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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr.

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Zur politischen Tage.

Zum Schlüsse noch ein Wort über unsre gegenwärtige Stellung zu Rußland,
das mit dem Gesagten zusammenhängt. Diese Stellung könnte besser sein, und
es sind Anfänge dazu vorhanden, denen wir aus hundert Gründen von Herzen
guten Fortgang wünschen, und die, wie wir fest überzeugt sind, von der deutschen
Politik auf jede nur mögliche Weise gefördert werden. Aber die Möglichkeit
hat ihre Grenze, die hier nicht bloß durch das Interesse gezogen wird. Noch
immer üben auf die russische Politik unberechenbare Gefühle Einfluß, noch immer
regieren in hohen Sphären abwechselnd zwei Seelen. Politiker, die an einen
vollständigen Umschwung in dem bisherigen Verhältnisse Rußlands zu Deutsch¬
land, der infolge des Besuches unsers Kaisers beim Zaren eingetreten sein sollte,
nicht glauben konnten, hegten wenigstens die Hoffnung, daß die Zusammenkunft
einige Ergebnisse auf dem Gebiete der Wirtschaftspolitik erzielt haben könnte.
Aber auch diese bescheidne Erwartung scheint sich als Täuschung herauszustellen.
Nicht einmal geringe Transporterleichterungen, geschweige denn einen Handels¬
vertrag scheint man uns russischerseits zugestehen zu wollen. Das Organ unsers
Reichskanzlers erklärt gegenüber der "Moskaner Zeitung," die sich gegen einen
Handelsvertrag mit dem deutschen Reiche mit Eifer verwahrte, ein solcher sei
unserseits nicht angeregt worden und werde auch nicht angeregt werden; denn
die wirtschaftliche Freiheit, welche Rußland nach der Meinung des Moskaner
Blattes gegen deutsche Angriffe verteidigen müsse, sei für die deutsche Wirt¬
schaftspolitik gerade den Russen gegenüber ein Erfordernis von höchster Wichtig¬
keit. Man erinnert sich bei dieser Erklärung an früher erfolgte Andeutungen,
nach welchen der wirtschaftliche Krieg, den Rußland gegen uns führt, durch
Auflegung von Differentialzöllen auf russisches Getreide, den Hauptausfuhr-
artikcl des Zarenreiches, erwiedert werden sollte, eine Maßregel, die, wenn ein
Handelsvertrag bestünde, unmöglich sein würde, und obwohl die Drohung nicht
ausgeführt worden ist und die Ausführung Wohl noch geraume Zeit auf sich
warten lassen dürfte, liegt es doch auf der Hand, daß der deutschen Regierung
schon die bloße Möglichkeit eines gelegentlichen Gebrauches dieser Waffe von
hohem Werte sein muß. Es ist also nichts mit den optimistischen Erwartungen
einer Verständigung zwischen Deutschland und Rußland auf dem Gebiete der
Wirtschaftspolitik, und auch aus den angekündigten Zollerleichterungen wird
selbst in demi bescheidenen Umfange, von dem zuletzt die Rede war, kaum
etwas werden. Übrigens, wenn die Russen nicht nachgeben, so folgen wir ihren:
Beispiele in andrer Beziehung. Bald nach der Zusammenkunft der beiden
Kaiser wurde angekündigt, die Reichsbank werde den russischen Fonds wieder
die Beleihungsfähigkeit zusprechen. Seit vielen Wochen aber hat man vergebens
die Erfüllung dieser Meldung erwartet, und jetzt kann mitgeteilt werden, daß
an maßgebender Stelle niemals auch nur entfernt an diese Maßregel gedacht
worden ist.




Zur politischen Tage.

Zum Schlüsse noch ein Wort über unsre gegenwärtige Stellung zu Rußland,
das mit dem Gesagten zusammenhängt. Diese Stellung könnte besser sein, und
es sind Anfänge dazu vorhanden, denen wir aus hundert Gründen von Herzen
guten Fortgang wünschen, und die, wie wir fest überzeugt sind, von der deutschen
Politik auf jede nur mögliche Weise gefördert werden. Aber die Möglichkeit
hat ihre Grenze, die hier nicht bloß durch das Interesse gezogen wird. Noch
immer üben auf die russische Politik unberechenbare Gefühle Einfluß, noch immer
regieren in hohen Sphären abwechselnd zwei Seelen. Politiker, die an einen
vollständigen Umschwung in dem bisherigen Verhältnisse Rußlands zu Deutsch¬
land, der infolge des Besuches unsers Kaisers beim Zaren eingetreten sein sollte,
nicht glauben konnten, hegten wenigstens die Hoffnung, daß die Zusammenkunft
einige Ergebnisse auf dem Gebiete der Wirtschaftspolitik erzielt haben könnte.
Aber auch diese bescheidne Erwartung scheint sich als Täuschung herauszustellen.
Nicht einmal geringe Transporterleichterungen, geschweige denn einen Handels¬
vertrag scheint man uns russischerseits zugestehen zu wollen. Das Organ unsers
Reichskanzlers erklärt gegenüber der „Moskaner Zeitung," die sich gegen einen
Handelsvertrag mit dem deutschen Reiche mit Eifer verwahrte, ein solcher sei
unserseits nicht angeregt worden und werde auch nicht angeregt werden; denn
die wirtschaftliche Freiheit, welche Rußland nach der Meinung des Moskaner
Blattes gegen deutsche Angriffe verteidigen müsse, sei für die deutsche Wirt¬
schaftspolitik gerade den Russen gegenüber ein Erfordernis von höchster Wichtig¬
keit. Man erinnert sich bei dieser Erklärung an früher erfolgte Andeutungen,
nach welchen der wirtschaftliche Krieg, den Rußland gegen uns führt, durch
Auflegung von Differentialzöllen auf russisches Getreide, den Hauptausfuhr-
artikcl des Zarenreiches, erwiedert werden sollte, eine Maßregel, die, wenn ein
Handelsvertrag bestünde, unmöglich sein würde, und obwohl die Drohung nicht
ausgeführt worden ist und die Ausführung Wohl noch geraume Zeit auf sich
warten lassen dürfte, liegt es doch auf der Hand, daß der deutschen Regierung
schon die bloße Möglichkeit eines gelegentlichen Gebrauches dieser Waffe von
hohem Werte sein muß. Es ist also nichts mit den optimistischen Erwartungen
einer Verständigung zwischen Deutschland und Rußland auf dem Gebiete der
Wirtschaftspolitik, und auch aus den angekündigten Zollerleichterungen wird
selbst in demi bescheidenen Umfange, von dem zuletzt die Rede war, kaum
etwas werden. Übrigens, wenn die Russen nicht nachgeben, so folgen wir ihren:
Beispiele in andrer Beziehung. Bald nach der Zusammenkunft der beiden
Kaiser wurde angekündigt, die Reichsbank werde den russischen Fonds wieder
die Beleihungsfähigkeit zusprechen. Seit vielen Wochen aber hat man vergebens
die Erfüllung dieser Meldung erwartet, und jetzt kann mitgeteilt werden, daß
an maßgebender Stelle niemals auch nur entfernt an diese Maßregel gedacht
worden ist.




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_289122/480>, abgerufen am 24.08.2024.