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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr.

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Die Entfernungen in der Geschichte.

mächtigen suchte. Man kann vom Atlantischen Ozean in die Nordsee durch
den Ärmelkanal und auch um Schottland bei Kap Race herumkommen, jenes
ist der kürzere, daher durch mehrere Seefcstungen der stärksten Art, besonders
Brest und Cherbourg, Portsmouth und Plymouth geschützte, beziehentlich be¬
drohte Weg. Schon das Altertum hat sich Mühe gegeben, Umwege zu kürzen;
die alten Ägypter sind aus dem Mittelmeer ins Rote Meer gefahren, und die
Griechen erwogen den Plan der Durchstechung des Isthmus von Korinth. Die
ganze weltgeschichtliche Bedeutung der Kürzung der Entfernungen prägt sich aus
in der dauernden Bedeutung, die solchen Arbeiten beigemessen, in den Opfern,
die ihrer Ausführung gebracht wurden. Der Suezkanal hat das Gewicht der
europäischen Interessen in Asien vervielfacht, indem er die entlegensten Teile
der alten Welt um das Doppelte einander näher brachte. Der Panamakanal
wird noch viel wichtiger werden, er wird den Unterschied zwischen alter und
neuer Welt mindern, indem er der Weltgeschichte, die, seitdem sie das Mittel¬
meer verlassen hat, hauptsächlich atlantisch geworden war, den pazifischen Schau¬
platz erschließt und allen Ländern und Inseln auf der östlichen Seite der Halb¬
kugel einen erhöhten wirtschaftlichen, politischen und damit, wie sicher zu hoffen
ist, auch Kulturwert verleiht.

Die Fähigkeit der Bewältigung von Entfernungen gehört also zu den
Mitteln, durch welche die Völker sich Reichtum und politischen Einfluß sichern
und zugleich die geistigen Besitztümer der ganzen Menschheit vermehren. Es
ist daher für die Charakteristik der Völker und Zeitalter die Bestimmung des
Maßes dieser Fähigkeit von der größten Bedeutung. Überblicken wir die
Geschichte ihrer Entwicklung, so treten die großen Völker und die großen Epochen
deutlicher vor uns hin, und wir glauben dem Strome der Zeit bis auf den
Grund zu schauen, dessen Abschnitte den ewig gleichen Lauf der aufeinander¬
folgenden Geschlechter unterbrechen und teilen. Homer bezeugt es, daß die
Phöniker von Kreta nach der ägyptischen Küste in fünf Tagen fuhren. Der
Weg ist rund achtzig Meilen lang. Aber Tenophon berichtet uns von einem
phönikischen Piraten, der im fünften Jahrhundert die fast hundert Meilen lange
Strecke Rhodus-Tyrus in drei Tagen und Nächten zurücklegte. Von griechischen
Fahrten erfahren wir in der Odyssee, daß der Weg von Lesbos nach Argos
in drei Tagen zurückgelegt wurde, was täglich zwanzig Meilen oder etwas
darüber macht. In der Zeit der Blüte der athenischen Schisffcchrt wurde"
siebenundzwanzig bis achtundzwanzig Meilen in Tag und Nacht, am Tage allein
fünfzehn Meilen zurückgelegt. Xenophon führt als Beispiel großer Fahr¬
geschwindigkeit die Reise eines milesischen Schiffes an, das den zweiundsicbzig
bis fttnfundsiebzig Meilen langen Weg von Lampsakus nach der Küste von
Sparta in drei Tagen durchfuhr. Von der Puniern haben wir anzunehmen,
daß sie an der atlantischen Küste der Pyrenäenhalbinsel die zweiundfünfzig Meilen
nach dem Kap Vincent in drei, die dreißig Meilen von da nach der Tajo-


Die Entfernungen in der Geschichte.

mächtigen suchte. Man kann vom Atlantischen Ozean in die Nordsee durch
den Ärmelkanal und auch um Schottland bei Kap Race herumkommen, jenes
ist der kürzere, daher durch mehrere Seefcstungen der stärksten Art, besonders
Brest und Cherbourg, Portsmouth und Plymouth geschützte, beziehentlich be¬
drohte Weg. Schon das Altertum hat sich Mühe gegeben, Umwege zu kürzen;
die alten Ägypter sind aus dem Mittelmeer ins Rote Meer gefahren, und die
Griechen erwogen den Plan der Durchstechung des Isthmus von Korinth. Die
ganze weltgeschichtliche Bedeutung der Kürzung der Entfernungen prägt sich aus
in der dauernden Bedeutung, die solchen Arbeiten beigemessen, in den Opfern,
die ihrer Ausführung gebracht wurden. Der Suezkanal hat das Gewicht der
europäischen Interessen in Asien vervielfacht, indem er die entlegensten Teile
der alten Welt um das Doppelte einander näher brachte. Der Panamakanal
wird noch viel wichtiger werden, er wird den Unterschied zwischen alter und
neuer Welt mindern, indem er der Weltgeschichte, die, seitdem sie das Mittel¬
meer verlassen hat, hauptsächlich atlantisch geworden war, den pazifischen Schau¬
platz erschließt und allen Ländern und Inseln auf der östlichen Seite der Halb¬
kugel einen erhöhten wirtschaftlichen, politischen und damit, wie sicher zu hoffen
ist, auch Kulturwert verleiht.

Die Fähigkeit der Bewältigung von Entfernungen gehört also zu den
Mitteln, durch welche die Völker sich Reichtum und politischen Einfluß sichern
und zugleich die geistigen Besitztümer der ganzen Menschheit vermehren. Es
ist daher für die Charakteristik der Völker und Zeitalter die Bestimmung des
Maßes dieser Fähigkeit von der größten Bedeutung. Überblicken wir die
Geschichte ihrer Entwicklung, so treten die großen Völker und die großen Epochen
deutlicher vor uns hin, und wir glauben dem Strome der Zeit bis auf den
Grund zu schauen, dessen Abschnitte den ewig gleichen Lauf der aufeinander¬
folgenden Geschlechter unterbrechen und teilen. Homer bezeugt es, daß die
Phöniker von Kreta nach der ägyptischen Küste in fünf Tagen fuhren. Der
Weg ist rund achtzig Meilen lang. Aber Tenophon berichtet uns von einem
phönikischen Piraten, der im fünften Jahrhundert die fast hundert Meilen lange
Strecke Rhodus-Tyrus in drei Tagen und Nächten zurücklegte. Von griechischen
Fahrten erfahren wir in der Odyssee, daß der Weg von Lesbos nach Argos
in drei Tagen zurückgelegt wurde, was täglich zwanzig Meilen oder etwas
darüber macht. In der Zeit der Blüte der athenischen Schisffcchrt wurde»
siebenundzwanzig bis achtundzwanzig Meilen in Tag und Nacht, am Tage allein
fünfzehn Meilen zurückgelegt. Xenophon führt als Beispiel großer Fahr¬
geschwindigkeit die Reise eines milesischen Schiffes an, das den zweiundsicbzig
bis fttnfundsiebzig Meilen langen Weg von Lampsakus nach der Küste von
Sparta in drei Tagen durchfuhr. Von der Puniern haben wir anzunehmen,
daß sie an der atlantischen Küste der Pyrenäenhalbinsel die zweiundfünfzig Meilen
nach dem Kap Vincent in drei, die dreißig Meilen von da nach der Tajo-


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[0504] Die Entfernungen in der Geschichte. mächtigen suchte. Man kann vom Atlantischen Ozean in die Nordsee durch den Ärmelkanal und auch um Schottland bei Kap Race herumkommen, jenes ist der kürzere, daher durch mehrere Seefcstungen der stärksten Art, besonders Brest und Cherbourg, Portsmouth und Plymouth geschützte, beziehentlich be¬ drohte Weg. Schon das Altertum hat sich Mühe gegeben, Umwege zu kürzen; die alten Ägypter sind aus dem Mittelmeer ins Rote Meer gefahren, und die Griechen erwogen den Plan der Durchstechung des Isthmus von Korinth. Die ganze weltgeschichtliche Bedeutung der Kürzung der Entfernungen prägt sich aus in der dauernden Bedeutung, die solchen Arbeiten beigemessen, in den Opfern, die ihrer Ausführung gebracht wurden. Der Suezkanal hat das Gewicht der europäischen Interessen in Asien vervielfacht, indem er die entlegensten Teile der alten Welt um das Doppelte einander näher brachte. Der Panamakanal wird noch viel wichtiger werden, er wird den Unterschied zwischen alter und neuer Welt mindern, indem er der Weltgeschichte, die, seitdem sie das Mittel¬ meer verlassen hat, hauptsächlich atlantisch geworden war, den pazifischen Schau¬ platz erschließt und allen Ländern und Inseln auf der östlichen Seite der Halb¬ kugel einen erhöhten wirtschaftlichen, politischen und damit, wie sicher zu hoffen ist, auch Kulturwert verleiht. Die Fähigkeit der Bewältigung von Entfernungen gehört also zu den Mitteln, durch welche die Völker sich Reichtum und politischen Einfluß sichern und zugleich die geistigen Besitztümer der ganzen Menschheit vermehren. Es ist daher für die Charakteristik der Völker und Zeitalter die Bestimmung des Maßes dieser Fähigkeit von der größten Bedeutung. Überblicken wir die Geschichte ihrer Entwicklung, so treten die großen Völker und die großen Epochen deutlicher vor uns hin, und wir glauben dem Strome der Zeit bis auf den Grund zu schauen, dessen Abschnitte den ewig gleichen Lauf der aufeinander¬ folgenden Geschlechter unterbrechen und teilen. Homer bezeugt es, daß die Phöniker von Kreta nach der ägyptischen Küste in fünf Tagen fuhren. Der Weg ist rund achtzig Meilen lang. Aber Tenophon berichtet uns von einem phönikischen Piraten, der im fünften Jahrhundert die fast hundert Meilen lange Strecke Rhodus-Tyrus in drei Tagen und Nächten zurücklegte. Von griechischen Fahrten erfahren wir in der Odyssee, daß der Weg von Lesbos nach Argos in drei Tagen zurückgelegt wurde, was täglich zwanzig Meilen oder etwas darüber macht. In der Zeit der Blüte der athenischen Schisffcchrt wurde» siebenundzwanzig bis achtundzwanzig Meilen in Tag und Nacht, am Tage allein fünfzehn Meilen zurückgelegt. Xenophon führt als Beispiel großer Fahr¬ geschwindigkeit die Reise eines milesischen Schiffes an, das den zweiundsicbzig bis fttnfundsiebzig Meilen langen Weg von Lampsakus nach der Küste von Sparta in drei Tagen durchfuhr. Von der Puniern haben wir anzunehmen, daß sie an der atlantischen Küste der Pyrenäenhalbinsel die zweiundfünfzig Meilen nach dem Kap Vincent in drei, die dreißig Meilen von da nach der Tajo-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_289122/504>, abgerufen am 02.10.2024.