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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr.

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Zur politischen Lage.

diese Friedensstörung erlaubte. Sehr auffällig dagegen war es, wenn dann
der halbamtliche Roral in Brüssel den Besuch Kaiser Wilhelms in Kopenhagen
benutzte, um die für uns längst nicht mehr vorhandene oder doch nur in dä¬
nischen Zeitungen zuweilen noch spukende nordschleswigsche Frage wieder aufzu¬
rühren, als ob sie noch der Erörterung unterläge und in dänischen Interesse
gelöst werden könnte. Jeder einigermaßen eingeweihte weiß indessen, daß in
dem Brüsseler Organe der russischen Diplomatie der Baron Jomini seine Pfeile
gegen Deutschland zu verschießen Pflegt, der als Staatssekretär im Petersburger
auswärtigen Amte schon unter Gortschakoff in dieser Weise thätig war. (Der
ebenfalls offiziöse "Herold" in Petersburg hat zwar inzwischen bemerkt, der
Artikel des Roral gehöre auf eigne Rechnung der Redaktion des Blattes, es
ist aber nicht Jominis Stimme, die das erklärt.) Jomini gehört zu unsern
bittersten und eifrigsten Gegnern und ist umso gefährlicher, als er sich nicht,
wie seine panslawistischen Freunde, mit seiner Persönlichkeit hervordrängt, sondern
versteckt, gleichsam unterirdisch nach seinen Zielen hinarbeitet, und als er sich
dabei auf staatsmännische Erfahrung und Übung in diplomatischen Kunstgriffen
stützt. Nichts charakterisiert die russischen Negierungszustcinde mehr als die That¬
sache, daß ein uns wohlwollender und friedliebender Staatsmann wie Giers diesen
Maulwurf und seinesgleichen neben sich dulden muß, und man darf wohl sagen,
daß, so lange Jomini im Amte bleibt, sein Einfluß es zu keiner dauernden Verstän¬
digung Rußlands mit Deutschland und zu keiner Befestigung des Weltfriedens
kommen lassen wird. Als selbstverständlich ist anzunehmen, daß Giers mit dem
Artikel des Mrä nichts zu thun hatte, aber man merkt daraus, daß die
Unterströmung, die während der Kaisertage in Peterhof gestaut war und nur
schwach floß, wieder Kraft und Fülle gewinnen will, und wenn wir uns auch
mit dem im Grunde festen Charakter und der aufrichtigen Friedensliebe des
Kaisers Alexander einigermaßen über sie getröstet finden, so sind wir doch keines¬
wegs ganz sicher, daß sie ihn nicht einmal zu Entschlüssen fortreißen wird, die
ihm gegenwärtig fern liegen.

Der Roral glaubte, darauf hinweisen zu müssen, daß der fünfte Artikel
des Prager Friedensvertrages, wonach eine Abstimmung der Bevölkerung Nord¬
schleswigs über dessen Schicksal endgiltig entscheiden solle, ausgeführt werden
müsse, da dies die unumstößliche Bedingung einer wahren Versöhnung Däne¬
marks mit Deutschland sei. Man könne demzufolge behaupten, daß, wenn die
Reise Kaiser Wilhelms nach Kopenhagen auch eine gewisse Annäherung zwischen
dem Berliner Hose und dem dänischen hervorgerufen habe, durch jenen Besuch
anderseits, indem er die Schleswig-holsteinische Frage wieder in den Vordergrund
gezogen habe, die alte nationale Zwietracht zwischen Deutschland und Dänemark
von neuem angefacht worden sei. Das Organ des deutschen Reichskanzlers ent¬
nahm daraus, daß diejenigen russischen Politiker, welche hinter jenem belgischen
Blatte stehen, noch immer die Absicht verfolgen, uns bei Gelegenheit eines et-


Zur politischen Lage.

diese Friedensstörung erlaubte. Sehr auffällig dagegen war es, wenn dann
der halbamtliche Roral in Brüssel den Besuch Kaiser Wilhelms in Kopenhagen
benutzte, um die für uns längst nicht mehr vorhandene oder doch nur in dä¬
nischen Zeitungen zuweilen noch spukende nordschleswigsche Frage wieder aufzu¬
rühren, als ob sie noch der Erörterung unterläge und in dänischen Interesse
gelöst werden könnte. Jeder einigermaßen eingeweihte weiß indessen, daß in
dem Brüsseler Organe der russischen Diplomatie der Baron Jomini seine Pfeile
gegen Deutschland zu verschießen Pflegt, der als Staatssekretär im Petersburger
auswärtigen Amte schon unter Gortschakoff in dieser Weise thätig war. (Der
ebenfalls offiziöse „Herold" in Petersburg hat zwar inzwischen bemerkt, der
Artikel des Roral gehöre auf eigne Rechnung der Redaktion des Blattes, es
ist aber nicht Jominis Stimme, die das erklärt.) Jomini gehört zu unsern
bittersten und eifrigsten Gegnern und ist umso gefährlicher, als er sich nicht,
wie seine panslawistischen Freunde, mit seiner Persönlichkeit hervordrängt, sondern
versteckt, gleichsam unterirdisch nach seinen Zielen hinarbeitet, und als er sich
dabei auf staatsmännische Erfahrung und Übung in diplomatischen Kunstgriffen
stützt. Nichts charakterisiert die russischen Negierungszustcinde mehr als die That¬
sache, daß ein uns wohlwollender und friedliebender Staatsmann wie Giers diesen
Maulwurf und seinesgleichen neben sich dulden muß, und man darf wohl sagen,
daß, so lange Jomini im Amte bleibt, sein Einfluß es zu keiner dauernden Verstän¬
digung Rußlands mit Deutschland und zu keiner Befestigung des Weltfriedens
kommen lassen wird. Als selbstverständlich ist anzunehmen, daß Giers mit dem
Artikel des Mrä nichts zu thun hatte, aber man merkt daraus, daß die
Unterströmung, die während der Kaisertage in Peterhof gestaut war und nur
schwach floß, wieder Kraft und Fülle gewinnen will, und wenn wir uns auch
mit dem im Grunde festen Charakter und der aufrichtigen Friedensliebe des
Kaisers Alexander einigermaßen über sie getröstet finden, so sind wir doch keines¬
wegs ganz sicher, daß sie ihn nicht einmal zu Entschlüssen fortreißen wird, die
ihm gegenwärtig fern liegen.

Der Roral glaubte, darauf hinweisen zu müssen, daß der fünfte Artikel
des Prager Friedensvertrages, wonach eine Abstimmung der Bevölkerung Nord¬
schleswigs über dessen Schicksal endgiltig entscheiden solle, ausgeführt werden
müsse, da dies die unumstößliche Bedingung einer wahren Versöhnung Däne¬
marks mit Deutschland sei. Man könne demzufolge behaupten, daß, wenn die
Reise Kaiser Wilhelms nach Kopenhagen auch eine gewisse Annäherung zwischen
dem Berliner Hose und dem dänischen hervorgerufen habe, durch jenen Besuch
anderseits, indem er die Schleswig-holsteinische Frage wieder in den Vordergrund
gezogen habe, die alte nationale Zwietracht zwischen Deutschland und Dänemark
von neuem angefacht worden sei. Das Organ des deutschen Reichskanzlers ent¬
nahm daraus, daß diejenigen russischen Politiker, welche hinter jenem belgischen
Blatte stehen, noch immer die Absicht verfolgen, uns bei Gelegenheit eines et-


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[0476] Zur politischen Lage. diese Friedensstörung erlaubte. Sehr auffällig dagegen war es, wenn dann der halbamtliche Roral in Brüssel den Besuch Kaiser Wilhelms in Kopenhagen benutzte, um die für uns längst nicht mehr vorhandene oder doch nur in dä¬ nischen Zeitungen zuweilen noch spukende nordschleswigsche Frage wieder aufzu¬ rühren, als ob sie noch der Erörterung unterläge und in dänischen Interesse gelöst werden könnte. Jeder einigermaßen eingeweihte weiß indessen, daß in dem Brüsseler Organe der russischen Diplomatie der Baron Jomini seine Pfeile gegen Deutschland zu verschießen Pflegt, der als Staatssekretär im Petersburger auswärtigen Amte schon unter Gortschakoff in dieser Weise thätig war. (Der ebenfalls offiziöse „Herold" in Petersburg hat zwar inzwischen bemerkt, der Artikel des Roral gehöre auf eigne Rechnung der Redaktion des Blattes, es ist aber nicht Jominis Stimme, die das erklärt.) Jomini gehört zu unsern bittersten und eifrigsten Gegnern und ist umso gefährlicher, als er sich nicht, wie seine panslawistischen Freunde, mit seiner Persönlichkeit hervordrängt, sondern versteckt, gleichsam unterirdisch nach seinen Zielen hinarbeitet, und als er sich dabei auf staatsmännische Erfahrung und Übung in diplomatischen Kunstgriffen stützt. Nichts charakterisiert die russischen Negierungszustcinde mehr als die That¬ sache, daß ein uns wohlwollender und friedliebender Staatsmann wie Giers diesen Maulwurf und seinesgleichen neben sich dulden muß, und man darf wohl sagen, daß, so lange Jomini im Amte bleibt, sein Einfluß es zu keiner dauernden Verstän¬ digung Rußlands mit Deutschland und zu keiner Befestigung des Weltfriedens kommen lassen wird. Als selbstverständlich ist anzunehmen, daß Giers mit dem Artikel des Mrä nichts zu thun hatte, aber man merkt daraus, daß die Unterströmung, die während der Kaisertage in Peterhof gestaut war und nur schwach floß, wieder Kraft und Fülle gewinnen will, und wenn wir uns auch mit dem im Grunde festen Charakter und der aufrichtigen Friedensliebe des Kaisers Alexander einigermaßen über sie getröstet finden, so sind wir doch keines¬ wegs ganz sicher, daß sie ihn nicht einmal zu Entschlüssen fortreißen wird, die ihm gegenwärtig fern liegen. Der Roral glaubte, darauf hinweisen zu müssen, daß der fünfte Artikel des Prager Friedensvertrages, wonach eine Abstimmung der Bevölkerung Nord¬ schleswigs über dessen Schicksal endgiltig entscheiden solle, ausgeführt werden müsse, da dies die unumstößliche Bedingung einer wahren Versöhnung Däne¬ marks mit Deutschland sei. Man könne demzufolge behaupten, daß, wenn die Reise Kaiser Wilhelms nach Kopenhagen auch eine gewisse Annäherung zwischen dem Berliner Hose und dem dänischen hervorgerufen habe, durch jenen Besuch anderseits, indem er die Schleswig-holsteinische Frage wieder in den Vordergrund gezogen habe, die alte nationale Zwietracht zwischen Deutschland und Dänemark von neuem angefacht worden sei. Das Organ des deutschen Reichskanzlers ent¬ nahm daraus, daß diejenigen russischen Politiker, welche hinter jenem belgischen Blatte stehen, noch immer die Absicht verfolgen, uns bei Gelegenheit eines et-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_289122/476>, abgerufen am 22.07.2024.