ein kleines Haus, das an den Garten grenzte, und wurde
von der Frau, die zum Nachbar lief, um ihren Mann zu holen, in eine kleine,
zierliche Stube geführt, in der es nach Steifzeug und Goldlack roch.

Als er mit den Bildern an der Wand, den beiden Hunden auf der Kom¬
mode und den Muscheln auf dem Deckel des Nähkastens fertig war und ans
offne Fenster trat, hörte er Gerdas Stimme dicht neben sich, und siehe, da
standen die vier Fräulein Skinnerups in geringer Entfernung von ihrem Hause,
draußen auf dem Bleichenplatz des Kauzleirats.

Die Balsaminen und die andern Blumen vor dem Fenster verbargen ihn,
und er schickte sich an, zu lauschen.

Offenbar war eine Neckerei im Gange, und die jünger" Schwestern schienen


Ricks Lyhne.

der dänischen und der ausländischen Litteratur kam, wie überhaupt wenn Däne¬
mark mit etwas verglichen werden sollte, das nicht dänisch war; denn es war
ganz notwendig, vorsichtig zu sein, der sanfte Kanzleirat war nämlich einer von
den guten, begeisterten Patrioten, die es damals gab, Menschen, die es mit ge¬
nauer Not eingestanden, daß Dänemark nicht die bedeutendste Großmacht sei,
die sich aber auf nichts einließen, was das Land selbst oder alles sonst irgend
dazu Gehörige auf einen andern Platz als an die Spitze hätte stellen können.
Was er bei diesen Unterredungen auch sehr gern hatte, jedoch ganz unbewußt
und ohne das geringste Gewicht darauf zu legen, das war, die strahlende Be¬
wunderung zu sehen, mit der ihm die Augen der siebzehnjährigen Gerda folgten,
sobald er sprach, und sie bemühte sich, jedesmal zugegen zu sein, wenn er da
war, und nahm so lebhaft Teil an allem, daß er häufig sehen konnte, wie sie
vor Entzücken errötete, sobald er etwas gesagt hatte, das ihrer Ansicht nach
besonders schön war.

Er war nämlich ohne jegliches Dazuthun von seiner Seite das Ideal
dieser jungen Dame geworden,' im Anfang wohl hauptsächlich deshalb, weil er,
wenn er in die Stadt ritt, einen ausländischen grauen Radmantel von ziemlich
romantischem Schnitt trug. Dann kam aber dazu, daß er immer Milano sagte
und nicht Mailand, und daß er so allein in der Welt dastand und einen so
schwermütigen Ausdruck hatte. Es war so vielerlei, worin er sich von allen
andern Menschen sowohl in Varde wie in Ningkjöbing unterschied.

An einem heißen Sommertage kam Ricks durch die kleine Straße, die
hinter dem Garten des Kanzleirats lag. Die Sonne brannte auf die kleinen
ziegelsteinbraunen Häuser herab, die kleinen Kutter, die im Fluß lagen, waren
mit Matten behängt, damit das Pech nicht aus den Fugen schmelzen sollte,
und rings umher waren alle Fenster geöffnet, um die Kühlung einzulassen, die
draußen nicht vorhanden war. Vor den offnen Hausthüren saßen die Kinder
und lernten ihre Lektionen laut und summten um die Wette mit den Bienen
oben im Garten, und ein Volk Sperlinge schwirrte schweigend von Baum zu
Baum, alle auf einmal hinauf und alle auf einmal wieder herab.

Ricks trat in ein kleines Haus, das an den Garten grenzte, und wurde
von der Frau, die zum Nachbar lief, um ihren Mann zu holen, in eine kleine,
zierliche Stube geführt, in der es nach Steifzeug und Goldlack roch.

Als er mit den Bildern an der Wand, den beiden Hunden auf der Kom¬
mode und den Muscheln auf dem Deckel des Nähkastens fertig war und ans
offne Fenster trat, hörte er Gerdas Stimme dicht neben sich, und siehe, da
standen die vier Fräulein Skinnerups in geringer Entfernung von ihrem Hause,
draußen auf dem Bleichenplatz des Kauzleirats.

Die Balsaminen und die andern Blumen vor dem Fenster verbargen ihn,
und er schickte sich an, zu lauschen.

Offenbar war eine Neckerei im Gange, und die jünger» Schwestern schienen


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[0528] Ricks Lyhne. der dänischen und der ausländischen Litteratur kam, wie überhaupt wenn Däne¬ mark mit etwas verglichen werden sollte, das nicht dänisch war; denn es war ganz notwendig, vorsichtig zu sein, der sanfte Kanzleirat war nämlich einer von den guten, begeisterten Patrioten, die es damals gab, Menschen, die es mit ge¬ nauer Not eingestanden, daß Dänemark nicht die bedeutendste Großmacht sei, die sich aber auf nichts einließen, was das Land selbst oder alles sonst irgend dazu Gehörige auf einen andern Platz als an die Spitze hätte stellen können. Was er bei diesen Unterredungen auch sehr gern hatte, jedoch ganz unbewußt und ohne das geringste Gewicht darauf zu legen, das war, die strahlende Be¬ wunderung zu sehen, mit der ihm die Augen der siebzehnjährigen Gerda folgten, sobald er sprach, und sie bemühte sich, jedesmal zugegen zu sein, wenn er da war, und nahm so lebhaft Teil an allem, daß er häufig sehen konnte, wie sie vor Entzücken errötete, sobald er etwas gesagt hatte, das ihrer Ansicht nach besonders schön war. Er war nämlich ohne jegliches Dazuthun von seiner Seite das Ideal dieser jungen Dame geworden,' im Anfang wohl hauptsächlich deshalb, weil er, wenn er in die Stadt ritt, einen ausländischen grauen Radmantel von ziemlich romantischem Schnitt trug. Dann kam aber dazu, daß er immer Milano sagte und nicht Mailand, und daß er so allein in der Welt dastand und einen so schwermütigen Ausdruck hatte. Es war so vielerlei, worin er sich von allen andern Menschen sowohl in Varde wie in Ningkjöbing unterschied. An einem heißen Sommertage kam Ricks durch die kleine Straße, die hinter dem Garten des Kanzleirats lag. Die Sonne brannte auf die kleinen ziegelsteinbraunen Häuser herab, die kleinen Kutter, die im Fluß lagen, waren mit Matten behängt, damit das Pech nicht aus den Fugen schmelzen sollte, und rings umher waren alle Fenster geöffnet, um die Kühlung einzulassen, die draußen nicht vorhanden war. Vor den offnen Hausthüren saßen die Kinder und lernten ihre Lektionen laut und summten um die Wette mit den Bienen oben im Garten, und ein Volk Sperlinge schwirrte schweigend von Baum zu Baum, alle auf einmal hinauf und alle auf einmal wieder herab. Ricks trat in ein kleines Haus, das an den Garten grenzte, und wurde von der Frau, die zum Nachbar lief, um ihren Mann zu holen, in eine kleine, zierliche Stube geführt, in der es nach Steifzeug und Goldlack roch. Als er mit den Bildern an der Wand, den beiden Hunden auf der Kom¬ mode und den Muscheln auf dem Deckel des Nähkastens fertig war und ans offne Fenster trat, hörte er Gerdas Stimme dicht neben sich, und siehe, da standen die vier Fräulein Skinnerups in geringer Entfernung von ihrem Hause, draußen auf dem Bleichenplatz des Kauzleirats. Die Balsaminen und die andern Blumen vor dem Fenster verbargen ihn, und er schickte sich an, zu lauschen. Offenbar war eine Neckerei im Gange, und die jünger» Schwestern schienen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_289122/528>, abgerufen am 22.07.2024.