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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr.

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Theodor Althaus.

zu verhaften, die Flucht ergreifen mußte, dann feine Übersiedelung nach Bremen,
seine großartige Wirksamkeit dort, endlich seine Ernennung zum Bischof der
Provinz Sachsen -- alles dies gestaltete sich zu einer bilderreichen Familien-
legendc, einem nie versiegenden Quell des Interesses für das heranwachsende
Geschlecht. Unter diesen Einwirkungen war es natürlich, daß Theodor Alt¬
haus den Entschluß faßte. Theologie zu studiren, daß er diesen Vorsatz, wissen¬
schaftlich glänzend und vielseitig befähigt, beharrlich durchführte, obschon bereits
während der Universitätszeit starke Zweifel an seinem besondern theologischen
Beruf in ihm aufstiegen. Seine Studentenbriefe aus Bonn, Jena, wiederum
Bonn und endlich Berlin legen ebenso Zeugnis für die Redlichkeit seines Sinnes,
die männliche Offenheit seiner Natur, die entschlossene Arbeitskraft und die er¬
folgreiche Hingebung an seine Studien, als davon ab, daß der junge Mann von
den Bewegungen und der Gührung der Zeit mehr und mehr ergriffen ward.
Er vermochte sich der Überzeugung nicht zu erwehren, daß er kein gläubiger
Kandidat mehr sei, doch konnte er sich noch eine Wirksamkeit als Prediger auf
einem abgeschiedenen Dorfe denken, "um in die Herzen zu säen, die offen sind."
Als er jedoch Ostern 1844 in das väterliche Haus nach Detmold zurückkehrte
und die Zeit des Wartens auf eine solche Stellung mit Studien und litte¬
rarischen Arbeiten nutzbar und fruchtbar zu machen begann, mußte er sich offen
bekennen, daß er weiter und weiter nach links gegangen und dem Boden des
positiven Christentums weit entrückt sei. Ein Mensch wie er, vermochte niemals
zum flachen Religionsspötter, zu einem der damals auf allen Gassen pfeifenden
äußerlichen Nachbeter Heines oder Herweghs zu werden. Er war sich bewußt,
nach der Wahrheit zu trachten, und erkannte, daß Wahrheit nur in tiefster,
selbstlosester Hingebung an ein Ideales gewonnen wird. Er schrieb mit blutender
Seele in sein Tagebuch: "Es lautet für ein junges Menschenohr vortrefflich und
richtet das Haupt empor und gießt aus der tiefsten Seele einen Strahl ins
Auge, der Vorsatz: stets nach der Wahrheit zu suchen. Aber es ist etwas
Fürchterliches um den Zwiespalt, um die Angst in schlechten Momenten für den,
der die Wahrheit, die Wahrheit verkünden soll, und etwas mehr als Geist,
allgemeinen Gehalt, Liebe u. s. w. vorbringen muß. Wie unendlich glücklich
steht einem solchen, wenn er noch sucht, noch die feste Form und den harten
Kern nicht konsolidirt hat, der Mann des entschiednen Prinzips gegenüber, der
Mann des Glaubens, der nicht mehr zweifelt, sondern ein Ja und Amen ist!"
Da er dieser Mann nicht war, that er entschieden auf die Kanzel Verzicht und
widmete sich ausschließlich der Litteratur. Wenn zwei dasselbe thun, ist es
bekanntlich nicht dasselbe. Die Art, wie Theodor Althaus die gefährliche Lauf¬
bahn des Berufsschriftstellers betrat, entsprach dem innern Gehalt seines Wesens
und sicherte den auf seine Feder angewiesenen davor, ein Lohnknecht litterarischer
Industrie zu werden. Als sein Entschluß feststand, ging er Mitte 1847
nach Leipzig. Es war die Zeit, wo Leipzig vorübergehend ein Mittelpunkt der


Theodor Althaus.

zu verhaften, die Flucht ergreifen mußte, dann feine Übersiedelung nach Bremen,
seine großartige Wirksamkeit dort, endlich seine Ernennung zum Bischof der
Provinz Sachsen — alles dies gestaltete sich zu einer bilderreichen Familien-
legendc, einem nie versiegenden Quell des Interesses für das heranwachsende
Geschlecht. Unter diesen Einwirkungen war es natürlich, daß Theodor Alt¬
haus den Entschluß faßte. Theologie zu studiren, daß er diesen Vorsatz, wissen¬
schaftlich glänzend und vielseitig befähigt, beharrlich durchführte, obschon bereits
während der Universitätszeit starke Zweifel an seinem besondern theologischen
Beruf in ihm aufstiegen. Seine Studentenbriefe aus Bonn, Jena, wiederum
Bonn und endlich Berlin legen ebenso Zeugnis für die Redlichkeit seines Sinnes,
die männliche Offenheit seiner Natur, die entschlossene Arbeitskraft und die er¬
folgreiche Hingebung an seine Studien, als davon ab, daß der junge Mann von
den Bewegungen und der Gührung der Zeit mehr und mehr ergriffen ward.
Er vermochte sich der Überzeugung nicht zu erwehren, daß er kein gläubiger
Kandidat mehr sei, doch konnte er sich noch eine Wirksamkeit als Prediger auf
einem abgeschiedenen Dorfe denken, „um in die Herzen zu säen, die offen sind."
Als er jedoch Ostern 1844 in das väterliche Haus nach Detmold zurückkehrte
und die Zeit des Wartens auf eine solche Stellung mit Studien und litte¬
rarischen Arbeiten nutzbar und fruchtbar zu machen begann, mußte er sich offen
bekennen, daß er weiter und weiter nach links gegangen und dem Boden des
positiven Christentums weit entrückt sei. Ein Mensch wie er, vermochte niemals
zum flachen Religionsspötter, zu einem der damals auf allen Gassen pfeifenden
äußerlichen Nachbeter Heines oder Herweghs zu werden. Er war sich bewußt,
nach der Wahrheit zu trachten, und erkannte, daß Wahrheit nur in tiefster,
selbstlosester Hingebung an ein Ideales gewonnen wird. Er schrieb mit blutender
Seele in sein Tagebuch: „Es lautet für ein junges Menschenohr vortrefflich und
richtet das Haupt empor und gießt aus der tiefsten Seele einen Strahl ins
Auge, der Vorsatz: stets nach der Wahrheit zu suchen. Aber es ist etwas
Fürchterliches um den Zwiespalt, um die Angst in schlechten Momenten für den,
der die Wahrheit, die Wahrheit verkünden soll, und etwas mehr als Geist,
allgemeinen Gehalt, Liebe u. s. w. vorbringen muß. Wie unendlich glücklich
steht einem solchen, wenn er noch sucht, noch die feste Form und den harten
Kern nicht konsolidirt hat, der Mann des entschiednen Prinzips gegenüber, der
Mann des Glaubens, der nicht mehr zweifelt, sondern ein Ja und Amen ist!"
Da er dieser Mann nicht war, that er entschieden auf die Kanzel Verzicht und
widmete sich ausschließlich der Litteratur. Wenn zwei dasselbe thun, ist es
bekanntlich nicht dasselbe. Die Art, wie Theodor Althaus die gefährliche Lauf¬
bahn des Berufsschriftstellers betrat, entsprach dem innern Gehalt seines Wesens
und sicherte den auf seine Feder angewiesenen davor, ein Lohnknecht litterarischer
Industrie zu werden. Als sein Entschluß feststand, ging er Mitte 1847
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_289122/519>, abgerufen am 24.08.2024.