Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Zur politischen Lage.

waigen Krieges im Verein mit Frankreich einen möglichst großen Teil von
Schleswig wieder abzunehmen. Das ist ohne Zweifel richtig, nur bleibt abzu¬
warten, ob die Absicht zu einem Versuche, sie auszuführen, werden und ob in
solchem Falle der Versuch gelingen wird. Es wäre das eine bloße Machtfrage.
Die Rechtsfrage ist schon lange aus der Welt geschafft, auch hatte der Artikel 5
niemals ganz die Bedeutung, welche ihm von den Gegnern Preußens und
Deutschlands beigelegt wurde. Er lautete: "Seine Majestät der Kaiser von
Österreich überträgt auf Seine Majestät den König von Preußen alle seine im
Wiener Frieden vom 30. Oktober 1864 erworbenen Rechte auf die Herzogtümer
Holstein und Schleswig mit der Maßgabe, daß die Bevölkerungen der nörd¬
lichen Distrikte von Schleswig, wenn sie durch freie Abstimmung den Wunsch
zu erkennen geben, mit Dänemark vereinigt zu werden, an Dänemark abgetreten
werden sollen." Das ist alles. Wann die Abstimmung stattfinden, wann ihr
die Abtretung folgen sollte, welche nördlichen Distrikte, ob die bis zur Gjenner-
bucht oder die bis an die Flensburger Föhrde oder die bis zur Schlei und
zum Dannewerke, war nicht gesagt, man konnte bloß an einen schmalen Land¬
streifen längs der jütischen Grenze, man konnte auch an Einschluß Angelus,
Nordfrieslauds und der Inseln Alsen und Föhr denken. Ferner hatte Däne¬
mark mit dem Prager Frieden nichts zu schaffen, er wurde nicht mit ihm,
sondern einzig und allein zwischen Preußen und Österreich abgeschlossen, und
nur diese Mächte erwarben durch ihn Rechte und Ansprüche. Nicht gegen
Dänemark oder eine andre am böhmischen Kriege unbeteiligt gewesene Macht,
sondern nur gegen Österreich verpflichtete sich Preußen in örtlich und zeitlich
so wenig bestimmter Weise Vorkommendenfalls zur Abtretung eines Teiles von
Schleswig an den König von Dänemark. Außer Österreich, das als früherer
Mitbesitzer des im deutsch-dänischen Kriege durch Eroberung erworbenen Schleswig-
Holstein wenigstens einigen Anlaß hatte, in der deutsch-dänischen Nationalitäts¬
frage gehört zu werden, hatte kein andrer Staat die völkerrechtliche Befugnis,
auf die Ausführung des Artikels 5 des Prager Friedens zu dringen. Österreich
bediente sich derselben niemals, ja es schloß am 11. Oktober 1378 mit Preußen
einen Vertrag ab, worin es ausdrücklich auf sein Recht verzichtete und ein¬
willigte, daß Artikel 5 des Prager Friedens "außer Giltigkeit gesetzt" werde.

Niemand also ist gegenwärtig befugt, vom deutschen Reiche die Ausfüh¬
rung des Artikels 5, den der Uorck ausgegraben und künstlich wieder zu be¬
leben versucht hat, zu verlangen, auch Dänemark nicht, und noch viel weniger
die russische Diplomatie. Daß wir aber nicht von freien Stücken an einen
solchen reaktionären Akt in unsrer auswärtigen Politik denken, und daß wir
uns von keiner Macht der Welt mit den Waffen dazu oder zu einem andern
Opfer an unsern notwendig gewesenen und gerecht erworbenen heutigen Grenzländern
zwingen lassen werden, daß wir dieselben vielmehr mit Einsetzung aller Kräfte
der Nation verteidigen werden, hat Kaiser Wilhelm als der berufene Wortführer


Zur politischen Lage.

waigen Krieges im Verein mit Frankreich einen möglichst großen Teil von
Schleswig wieder abzunehmen. Das ist ohne Zweifel richtig, nur bleibt abzu¬
warten, ob die Absicht zu einem Versuche, sie auszuführen, werden und ob in
solchem Falle der Versuch gelingen wird. Es wäre das eine bloße Machtfrage.
Die Rechtsfrage ist schon lange aus der Welt geschafft, auch hatte der Artikel 5
niemals ganz die Bedeutung, welche ihm von den Gegnern Preußens und
Deutschlands beigelegt wurde. Er lautete: „Seine Majestät der Kaiser von
Österreich überträgt auf Seine Majestät den König von Preußen alle seine im
Wiener Frieden vom 30. Oktober 1864 erworbenen Rechte auf die Herzogtümer
Holstein und Schleswig mit der Maßgabe, daß die Bevölkerungen der nörd¬
lichen Distrikte von Schleswig, wenn sie durch freie Abstimmung den Wunsch
zu erkennen geben, mit Dänemark vereinigt zu werden, an Dänemark abgetreten
werden sollen." Das ist alles. Wann die Abstimmung stattfinden, wann ihr
die Abtretung folgen sollte, welche nördlichen Distrikte, ob die bis zur Gjenner-
bucht oder die bis an die Flensburger Föhrde oder die bis zur Schlei und
zum Dannewerke, war nicht gesagt, man konnte bloß an einen schmalen Land¬
streifen längs der jütischen Grenze, man konnte auch an Einschluß Angelus,
Nordfrieslauds und der Inseln Alsen und Föhr denken. Ferner hatte Däne¬
mark mit dem Prager Frieden nichts zu schaffen, er wurde nicht mit ihm,
sondern einzig und allein zwischen Preußen und Österreich abgeschlossen, und
nur diese Mächte erwarben durch ihn Rechte und Ansprüche. Nicht gegen
Dänemark oder eine andre am böhmischen Kriege unbeteiligt gewesene Macht,
sondern nur gegen Österreich verpflichtete sich Preußen in örtlich und zeitlich
so wenig bestimmter Weise Vorkommendenfalls zur Abtretung eines Teiles von
Schleswig an den König von Dänemark. Außer Österreich, das als früherer
Mitbesitzer des im deutsch-dänischen Kriege durch Eroberung erworbenen Schleswig-
Holstein wenigstens einigen Anlaß hatte, in der deutsch-dänischen Nationalitäts¬
frage gehört zu werden, hatte kein andrer Staat die völkerrechtliche Befugnis,
auf die Ausführung des Artikels 5 des Prager Friedens zu dringen. Österreich
bediente sich derselben niemals, ja es schloß am 11. Oktober 1378 mit Preußen
einen Vertrag ab, worin es ausdrücklich auf sein Recht verzichtete und ein¬
willigte, daß Artikel 5 des Prager Friedens „außer Giltigkeit gesetzt" werde.

Niemand also ist gegenwärtig befugt, vom deutschen Reiche die Ausfüh¬
rung des Artikels 5, den der Uorck ausgegraben und künstlich wieder zu be¬
leben versucht hat, zu verlangen, auch Dänemark nicht, und noch viel weniger
die russische Diplomatie. Daß wir aber nicht von freien Stücken an einen
solchen reaktionären Akt in unsrer auswärtigen Politik denken, und daß wir
uns von keiner Macht der Welt mit den Waffen dazu oder zu einem andern
Opfer an unsern notwendig gewesenen und gerecht erworbenen heutigen Grenzländern
zwingen lassen werden, daß wir dieselben vielmehr mit Einsetzung aller Kräfte
der Nation verteidigen werden, hat Kaiser Wilhelm als der berufene Wortführer


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0477" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/289600"/>
          <fw type="header" place="top"> Zur politischen Lage.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1597" prev="#ID_1596"> waigen Krieges im Verein mit Frankreich einen möglichst großen Teil von<lb/>
Schleswig wieder abzunehmen. Das ist ohne Zweifel richtig, nur bleibt abzu¬<lb/>
warten, ob die Absicht zu einem Versuche, sie auszuführen, werden und ob in<lb/>
solchem Falle der Versuch gelingen wird. Es wäre das eine bloße Machtfrage.<lb/>
Die Rechtsfrage ist schon lange aus der Welt geschafft, auch hatte der Artikel 5<lb/>
niemals ganz die Bedeutung, welche ihm von den Gegnern Preußens und<lb/>
Deutschlands beigelegt wurde. Er lautete: &#x201E;Seine Majestät der Kaiser von<lb/>
Österreich überträgt auf Seine Majestät den König von Preußen alle seine im<lb/>
Wiener Frieden vom 30. Oktober 1864 erworbenen Rechte auf die Herzogtümer<lb/>
Holstein und Schleswig mit der Maßgabe, daß die Bevölkerungen der nörd¬<lb/>
lichen Distrikte von Schleswig, wenn sie durch freie Abstimmung den Wunsch<lb/>
zu erkennen geben, mit Dänemark vereinigt zu werden, an Dänemark abgetreten<lb/>
werden sollen." Das ist alles. Wann die Abstimmung stattfinden, wann ihr<lb/>
die Abtretung folgen sollte, welche nördlichen Distrikte, ob die bis zur Gjenner-<lb/>
bucht oder die bis an die Flensburger Föhrde oder die bis zur Schlei und<lb/>
zum Dannewerke, war nicht gesagt, man konnte bloß an einen schmalen Land¬<lb/>
streifen längs der jütischen Grenze, man konnte auch an Einschluß Angelus,<lb/>
Nordfrieslauds und der Inseln Alsen und Föhr denken. Ferner hatte Däne¬<lb/>
mark mit dem Prager Frieden nichts zu schaffen, er wurde nicht mit ihm,<lb/>
sondern einzig und allein zwischen Preußen und Österreich abgeschlossen, und<lb/>
nur diese Mächte erwarben durch ihn Rechte und Ansprüche. Nicht gegen<lb/>
Dänemark oder eine andre am böhmischen Kriege unbeteiligt gewesene Macht,<lb/>
sondern nur gegen Österreich verpflichtete sich Preußen in örtlich und zeitlich<lb/>
so wenig bestimmter Weise Vorkommendenfalls zur Abtretung eines Teiles von<lb/>
Schleswig an den König von Dänemark. Außer Österreich, das als früherer<lb/>
Mitbesitzer des im deutsch-dänischen Kriege durch Eroberung erworbenen Schleswig-<lb/>
Holstein wenigstens einigen Anlaß hatte, in der deutsch-dänischen Nationalitäts¬<lb/>
frage gehört zu werden, hatte kein andrer Staat die völkerrechtliche Befugnis,<lb/>
auf die Ausführung des Artikels 5 des Prager Friedens zu dringen. Österreich<lb/>
bediente sich derselben niemals, ja es schloß am 11. Oktober 1378 mit Preußen<lb/>
einen Vertrag ab, worin es ausdrücklich auf sein Recht verzichtete und ein¬<lb/>
willigte, daß Artikel 5 des Prager Friedens &#x201E;außer Giltigkeit gesetzt" werde.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1598" next="#ID_1599"> Niemand also ist gegenwärtig befugt, vom deutschen Reiche die Ausfüh¬<lb/>
rung des Artikels 5, den der Uorck ausgegraben und künstlich wieder zu be¬<lb/>
leben versucht hat, zu verlangen, auch Dänemark nicht, und noch viel weniger<lb/>
die russische Diplomatie. Daß wir aber nicht von freien Stücken an einen<lb/>
solchen reaktionären Akt in unsrer auswärtigen Politik denken, und daß wir<lb/>
uns von keiner Macht der Welt mit den Waffen dazu oder zu einem andern<lb/>
Opfer an unsern notwendig gewesenen und gerecht erworbenen heutigen Grenzländern<lb/>
zwingen lassen werden, daß wir dieselben vielmehr mit Einsetzung aller Kräfte<lb/>
der Nation verteidigen werden, hat Kaiser Wilhelm als der berufene Wortführer</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0477] Zur politischen Lage. waigen Krieges im Verein mit Frankreich einen möglichst großen Teil von Schleswig wieder abzunehmen. Das ist ohne Zweifel richtig, nur bleibt abzu¬ warten, ob die Absicht zu einem Versuche, sie auszuführen, werden und ob in solchem Falle der Versuch gelingen wird. Es wäre das eine bloße Machtfrage. Die Rechtsfrage ist schon lange aus der Welt geschafft, auch hatte der Artikel 5 niemals ganz die Bedeutung, welche ihm von den Gegnern Preußens und Deutschlands beigelegt wurde. Er lautete: „Seine Majestät der Kaiser von Österreich überträgt auf Seine Majestät den König von Preußen alle seine im Wiener Frieden vom 30. Oktober 1864 erworbenen Rechte auf die Herzogtümer Holstein und Schleswig mit der Maßgabe, daß die Bevölkerungen der nörd¬ lichen Distrikte von Schleswig, wenn sie durch freie Abstimmung den Wunsch zu erkennen geben, mit Dänemark vereinigt zu werden, an Dänemark abgetreten werden sollen." Das ist alles. Wann die Abstimmung stattfinden, wann ihr die Abtretung folgen sollte, welche nördlichen Distrikte, ob die bis zur Gjenner- bucht oder die bis an die Flensburger Föhrde oder die bis zur Schlei und zum Dannewerke, war nicht gesagt, man konnte bloß an einen schmalen Land¬ streifen längs der jütischen Grenze, man konnte auch an Einschluß Angelus, Nordfrieslauds und der Inseln Alsen und Föhr denken. Ferner hatte Däne¬ mark mit dem Prager Frieden nichts zu schaffen, er wurde nicht mit ihm, sondern einzig und allein zwischen Preußen und Österreich abgeschlossen, und nur diese Mächte erwarben durch ihn Rechte und Ansprüche. Nicht gegen Dänemark oder eine andre am böhmischen Kriege unbeteiligt gewesene Macht, sondern nur gegen Österreich verpflichtete sich Preußen in örtlich und zeitlich so wenig bestimmter Weise Vorkommendenfalls zur Abtretung eines Teiles von Schleswig an den König von Dänemark. Außer Österreich, das als früherer Mitbesitzer des im deutsch-dänischen Kriege durch Eroberung erworbenen Schleswig- Holstein wenigstens einigen Anlaß hatte, in der deutsch-dänischen Nationalitäts¬ frage gehört zu werden, hatte kein andrer Staat die völkerrechtliche Befugnis, auf die Ausführung des Artikels 5 des Prager Friedens zu dringen. Österreich bediente sich derselben niemals, ja es schloß am 11. Oktober 1378 mit Preußen einen Vertrag ab, worin es ausdrücklich auf sein Recht verzichtete und ein¬ willigte, daß Artikel 5 des Prager Friedens „außer Giltigkeit gesetzt" werde. Niemand also ist gegenwärtig befugt, vom deutschen Reiche die Ausfüh¬ rung des Artikels 5, den der Uorck ausgegraben und künstlich wieder zu be¬ leben versucht hat, zu verlangen, auch Dänemark nicht, und noch viel weniger die russische Diplomatie. Daß wir aber nicht von freien Stücken an einen solchen reaktionären Akt in unsrer auswärtigen Politik denken, und daß wir uns von keiner Macht der Welt mit den Waffen dazu oder zu einem andern Opfer an unsern notwendig gewesenen und gerecht erworbenen heutigen Grenzländern zwingen lassen werden, daß wir dieselben vielmehr mit Einsetzung aller Kräfte der Nation verteidigen werden, hat Kaiser Wilhelm als der berufene Wortführer

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_289122
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_289122/477
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_289122/477>, abgerufen am 22.07.2024.