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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr.

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Theodor Althnus,

Wesen, wenn der jugendliche Mann nicht aus dem Gefängnis eine Schädigung
seiner durch Arbeit und leidenschaftliche Anspannung schon zuvor geschwächten
Gesundheit davongetragen hätte, die nicht ganz zwei Jahre später seinen
Tod herbeiführte. Den Entschluß, die Althaus nach seiner Freilassung für sich
gefaßt hatte: in ernster wissenschaftlicher Thätigkeit das nächste Jahrzehnt zu
verbringen, würde er durchgeführt haben, und nur der Zweifel könnte uns be-
schleichen, ob man ihm irgendwo unter den unglücklichen Umständen der Zeit
die Ruhe zu solcher Thätigkeit gegönnt haben würde. Denn zum Fluch so
leidenschaftlicher Kämpfe, wie der damaligen, gehört es ja auch, daß die siegende
Partei -- zunächst wenigstens -- die Unterscheidung bei ihren Gegnern ver¬
lernt und blindlings dreinfcihrt.

Aus dem besten Kern des deutschen Wesens und der deutschen Bildung
war der jugendliche Schriftsteller erwachsen, dessen kurze Entfaltung und Wirk¬
samkeit uns der überlebende Bruder schildert. Wer die Schicksale von Theodor
Althaus und die wenigen Bücher desselben von obenher und obenhin betrachtet,
mag leicht aburteilen: ein Tendenzdichter und Tendenzlitterat der vierziger Jahre.
Seine Gedichte, seine "Märchen aus der Gegenwart," sein Buch "Aus dem
Gefängnis" passen unter den Begriff der damaligen Tendenzschriftstellerei. Und
doch lebte und lebt ein Etwas in ihnen, ist ein Zug in diesen Schicksalen,, ein
geistiger Hauch in diesen Büchern, der sie von dem erwähnten Gesamtbegriff
scheidet. Das Rätsel erklärt sich, sowie wir Althaus durch seine Knaben- und
Studentenjahre begleiten. Geboren zu Detmold im Oktober 1322, war er
der erste Sohn des Predigers und nachmaligen Generalsuperintendenten des
Fürstentums Lippe Georg Friedrich Althaus aus dessen Ehe mit Julie Drösele,
der Tochter des gefeierten protestantischen Kanzelredners, des Hauptpastors an
Se. Ansgarii in Bremen und spätern Bischofs der Provinz Sachsen. Er besaß
ein Elternhaus, in dem es weder an der äußern Enge, um idyllischem Be¬
hagen, noch an weitem Wcllhorizont fehlte, er empfing früh unvergeßliche Ein¬
drücke der Liebe, der Tüchtigkeit, der reinsten Bildung. Beide Eltern waren
tief religiöse Naturen, der Vater mit frei aufgeschlossenem Sinn, die Mutter
mit gläubig hingebender Wärme des Gefühls. Jeder Tag hatte seine Morgcn-
nndacht. Festtage in stiller Sammlung waren besonders die Sonnabende und
Sonntage, wenn der Vater mit der Vorbereitung zur Predigt beschäftigt war
und die Mutter sorgte, daß so viel als möglich jeder störende Lärm in und
außer dem Hause vermieden wurde. Ebenso war sie stets liebevoll bemüht, das
Bild ihres eignen verehrten und geliebten Vaters bei ihren Kindern lebendig
zu halten. Ihre Erzählungen von dem Leben des Großvaters Drciseke, be¬
sonders aus den frühern Zeiten, als er in Mölln und Ratzeburg Prediger
war, aus den Zeiten nach der Schlacht bei Jena, als sein Haus geplündert
wurde und er selbst von einer Abteilung Franzosen, die von Hamburg abge¬
schickt war, um den kühnen Prediger gegen die Unterdrücker des Vaterlandes


Theodor Althnus,

Wesen, wenn der jugendliche Mann nicht aus dem Gefängnis eine Schädigung
seiner durch Arbeit und leidenschaftliche Anspannung schon zuvor geschwächten
Gesundheit davongetragen hätte, die nicht ganz zwei Jahre später seinen
Tod herbeiführte. Den Entschluß, die Althaus nach seiner Freilassung für sich
gefaßt hatte: in ernster wissenschaftlicher Thätigkeit das nächste Jahrzehnt zu
verbringen, würde er durchgeführt haben, und nur der Zweifel könnte uns be-
schleichen, ob man ihm irgendwo unter den unglücklichen Umständen der Zeit
die Ruhe zu solcher Thätigkeit gegönnt haben würde. Denn zum Fluch so
leidenschaftlicher Kämpfe, wie der damaligen, gehört es ja auch, daß die siegende
Partei — zunächst wenigstens — die Unterscheidung bei ihren Gegnern ver¬
lernt und blindlings dreinfcihrt.

Aus dem besten Kern des deutschen Wesens und der deutschen Bildung
war der jugendliche Schriftsteller erwachsen, dessen kurze Entfaltung und Wirk¬
samkeit uns der überlebende Bruder schildert. Wer die Schicksale von Theodor
Althaus und die wenigen Bücher desselben von obenher und obenhin betrachtet,
mag leicht aburteilen: ein Tendenzdichter und Tendenzlitterat der vierziger Jahre.
Seine Gedichte, seine „Märchen aus der Gegenwart," sein Buch „Aus dem
Gefängnis" passen unter den Begriff der damaligen Tendenzschriftstellerei. Und
doch lebte und lebt ein Etwas in ihnen, ist ein Zug in diesen Schicksalen,, ein
geistiger Hauch in diesen Büchern, der sie von dem erwähnten Gesamtbegriff
scheidet. Das Rätsel erklärt sich, sowie wir Althaus durch seine Knaben- und
Studentenjahre begleiten. Geboren zu Detmold im Oktober 1322, war er
der erste Sohn des Predigers und nachmaligen Generalsuperintendenten des
Fürstentums Lippe Georg Friedrich Althaus aus dessen Ehe mit Julie Drösele,
der Tochter des gefeierten protestantischen Kanzelredners, des Hauptpastors an
Se. Ansgarii in Bremen und spätern Bischofs der Provinz Sachsen. Er besaß
ein Elternhaus, in dem es weder an der äußern Enge, um idyllischem Be¬
hagen, noch an weitem Wcllhorizont fehlte, er empfing früh unvergeßliche Ein¬
drücke der Liebe, der Tüchtigkeit, der reinsten Bildung. Beide Eltern waren
tief religiöse Naturen, der Vater mit frei aufgeschlossenem Sinn, die Mutter
mit gläubig hingebender Wärme des Gefühls. Jeder Tag hatte seine Morgcn-
nndacht. Festtage in stiller Sammlung waren besonders die Sonnabende und
Sonntage, wenn der Vater mit der Vorbereitung zur Predigt beschäftigt war
und die Mutter sorgte, daß so viel als möglich jeder störende Lärm in und
außer dem Hause vermieden wurde. Ebenso war sie stets liebevoll bemüht, das
Bild ihres eignen verehrten und geliebten Vaters bei ihren Kindern lebendig
zu halten. Ihre Erzählungen von dem Leben des Großvaters Drciseke, be¬
sonders aus den frühern Zeiten, als er in Mölln und Ratzeburg Prediger
war, aus den Zeiten nach der Schlacht bei Jena, als sein Haus geplündert
wurde und er selbst von einer Abteilung Franzosen, die von Hamburg abge¬
schickt war, um den kühnen Prediger gegen die Unterdrücker des Vaterlandes


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[0518] Theodor Althnus, Wesen, wenn der jugendliche Mann nicht aus dem Gefängnis eine Schädigung seiner durch Arbeit und leidenschaftliche Anspannung schon zuvor geschwächten Gesundheit davongetragen hätte, die nicht ganz zwei Jahre später seinen Tod herbeiführte. Den Entschluß, die Althaus nach seiner Freilassung für sich gefaßt hatte: in ernster wissenschaftlicher Thätigkeit das nächste Jahrzehnt zu verbringen, würde er durchgeführt haben, und nur der Zweifel könnte uns be- schleichen, ob man ihm irgendwo unter den unglücklichen Umständen der Zeit die Ruhe zu solcher Thätigkeit gegönnt haben würde. Denn zum Fluch so leidenschaftlicher Kämpfe, wie der damaligen, gehört es ja auch, daß die siegende Partei — zunächst wenigstens — die Unterscheidung bei ihren Gegnern ver¬ lernt und blindlings dreinfcihrt. Aus dem besten Kern des deutschen Wesens und der deutschen Bildung war der jugendliche Schriftsteller erwachsen, dessen kurze Entfaltung und Wirk¬ samkeit uns der überlebende Bruder schildert. Wer die Schicksale von Theodor Althaus und die wenigen Bücher desselben von obenher und obenhin betrachtet, mag leicht aburteilen: ein Tendenzdichter und Tendenzlitterat der vierziger Jahre. Seine Gedichte, seine „Märchen aus der Gegenwart," sein Buch „Aus dem Gefängnis" passen unter den Begriff der damaligen Tendenzschriftstellerei. Und doch lebte und lebt ein Etwas in ihnen, ist ein Zug in diesen Schicksalen,, ein geistiger Hauch in diesen Büchern, der sie von dem erwähnten Gesamtbegriff scheidet. Das Rätsel erklärt sich, sowie wir Althaus durch seine Knaben- und Studentenjahre begleiten. Geboren zu Detmold im Oktober 1322, war er der erste Sohn des Predigers und nachmaligen Generalsuperintendenten des Fürstentums Lippe Georg Friedrich Althaus aus dessen Ehe mit Julie Drösele, der Tochter des gefeierten protestantischen Kanzelredners, des Hauptpastors an Se. Ansgarii in Bremen und spätern Bischofs der Provinz Sachsen. Er besaß ein Elternhaus, in dem es weder an der äußern Enge, um idyllischem Be¬ hagen, noch an weitem Wcllhorizont fehlte, er empfing früh unvergeßliche Ein¬ drücke der Liebe, der Tüchtigkeit, der reinsten Bildung. Beide Eltern waren tief religiöse Naturen, der Vater mit frei aufgeschlossenem Sinn, die Mutter mit gläubig hingebender Wärme des Gefühls. Jeder Tag hatte seine Morgcn- nndacht. Festtage in stiller Sammlung waren besonders die Sonnabende und Sonntage, wenn der Vater mit der Vorbereitung zur Predigt beschäftigt war und die Mutter sorgte, daß so viel als möglich jeder störende Lärm in und außer dem Hause vermieden wurde. Ebenso war sie stets liebevoll bemüht, das Bild ihres eignen verehrten und geliebten Vaters bei ihren Kindern lebendig zu halten. Ihre Erzählungen von dem Leben des Großvaters Drciseke, be¬ sonders aus den frühern Zeiten, als er in Mölln und Ratzeburg Prediger war, aus den Zeiten nach der Schlacht bei Jena, als sein Haus geplündert wurde und er selbst von einer Abteilung Franzosen, die von Hamburg abge¬ schickt war, um den kühnen Prediger gegen die Unterdrücker des Vaterlandes

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_289122/518>, abgerufen am 24.08.2024.