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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr.

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Ricks Lyhne.

Das war nun auch einer seiner großsprecherischer Gedanken, daß sein be¬
sudeltes Leben die Sonne der Idee beflecken könne! Großer Gott, er mußte
nun einmal alles so hochtrabend auffassen, das lag ihm so im Blute; konnte
er nichts Besseres werden, so wollte er doch wenigstens ein Judas sein und sich
in seiner großartigen Gemeinheit Jschariot nennen. Das klang doch nach etwas.
Mußte er denn stets einhergehen und sich geberden, als sei er der verantwort¬
liche Minister der Idee und Mitglied ihres geheimen Staatsrates, der alles,
was die Menschheit anlangte, aus erster Hand hätte! Sollte er es denn niemals
lernen, in aller Einfachheit darnach zu streben, als gemeiner Soldat der Idee
seine untergeordnete Pflicht zu thun?

Draußen auf dem Eise brannten bengalische Flammen, und er kam so
nahe daran vorüber, daß einen Augenblick lang ein riesengroßer Schatten unter
seinen Füßen hervorschoß, sich nach rückwärts zu bewegte und verschwand.

Er dachte an Erik, und welch ein Freund er ihm gewesen sei. O Erik!
Kindheitserinnerungen rangen die Hände über ihn, Jugendträume verhüllten
ihre Häupter und weinten über ihn, die ganze Vergangenheit starrte ihm mit
einem einzigen langen, vorwurfsvollen Blicke nach. Er hatte das alles treulos
im Stich gelassen um einer Liebe willen, die so klein, so niedrig war wie er
selber. Und doch, es war Hoheit in der Liebe gewesen; und auch dieser war
er untreu geworden. Wohin sollte er fliehen vor diesen Anläufen, die doch
stets im Graben endeten? Sein ganzes Leben war nichts weiter gewesen, und
auch in Zukunft würde es damit nicht anders werden, er wußte das, er fühlte
es so sicher, und er verging schier bei dem Gedanken an alle diese vergebliche
Mühe, er wünschte von ganzem Herzen, daß er entfliehen und sich von diesem
zwecklosen Dasein befreien könne. Wenn nur das Eis unter ihm brechen
wollte, während er so darüber hinglitt, und alles in einem Zucken, einem Ringen
nach Luft dort unten in dem kalten Wasser abgethan sein könnte!

Ermattet vom schnellen Laufe hielt er inne und blickte zurück. Der Mond war
verschwunden, und die Eisfläche hob sich dunkel und langgestreckt von den weißen
Höhen des Ufers ab. Dann wendete er um und kämpfte gegen den Wind an.
Dieser war inzwischen sehr stark geworden, und Ricks war müde. Er bemühte
sich, in den Schutz der hohen Küste zu gelangen, aber während er sich so
vorwärts kämpfte, kam er auf eine Windwake, die durch den von den Höhen
kommenden Zug gebildet war, und das dünne Eis gab mit einem zähen, tril¬
lernden Knacken unter ihm nach.

Wie war es ihm aber trotzdem leicht ums Herz, als er wieder auf sicheres
Eis gekommen war! Die Müdigkeit hatte sich durch die Angst fast völlig ver¬
loren, und er flog mit neuer Kraft dahin.

Während er so da draußen kämpfte, saß Fennimore enttäuscht und vergrämt
in dem erleuchteten Zimmer. Sie fühlte sich um ihre Rache betrogen, sie
wußte nicht, was sie erwartet hatte, aber es war doch etwas ganz andres


Ricks Lyhne.

Das war nun auch einer seiner großsprecherischer Gedanken, daß sein be¬
sudeltes Leben die Sonne der Idee beflecken könne! Großer Gott, er mußte
nun einmal alles so hochtrabend auffassen, das lag ihm so im Blute; konnte
er nichts Besseres werden, so wollte er doch wenigstens ein Judas sein und sich
in seiner großartigen Gemeinheit Jschariot nennen. Das klang doch nach etwas.
Mußte er denn stets einhergehen und sich geberden, als sei er der verantwort¬
liche Minister der Idee und Mitglied ihres geheimen Staatsrates, der alles,
was die Menschheit anlangte, aus erster Hand hätte! Sollte er es denn niemals
lernen, in aller Einfachheit darnach zu streben, als gemeiner Soldat der Idee
seine untergeordnete Pflicht zu thun?

Draußen auf dem Eise brannten bengalische Flammen, und er kam so
nahe daran vorüber, daß einen Augenblick lang ein riesengroßer Schatten unter
seinen Füßen hervorschoß, sich nach rückwärts zu bewegte und verschwand.

Er dachte an Erik, und welch ein Freund er ihm gewesen sei. O Erik!
Kindheitserinnerungen rangen die Hände über ihn, Jugendträume verhüllten
ihre Häupter und weinten über ihn, die ganze Vergangenheit starrte ihm mit
einem einzigen langen, vorwurfsvollen Blicke nach. Er hatte das alles treulos
im Stich gelassen um einer Liebe willen, die so klein, so niedrig war wie er
selber. Und doch, es war Hoheit in der Liebe gewesen; und auch dieser war
er untreu geworden. Wohin sollte er fliehen vor diesen Anläufen, die doch
stets im Graben endeten? Sein ganzes Leben war nichts weiter gewesen, und
auch in Zukunft würde es damit nicht anders werden, er wußte das, er fühlte
es so sicher, und er verging schier bei dem Gedanken an alle diese vergebliche
Mühe, er wünschte von ganzem Herzen, daß er entfliehen und sich von diesem
zwecklosen Dasein befreien könne. Wenn nur das Eis unter ihm brechen
wollte, während er so darüber hinglitt, und alles in einem Zucken, einem Ringen
nach Luft dort unten in dem kalten Wasser abgethan sein könnte!

Ermattet vom schnellen Laufe hielt er inne und blickte zurück. Der Mond war
verschwunden, und die Eisfläche hob sich dunkel und langgestreckt von den weißen
Höhen des Ufers ab. Dann wendete er um und kämpfte gegen den Wind an.
Dieser war inzwischen sehr stark geworden, und Ricks war müde. Er bemühte
sich, in den Schutz der hohen Küste zu gelangen, aber während er sich so
vorwärts kämpfte, kam er auf eine Windwake, die durch den von den Höhen
kommenden Zug gebildet war, und das dünne Eis gab mit einem zähen, tril¬
lernden Knacken unter ihm nach.

Wie war es ihm aber trotzdem leicht ums Herz, als er wieder auf sicheres
Eis gekommen war! Die Müdigkeit hatte sich durch die Angst fast völlig ver¬
loren, und er flog mit neuer Kraft dahin.

Während er so da draußen kämpfte, saß Fennimore enttäuscht und vergrämt
in dem erleuchteten Zimmer. Sie fühlte sich um ihre Rache betrogen, sie
wußte nicht, was sie erwartet hatte, aber es war doch etwas ganz andres


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[0484] Ricks Lyhne. Das war nun auch einer seiner großsprecherischer Gedanken, daß sein be¬ sudeltes Leben die Sonne der Idee beflecken könne! Großer Gott, er mußte nun einmal alles so hochtrabend auffassen, das lag ihm so im Blute; konnte er nichts Besseres werden, so wollte er doch wenigstens ein Judas sein und sich in seiner großartigen Gemeinheit Jschariot nennen. Das klang doch nach etwas. Mußte er denn stets einhergehen und sich geberden, als sei er der verantwort¬ liche Minister der Idee und Mitglied ihres geheimen Staatsrates, der alles, was die Menschheit anlangte, aus erster Hand hätte! Sollte er es denn niemals lernen, in aller Einfachheit darnach zu streben, als gemeiner Soldat der Idee seine untergeordnete Pflicht zu thun? Draußen auf dem Eise brannten bengalische Flammen, und er kam so nahe daran vorüber, daß einen Augenblick lang ein riesengroßer Schatten unter seinen Füßen hervorschoß, sich nach rückwärts zu bewegte und verschwand. Er dachte an Erik, und welch ein Freund er ihm gewesen sei. O Erik! Kindheitserinnerungen rangen die Hände über ihn, Jugendträume verhüllten ihre Häupter und weinten über ihn, die ganze Vergangenheit starrte ihm mit einem einzigen langen, vorwurfsvollen Blicke nach. Er hatte das alles treulos im Stich gelassen um einer Liebe willen, die so klein, so niedrig war wie er selber. Und doch, es war Hoheit in der Liebe gewesen; und auch dieser war er untreu geworden. Wohin sollte er fliehen vor diesen Anläufen, die doch stets im Graben endeten? Sein ganzes Leben war nichts weiter gewesen, und auch in Zukunft würde es damit nicht anders werden, er wußte das, er fühlte es so sicher, und er verging schier bei dem Gedanken an alle diese vergebliche Mühe, er wünschte von ganzem Herzen, daß er entfliehen und sich von diesem zwecklosen Dasein befreien könne. Wenn nur das Eis unter ihm brechen wollte, während er so darüber hinglitt, und alles in einem Zucken, einem Ringen nach Luft dort unten in dem kalten Wasser abgethan sein könnte! Ermattet vom schnellen Laufe hielt er inne und blickte zurück. Der Mond war verschwunden, und die Eisfläche hob sich dunkel und langgestreckt von den weißen Höhen des Ufers ab. Dann wendete er um und kämpfte gegen den Wind an. Dieser war inzwischen sehr stark geworden, und Ricks war müde. Er bemühte sich, in den Schutz der hohen Küste zu gelangen, aber während er sich so vorwärts kämpfte, kam er auf eine Windwake, die durch den von den Höhen kommenden Zug gebildet war, und das dünne Eis gab mit einem zähen, tril¬ lernden Knacken unter ihm nach. Wie war es ihm aber trotzdem leicht ums Herz, als er wieder auf sicheres Eis gekommen war! Die Müdigkeit hatte sich durch die Angst fast völlig ver¬ loren, und er flog mit neuer Kraft dahin. Während er so da draußen kämpfte, saß Fennimore enttäuscht und vergrämt in dem erleuchteten Zimmer. Sie fühlte sich um ihre Rache betrogen, sie wußte nicht, was sie erwartet hatte, aber es war doch etwas ganz andres

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_289122/484>, abgerufen am 24.08.2024.