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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr.

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Ricks Lyhne.

Wenn ihr dies freiwillige Gefängnis allzu unleidlich wurde. Jetzt, wo die Ge¬
sellschaft auseinander geflohen war, tauchte die Dame wieder auf und kam so
mit Ricks Lyhne in Berührung, denn den einzelnen Menschen gegenüber war
sie durchaus nicht scheu.

Man brauchte nicht gar lange mit ihr zusammen zu leben, um sich darüber
klar zu werden, ob sie den Betreffenden gern hatte oder nicht, denn sie gab das
deutlich genug zu verstehen. Ricks Lyhne gegenüber war ihr Benehmen sehr
ermutigend, und beide hatten nur wenige Tage allein mit einander in dem
Prächtigen Hotelgarten mit seinen Granaten und Myrten, seinen Lauben von
blühenden Oleandern und seiner herrlichen Aussicht verlebt, als sie auch schon
recht vertraut geworden waren.

Von einem Verliebtsein war nicht die Rede, oder jedenfalls war es nicht
von Belang; es war eines jener unbestimmten, angenehmen Verhältnisse, die
zwischen Männern und Frauen entstehen können, die über die erste Jugend
hinaus sind, über das Aufflackern derselben, über ihr Sehnen nach dem unbe¬
kannten Glücke. Es ist eine Art fliegender Sommer: man lustwandelt zierlich
nebeneinander, sammelt sich selber die Blümchen seines Gemütsgärtchens zu
einem Strauße, streichelt sich selber mit der Hand eines andern, bewundert sich
selber mit den Augen eines andern. Alle die schönen Geheimnisse, die man
hat, alle die niedlichen, gleichgiltigen Dinge, die man aufbewahrt hat, alle die
Nippsachen der Seele werden hervorgeholt und gehen von Hand zu Hand und
werden prüfend in einem künstlerischen Suchen nach dem besten Lichte in die
Höhe gehalten, während man vergleicht und erklärt.

Natürlich hat man nur in den guten Stunden des Lebens Ruhe zu der¬
artigen Sonntagsverhältnissen, aber hier an dem herrlichen See hatten sie ja
Zeit genug. Ricks hatte das Verhältnis eingeleitet, indem er Madame Otero
durch Worte und Mienen mit einer kleidsamen Melancholie umgab. Im An¬
fange war sie mehrmals im Begriff, sich den ganzen Staat abzureißen und als
die Barbarin, die sie war, zum Vorschein zu kommen; als sie aber einsehen
lernte, daß die Melancholie sie vornehm kleide, ging sie darauf ein wie auf eine
Rolle und beschränkte sich nicht allein darauf, das Schlagen mit den Thüren
zu unterlassen, sondern sie forschte in sich selber nach solchen Stimmungen und
Rührungen, die zu dem neuen Gewände paßten, und es war erstaunlich, wie
sie nach und nach zu der Einsicht kam, daß sie sich selber doch nur unendlich
wenig gekannt habe. Ihr Leben war ja zu bewegt, zu wechselvoll gewesen, als
daß sie früher Zeit gesunden hätte, in sich selber aufzuräumen, und eigentlich
näherte sie sich ja auch erst jetzt dem Alter, wo die Frauen, die viel erlebt und
viel von der Welt gesehen haben, damit anfangen, ihre Erinnerungen zu be¬
wahren, auf sich selber zurückzublicken und sich eine Vergangenheit zusammen¬
zustellen.

Von dieser Einleitung aus entwickelte sich das Verhältnis schnell und be-


Ricks Lyhne.

Wenn ihr dies freiwillige Gefängnis allzu unleidlich wurde. Jetzt, wo die Ge¬
sellschaft auseinander geflohen war, tauchte die Dame wieder auf und kam so
mit Ricks Lyhne in Berührung, denn den einzelnen Menschen gegenüber war
sie durchaus nicht scheu.

Man brauchte nicht gar lange mit ihr zusammen zu leben, um sich darüber
klar zu werden, ob sie den Betreffenden gern hatte oder nicht, denn sie gab das
deutlich genug zu verstehen. Ricks Lyhne gegenüber war ihr Benehmen sehr
ermutigend, und beide hatten nur wenige Tage allein mit einander in dem
Prächtigen Hotelgarten mit seinen Granaten und Myrten, seinen Lauben von
blühenden Oleandern und seiner herrlichen Aussicht verlebt, als sie auch schon
recht vertraut geworden waren.

Von einem Verliebtsein war nicht die Rede, oder jedenfalls war es nicht
von Belang; es war eines jener unbestimmten, angenehmen Verhältnisse, die
zwischen Männern und Frauen entstehen können, die über die erste Jugend
hinaus sind, über das Aufflackern derselben, über ihr Sehnen nach dem unbe¬
kannten Glücke. Es ist eine Art fliegender Sommer: man lustwandelt zierlich
nebeneinander, sammelt sich selber die Blümchen seines Gemütsgärtchens zu
einem Strauße, streichelt sich selber mit der Hand eines andern, bewundert sich
selber mit den Augen eines andern. Alle die schönen Geheimnisse, die man
hat, alle die niedlichen, gleichgiltigen Dinge, die man aufbewahrt hat, alle die
Nippsachen der Seele werden hervorgeholt und gehen von Hand zu Hand und
werden prüfend in einem künstlerischen Suchen nach dem besten Lichte in die
Höhe gehalten, während man vergleicht und erklärt.

Natürlich hat man nur in den guten Stunden des Lebens Ruhe zu der¬
artigen Sonntagsverhältnissen, aber hier an dem herrlichen See hatten sie ja
Zeit genug. Ricks hatte das Verhältnis eingeleitet, indem er Madame Otero
durch Worte und Mienen mit einer kleidsamen Melancholie umgab. Im An¬
fange war sie mehrmals im Begriff, sich den ganzen Staat abzureißen und als
die Barbarin, die sie war, zum Vorschein zu kommen; als sie aber einsehen
lernte, daß die Melancholie sie vornehm kleide, ging sie darauf ein wie auf eine
Rolle und beschränkte sich nicht allein darauf, das Schlagen mit den Thüren
zu unterlassen, sondern sie forschte in sich selber nach solchen Stimmungen und
Rührungen, die zu dem neuen Gewände paßten, und es war erstaunlich, wie
sie nach und nach zu der Einsicht kam, daß sie sich selber doch nur unendlich
wenig gekannt habe. Ihr Leben war ja zu bewegt, zu wechselvoll gewesen, als
daß sie früher Zeit gesunden hätte, in sich selber aufzuräumen, und eigentlich
näherte sie sich ja auch erst jetzt dem Alter, wo die Frauen, die viel erlebt und
viel von der Welt gesehen haben, damit anfangen, ihre Erinnerungen zu be¬
wahren, auf sich selber zurückzublicken und sich eine Vergangenheit zusammen¬
zustellen.

Von dieser Einleitung aus entwickelte sich das Verhältnis schnell und be-


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[0525] Ricks Lyhne. Wenn ihr dies freiwillige Gefängnis allzu unleidlich wurde. Jetzt, wo die Ge¬ sellschaft auseinander geflohen war, tauchte die Dame wieder auf und kam so mit Ricks Lyhne in Berührung, denn den einzelnen Menschen gegenüber war sie durchaus nicht scheu. Man brauchte nicht gar lange mit ihr zusammen zu leben, um sich darüber klar zu werden, ob sie den Betreffenden gern hatte oder nicht, denn sie gab das deutlich genug zu verstehen. Ricks Lyhne gegenüber war ihr Benehmen sehr ermutigend, und beide hatten nur wenige Tage allein mit einander in dem Prächtigen Hotelgarten mit seinen Granaten und Myrten, seinen Lauben von blühenden Oleandern und seiner herrlichen Aussicht verlebt, als sie auch schon recht vertraut geworden waren. Von einem Verliebtsein war nicht die Rede, oder jedenfalls war es nicht von Belang; es war eines jener unbestimmten, angenehmen Verhältnisse, die zwischen Männern und Frauen entstehen können, die über die erste Jugend hinaus sind, über das Aufflackern derselben, über ihr Sehnen nach dem unbe¬ kannten Glücke. Es ist eine Art fliegender Sommer: man lustwandelt zierlich nebeneinander, sammelt sich selber die Blümchen seines Gemütsgärtchens zu einem Strauße, streichelt sich selber mit der Hand eines andern, bewundert sich selber mit den Augen eines andern. Alle die schönen Geheimnisse, die man hat, alle die niedlichen, gleichgiltigen Dinge, die man aufbewahrt hat, alle die Nippsachen der Seele werden hervorgeholt und gehen von Hand zu Hand und werden prüfend in einem künstlerischen Suchen nach dem besten Lichte in die Höhe gehalten, während man vergleicht und erklärt. Natürlich hat man nur in den guten Stunden des Lebens Ruhe zu der¬ artigen Sonntagsverhältnissen, aber hier an dem herrlichen See hatten sie ja Zeit genug. Ricks hatte das Verhältnis eingeleitet, indem er Madame Otero durch Worte und Mienen mit einer kleidsamen Melancholie umgab. Im An¬ fange war sie mehrmals im Begriff, sich den ganzen Staat abzureißen und als die Barbarin, die sie war, zum Vorschein zu kommen; als sie aber einsehen lernte, daß die Melancholie sie vornehm kleide, ging sie darauf ein wie auf eine Rolle und beschränkte sich nicht allein darauf, das Schlagen mit den Thüren zu unterlassen, sondern sie forschte in sich selber nach solchen Stimmungen und Rührungen, die zu dem neuen Gewände paßten, und es war erstaunlich, wie sie nach und nach zu der Einsicht kam, daß sie sich selber doch nur unendlich wenig gekannt habe. Ihr Leben war ja zu bewegt, zu wechselvoll gewesen, als daß sie früher Zeit gesunden hätte, in sich selber aufzuräumen, und eigentlich näherte sie sich ja auch erst jetzt dem Alter, wo die Frauen, die viel erlebt und viel von der Welt gesehen haben, damit anfangen, ihre Erinnerungen zu be¬ wahren, auf sich selber zurückzublicken und sich eine Vergangenheit zusammen¬ zustellen. Von dieser Einleitung aus entwickelte sich das Verhältnis schnell und be-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_289122/525>, abgerufen am 24.08.2024.