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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr.

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Die Gntfermmzon in der Geschichte.

seits mit einem Fünfzigste! der uns bekannten Erdoberfläche reichlich bemessen
sein dürfte. Ptolemäus ging darüber hinaus, indem er, wenn auch nicht immer
sicher, den Teil der Erde überblickte, der zwischen den Glücklichen Inseln und
der Küste des Seidenlandes (Südchinas) gelegen ist. Wenn er den Kreis seines
geographischen Wissens bis an die Grenze des Vermuteten oder Geahnten aus¬
dehnte, schloß dieser die Hälfte der Erde in sich. Was Vasco de Gama, Ko¬
lumbus, Mcigalhaens und ihre Nachfolger für die Hinausrückung der Grenzen
des geographischen Gesichtskreises gethan haben, hält man mit vollem Rechte
für wichtig genug, um den Höhepunkt dieser die Welt erweiternden Entdeckungs¬
epoche gleichzeitig einen Scheidepunkt der geschichtlichen Zeitalter bilden zu
lassen. Viel Großes drängte sich auf der Grenze mittlerer und neuerer Zeit
zusammen, es hat besonders die Erfindung der Buchdruckerkunst allen geistigen
Regungen und Äußerungen der Menschen eine ganz andre Energie, Wirksam¬
keit und Dauerhaftigkeit verliehen; aber die Entdeckung Amerikas hat den Boden
der Geschichte erweitert, neue Völker auf den Schauplatz geführt, neue politische
Mächte geschaffen und einen großen Teil der Menschheit ein neues geschicht¬
liches Leben von den Anfängen an beginnen lassen. Man scheint darüber einig
zu sein, daß die damit gegebene Schaffung einer zweiten Welt, die gegenüber
der ersten oder alten im politischen Sinne wie im Sinne der Kultur neu ist, die
wichtigste der Errungenschaften jener an großen Menschen und Dingen reichen Zeit
sei. Geistige Schöpfungen können verblassen, ja absterben, jene große Erfindung
kann durch eine größere übertroffen werden, aber das neuentdeckte Land und
Meer können die Menschen nicht verlieren, es müßte denn von einer Erdum¬
wälzung verschlungen werden.

Und wenn wir fragen, wodurch die Geschichte der letzten beiden Menschen¬
alter einen von allem Vorherigen so durchaus abweichenden Charakter erhalten
habe, so ist es doch wohl im tiefsten Grunde wieder der räumliche Unterschied;
denn so weit die Geschichte zurückreicht, hat sie niemals, so wie heute, die ganze
Erde, soweit diese bewohnbar ist, zum Boden gehabt. Vor dem, was wir heute
Weltmacht nennen, sinkt Rom in den Staub, und die weitesten Wege des Alter¬
tums schrumpfen in der Länge mit denen der Gegenwart verglichen ebenso zu¬
sammen, wie der Betrag der einst zu ihrer Zurücklegung erforderlichen Zeit
uns, an dem Maßstabe des jetzt geforderten gemessen, fast unerschwinglich er¬
scheinen will. Wohl verwirklicht sich dadurch in immer mehr Geistern, was
schon Kolumbus ahnungsvoll ausgesprochen hat, daß die Erde eigentlich sehr
klein sei, aber diesem Gedanken verneinender Haltung gegenüber steht die für
den Gang der Geschichte in den nächsten Jahrzehnten hauptsächlich bestimmende
Thatsache, daß der für die Menschheit auf der Erde verfügbare Raum immer
näher an die alten Mittelpunkte der Kultur, an die Trennpunkte des geschicht¬
lichen Lebens herangezogen wird, daß seine Bewohner denen Europas immer
verwandter werden, daß die geschichtliche Bewegung, an Länderräumen und Volks-


Die Gntfermmzon in der Geschichte.

seits mit einem Fünfzigste! der uns bekannten Erdoberfläche reichlich bemessen
sein dürfte. Ptolemäus ging darüber hinaus, indem er, wenn auch nicht immer
sicher, den Teil der Erde überblickte, der zwischen den Glücklichen Inseln und
der Küste des Seidenlandes (Südchinas) gelegen ist. Wenn er den Kreis seines
geographischen Wissens bis an die Grenze des Vermuteten oder Geahnten aus¬
dehnte, schloß dieser die Hälfte der Erde in sich. Was Vasco de Gama, Ko¬
lumbus, Mcigalhaens und ihre Nachfolger für die Hinausrückung der Grenzen
des geographischen Gesichtskreises gethan haben, hält man mit vollem Rechte
für wichtig genug, um den Höhepunkt dieser die Welt erweiternden Entdeckungs¬
epoche gleichzeitig einen Scheidepunkt der geschichtlichen Zeitalter bilden zu
lassen. Viel Großes drängte sich auf der Grenze mittlerer und neuerer Zeit
zusammen, es hat besonders die Erfindung der Buchdruckerkunst allen geistigen
Regungen und Äußerungen der Menschen eine ganz andre Energie, Wirksam¬
keit und Dauerhaftigkeit verliehen; aber die Entdeckung Amerikas hat den Boden
der Geschichte erweitert, neue Völker auf den Schauplatz geführt, neue politische
Mächte geschaffen und einen großen Teil der Menschheit ein neues geschicht¬
liches Leben von den Anfängen an beginnen lassen. Man scheint darüber einig
zu sein, daß die damit gegebene Schaffung einer zweiten Welt, die gegenüber
der ersten oder alten im politischen Sinne wie im Sinne der Kultur neu ist, die
wichtigste der Errungenschaften jener an großen Menschen und Dingen reichen Zeit
sei. Geistige Schöpfungen können verblassen, ja absterben, jene große Erfindung
kann durch eine größere übertroffen werden, aber das neuentdeckte Land und
Meer können die Menschen nicht verlieren, es müßte denn von einer Erdum¬
wälzung verschlungen werden.

Und wenn wir fragen, wodurch die Geschichte der letzten beiden Menschen¬
alter einen von allem Vorherigen so durchaus abweichenden Charakter erhalten
habe, so ist es doch wohl im tiefsten Grunde wieder der räumliche Unterschied;
denn so weit die Geschichte zurückreicht, hat sie niemals, so wie heute, die ganze
Erde, soweit diese bewohnbar ist, zum Boden gehabt. Vor dem, was wir heute
Weltmacht nennen, sinkt Rom in den Staub, und die weitesten Wege des Alter¬
tums schrumpfen in der Länge mit denen der Gegenwart verglichen ebenso zu¬
sammen, wie der Betrag der einst zu ihrer Zurücklegung erforderlichen Zeit
uns, an dem Maßstabe des jetzt geforderten gemessen, fast unerschwinglich er¬
scheinen will. Wohl verwirklicht sich dadurch in immer mehr Geistern, was
schon Kolumbus ahnungsvoll ausgesprochen hat, daß die Erde eigentlich sehr
klein sei, aber diesem Gedanken verneinender Haltung gegenüber steht die für
den Gang der Geschichte in den nächsten Jahrzehnten hauptsächlich bestimmende
Thatsache, daß der für die Menschheit auf der Erde verfügbare Raum immer
näher an die alten Mittelpunkte der Kultur, an die Trennpunkte des geschicht¬
lichen Lebens herangezogen wird, daß seine Bewohner denen Europas immer
verwandter werden, daß die geschichtliche Bewegung, an Länderräumen und Volks-


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[0502] Die Gntfermmzon in der Geschichte. seits mit einem Fünfzigste! der uns bekannten Erdoberfläche reichlich bemessen sein dürfte. Ptolemäus ging darüber hinaus, indem er, wenn auch nicht immer sicher, den Teil der Erde überblickte, der zwischen den Glücklichen Inseln und der Küste des Seidenlandes (Südchinas) gelegen ist. Wenn er den Kreis seines geographischen Wissens bis an die Grenze des Vermuteten oder Geahnten aus¬ dehnte, schloß dieser die Hälfte der Erde in sich. Was Vasco de Gama, Ko¬ lumbus, Mcigalhaens und ihre Nachfolger für die Hinausrückung der Grenzen des geographischen Gesichtskreises gethan haben, hält man mit vollem Rechte für wichtig genug, um den Höhepunkt dieser die Welt erweiternden Entdeckungs¬ epoche gleichzeitig einen Scheidepunkt der geschichtlichen Zeitalter bilden zu lassen. Viel Großes drängte sich auf der Grenze mittlerer und neuerer Zeit zusammen, es hat besonders die Erfindung der Buchdruckerkunst allen geistigen Regungen und Äußerungen der Menschen eine ganz andre Energie, Wirksam¬ keit und Dauerhaftigkeit verliehen; aber die Entdeckung Amerikas hat den Boden der Geschichte erweitert, neue Völker auf den Schauplatz geführt, neue politische Mächte geschaffen und einen großen Teil der Menschheit ein neues geschicht¬ liches Leben von den Anfängen an beginnen lassen. Man scheint darüber einig zu sein, daß die damit gegebene Schaffung einer zweiten Welt, die gegenüber der ersten oder alten im politischen Sinne wie im Sinne der Kultur neu ist, die wichtigste der Errungenschaften jener an großen Menschen und Dingen reichen Zeit sei. Geistige Schöpfungen können verblassen, ja absterben, jene große Erfindung kann durch eine größere übertroffen werden, aber das neuentdeckte Land und Meer können die Menschen nicht verlieren, es müßte denn von einer Erdum¬ wälzung verschlungen werden. Und wenn wir fragen, wodurch die Geschichte der letzten beiden Menschen¬ alter einen von allem Vorherigen so durchaus abweichenden Charakter erhalten habe, so ist es doch wohl im tiefsten Grunde wieder der räumliche Unterschied; denn so weit die Geschichte zurückreicht, hat sie niemals, so wie heute, die ganze Erde, soweit diese bewohnbar ist, zum Boden gehabt. Vor dem, was wir heute Weltmacht nennen, sinkt Rom in den Staub, und die weitesten Wege des Alter¬ tums schrumpfen in der Länge mit denen der Gegenwart verglichen ebenso zu¬ sammen, wie der Betrag der einst zu ihrer Zurücklegung erforderlichen Zeit uns, an dem Maßstabe des jetzt geforderten gemessen, fast unerschwinglich er¬ scheinen will. Wohl verwirklicht sich dadurch in immer mehr Geistern, was schon Kolumbus ahnungsvoll ausgesprochen hat, daß die Erde eigentlich sehr klein sei, aber diesem Gedanken verneinender Haltung gegenüber steht die für den Gang der Geschichte in den nächsten Jahrzehnten hauptsächlich bestimmende Thatsache, daß der für die Menschheit auf der Erde verfügbare Raum immer näher an die alten Mittelpunkte der Kultur, an die Trennpunkte des geschicht¬ lichen Lebens herangezogen wird, daß seine Bewohner denen Europas immer verwandter werden, daß die geschichtliche Bewegung, an Länderräumen und Volks-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_289122/502>, abgerufen am 22.07.2024.