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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr.

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Aus dem Leben Kaiser Wilhelms.

Programms, das er bei der Übernahme der Regentschaft und Berufung des
Ministeriums Hohenzollern-Auerswald-Schwerin verkündigte. In konstitutio¬
nellen Staaten pflegt ein neu eintretendes Kabinet dem Monarchen ein Pro¬
gramm vorzulegen und von dessen Gutheißung seine Übernahme der Geschäfte
abhängig zu machen. Die damals zu Minister" gewählten Herren mögen daher
nicht wenig erstaunt gewesen sein, als König Wilhelm am Tage nach ihrer Er¬
nennung sie zusammenrief und ihnen das Programm vorlas, nach welchem er
regieren wollte. Er hatte es ganz allein, ohne allen Beirat und ohne jemandes
Zustimmung niedergeschrieben, unterwarf auch jetzt die darin ausgesprochenen
Grundsätze keiner Erörterung und ließ es sogar ohne die Vermittelung der
neuen Minister veröffentlichen. In einem Ministerrate, der um dieselbe Zeit
abgehalten wurde, sagte der König: "Meine Herren, ich mache es Ihnen zur
heiligen Pflicht, in jedem Falle, wo es sich um meine Unterschrift unter ein
Todesurteil handelt, mich auch auf den kleinsten Umstand hinzuweisen, durch
den die Hinrichtung vermieden und eine Milderung der Strafe herbeigeführt
werden kann. Nur Sie, Herr Justizminister ^damals Simons^ entbinde ich
davon, da Ihr Amt Ihnen nicht gestattet, etwas andres als den Lauf der
Gerechtigkeit zu befürworten." Und so wurde es denn auch später gehalten.
Der König las nicht bloß in jedem Falle die umfangreichen Untersuchungsakten
und die Gründe für das Urteil gewissenhaft durch, sondern ließ sich auch darüber
erst durch den Kabinetsrat, dann im Plenum des Ministerrates ausführlich Vor¬
trag erstatten, und selbst dann unterschrieb er nicht sofort, sondern legte sich das
Urteil beiseite, um irgeud ein frohes Ereignis abzuwarten, das ihm Gelegenheit
bieten konnte, Gnade zu üben. Bei solchen Ereignissen kamen dann die Todes¬
urteile oft in großer Anzahl an das Justizministerium in lebenslängliche Zucht¬
hausstrafe verwandelt zurück. Am 1. Oktober 1861 war ein Tischler in Trebbin
wegen Mordes zum Tode verurteilt worden, und der Justizminister hatte am
13. Januar darauf beim König beantragt, "der Gerechtigkeit freien Lauf zu lassen."
Die darin liegende königliche Bestätigung war aber bis zum 19. August nicht zu
erlangen und erfolgte erst, als sich beim Vortrage der Sache im Ministerrate
keine einzige Stimme zu Gunsten des Mörders erhob. Die Hinrichtung des¬
selben wurde daun auf den 9. September anberaumt; da aber an demselben
Tage der Prinz Heinrich getauft werden sollte, so nahm der Justizminister daraus
Anlaß, dem Könige nach Baden zu melden, die Exekution sei, um die Festfreude
in der königlichen Familie nicht zu stören, auf den 16. verlegt worden. Darauf
antwortete der Monarch mit folgender Randbemerkung zu dem Berichte: "Liegen
denn gar keine Milderungsgründe vor, die zur Begnadigung auf lebenslängliches
Zuchthaus führten? Wenn es übrigens irgend möglich ist, so wäre ein andrer Tag
als der 16. zu bestimmen, da ich niemals den Tag einer Exekution kennen will."

Ganz außerordentlich war noch im hohen Alter die Rüstigkeit und dieser
entsprechend die körperliche und geistige Unermüdlichkeit des Königs bei den


Aus dem Leben Kaiser Wilhelms.

Programms, das er bei der Übernahme der Regentschaft und Berufung des
Ministeriums Hohenzollern-Auerswald-Schwerin verkündigte. In konstitutio¬
nellen Staaten pflegt ein neu eintretendes Kabinet dem Monarchen ein Pro¬
gramm vorzulegen und von dessen Gutheißung seine Übernahme der Geschäfte
abhängig zu machen. Die damals zu Minister» gewählten Herren mögen daher
nicht wenig erstaunt gewesen sein, als König Wilhelm am Tage nach ihrer Er¬
nennung sie zusammenrief und ihnen das Programm vorlas, nach welchem er
regieren wollte. Er hatte es ganz allein, ohne allen Beirat und ohne jemandes
Zustimmung niedergeschrieben, unterwarf auch jetzt die darin ausgesprochenen
Grundsätze keiner Erörterung und ließ es sogar ohne die Vermittelung der
neuen Minister veröffentlichen. In einem Ministerrate, der um dieselbe Zeit
abgehalten wurde, sagte der König: „Meine Herren, ich mache es Ihnen zur
heiligen Pflicht, in jedem Falle, wo es sich um meine Unterschrift unter ein
Todesurteil handelt, mich auch auf den kleinsten Umstand hinzuweisen, durch
den die Hinrichtung vermieden und eine Milderung der Strafe herbeigeführt
werden kann. Nur Sie, Herr Justizminister ^damals Simons^ entbinde ich
davon, da Ihr Amt Ihnen nicht gestattet, etwas andres als den Lauf der
Gerechtigkeit zu befürworten." Und so wurde es denn auch später gehalten.
Der König las nicht bloß in jedem Falle die umfangreichen Untersuchungsakten
und die Gründe für das Urteil gewissenhaft durch, sondern ließ sich auch darüber
erst durch den Kabinetsrat, dann im Plenum des Ministerrates ausführlich Vor¬
trag erstatten, und selbst dann unterschrieb er nicht sofort, sondern legte sich das
Urteil beiseite, um irgeud ein frohes Ereignis abzuwarten, das ihm Gelegenheit
bieten konnte, Gnade zu üben. Bei solchen Ereignissen kamen dann die Todes¬
urteile oft in großer Anzahl an das Justizministerium in lebenslängliche Zucht¬
hausstrafe verwandelt zurück. Am 1. Oktober 1861 war ein Tischler in Trebbin
wegen Mordes zum Tode verurteilt worden, und der Justizminister hatte am
13. Januar darauf beim König beantragt, „der Gerechtigkeit freien Lauf zu lassen."
Die darin liegende königliche Bestätigung war aber bis zum 19. August nicht zu
erlangen und erfolgte erst, als sich beim Vortrage der Sache im Ministerrate
keine einzige Stimme zu Gunsten des Mörders erhob. Die Hinrichtung des¬
selben wurde daun auf den 9. September anberaumt; da aber an demselben
Tage der Prinz Heinrich getauft werden sollte, so nahm der Justizminister daraus
Anlaß, dem Könige nach Baden zu melden, die Exekution sei, um die Festfreude
in der königlichen Familie nicht zu stören, auf den 16. verlegt worden. Darauf
antwortete der Monarch mit folgender Randbemerkung zu dem Berichte: „Liegen
denn gar keine Milderungsgründe vor, die zur Begnadigung auf lebenslängliches
Zuchthaus führten? Wenn es übrigens irgend möglich ist, so wäre ein andrer Tag
als der 16. zu bestimmen, da ich niemals den Tag einer Exekution kennen will."

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_289122/495>, abgerufen am 01.10.2024.