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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr.

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Hochlandsgeschichten.

Wesenheit beim Festessen bettelt, wie er ihn triumphirend ins Wirtshaus bringt,
wie er den Sohn mehr feiert als die neue Gattin: Szenen tief rührenden Hu¬
mors, welche die lautere Herzensgüte, die gepaart ist mit reuevoller Willens¬
schwäche im alten Pointner, in wahrhaft dichterischer Weise darstellen.

Auf diesem Höhenpunkte der Handlung tritt der Umschlag auch in künstle¬
rischer Beziehung ein. Ihre Vergangenheit wird Kuni zum Verhängnis. Daß sie
selbst als gänzlich unschuldig daran geschildert wird, und daß dennoch hier Mächte
eintreten, die ihr Leben zerstören, daß demnach zwischen ihrer wahren Schuld
(der Verführung) und jener Vergeltung nur das äußerliche Band des Zufalls
besteht, ist der Fehler der Handlung. Auch fällt Kuni von da ab aus ihrem
Charakter. Ein Widerspruch ist es schon, daß von ihr als Kellnerin behauptet
wird, sie wäre abweisend kalt und spröde gewesen, und dennoch benimmt sie
sich mit dem Eintritt auf dem Pointnerhof wie eine erfahrene, raffinirte Kokette.
Wie hat sie diese Künste sich erworben? Anderseits hat sie sich bisher klug,
entschlossen, energisch benommen; jetzt verliert sie plötzlich alle diese Tugenden.
Warum? Weil sich einer ihrer Stiefbruder, ein Taugenichts und Strömer, bei
ihr einfindet und sie dadurch, daß er mit dem Verrat ihres Geheimnisses droht,
zwingt, ihm in ihrem Hause Unterkunft und Kost zu gewähren. Sie war
glücklich, ihr Dasein endlich gesichert zu haben; jetzt ist es plötzlich dnrch diesen
schlechten Kerl bedroht. Und ihr Geheimnis? Es besteht darin, daß ihr leib¬
licher Vater wegen eines Mordes ins Zuchthaus gekommen war. Den Vater
kennt man nicht; aber die Schande ruht auf der Tochter, die jetzt Pointner¬
bäuerin geworden ist. Es kommt nun so weit, daß Gregor, der Strömer, am
Hofe aller Welt das Leben verbittert und ganz besonders mit Götz in Streit
gerät. Und es gelingt dem rachsüchtigen Strömer, zu entdecken, daß Götz, der
Mustermensch, die Säule des Hofes, selbst zwölf Jahre im Zuchthause gesessen
hat, eines Mordes wegen. Diese Entdeckung hat zur Folge, daß der zer¬
schmetterte Götz sein ganzes Leben, bevor er Abschied nimmt, enthüllt, wobei
offenbar wird, daß er selbst Kumis Vater ist. Karli, der in Götz seinen Meister
verehrt, will ihn um keinen Preis ziehen lassen, lange Jahre rechtschaffenen
Lebens hätten eine That der Liebeseifersucht vollauf gesühnt; der alte Pointner,
der in voller Logik seines schwachen Charakters das Gerede der Leute fürchtet,
ist weniger dankbar -- Götz entflieht in dunkler Nacht mit Kuni, die in über¬
raschender Sentimentalität glücklich ist, den nie gekannten Vater gefunden zu
haben. Nach einem Jahre stirbt sie im Gebirge, und Götz begräbt sie. Karli
heiratet seine sauri, und der Friede kehrt wieder ein.

Dies die phantastisch endigende Haupthandlung. Daneben läuft die tragi¬
komische Geschichte des Bygotters, des Vaters der sauri: die Schilderung eines
religiös Wahnsinnigen, seiner Narreteien und des Unheils, das er anrichtet.
Der Bygotter ist ein aus Amerika zurückgekehrter Dorfinsasse. Von drüben hat
er mit der Not auch den Wahnsinn heimgebracht. Er schwört nur aufs alte


Hochlandsgeschichten.

Wesenheit beim Festessen bettelt, wie er ihn triumphirend ins Wirtshaus bringt,
wie er den Sohn mehr feiert als die neue Gattin: Szenen tief rührenden Hu¬
mors, welche die lautere Herzensgüte, die gepaart ist mit reuevoller Willens¬
schwäche im alten Pointner, in wahrhaft dichterischer Weise darstellen.

Auf diesem Höhenpunkte der Handlung tritt der Umschlag auch in künstle¬
rischer Beziehung ein. Ihre Vergangenheit wird Kuni zum Verhängnis. Daß sie
selbst als gänzlich unschuldig daran geschildert wird, und daß dennoch hier Mächte
eintreten, die ihr Leben zerstören, daß demnach zwischen ihrer wahren Schuld
(der Verführung) und jener Vergeltung nur das äußerliche Band des Zufalls
besteht, ist der Fehler der Handlung. Auch fällt Kuni von da ab aus ihrem
Charakter. Ein Widerspruch ist es schon, daß von ihr als Kellnerin behauptet
wird, sie wäre abweisend kalt und spröde gewesen, und dennoch benimmt sie
sich mit dem Eintritt auf dem Pointnerhof wie eine erfahrene, raffinirte Kokette.
Wie hat sie diese Künste sich erworben? Anderseits hat sie sich bisher klug,
entschlossen, energisch benommen; jetzt verliert sie plötzlich alle diese Tugenden.
Warum? Weil sich einer ihrer Stiefbruder, ein Taugenichts und Strömer, bei
ihr einfindet und sie dadurch, daß er mit dem Verrat ihres Geheimnisses droht,
zwingt, ihm in ihrem Hause Unterkunft und Kost zu gewähren. Sie war
glücklich, ihr Dasein endlich gesichert zu haben; jetzt ist es plötzlich dnrch diesen
schlechten Kerl bedroht. Und ihr Geheimnis? Es besteht darin, daß ihr leib¬
licher Vater wegen eines Mordes ins Zuchthaus gekommen war. Den Vater
kennt man nicht; aber die Schande ruht auf der Tochter, die jetzt Pointner¬
bäuerin geworden ist. Es kommt nun so weit, daß Gregor, der Strömer, am
Hofe aller Welt das Leben verbittert und ganz besonders mit Götz in Streit
gerät. Und es gelingt dem rachsüchtigen Strömer, zu entdecken, daß Götz, der
Mustermensch, die Säule des Hofes, selbst zwölf Jahre im Zuchthause gesessen
hat, eines Mordes wegen. Diese Entdeckung hat zur Folge, daß der zer¬
schmetterte Götz sein ganzes Leben, bevor er Abschied nimmt, enthüllt, wobei
offenbar wird, daß er selbst Kumis Vater ist. Karli, der in Götz seinen Meister
verehrt, will ihn um keinen Preis ziehen lassen, lange Jahre rechtschaffenen
Lebens hätten eine That der Liebeseifersucht vollauf gesühnt; der alte Pointner,
der in voller Logik seines schwachen Charakters das Gerede der Leute fürchtet,
ist weniger dankbar — Götz entflieht in dunkler Nacht mit Kuni, die in über¬
raschender Sentimentalität glücklich ist, den nie gekannten Vater gefunden zu
haben. Nach einem Jahre stirbt sie im Gebirge, und Götz begräbt sie. Karli
heiratet seine sauri, und der Friede kehrt wieder ein.

Dies die phantastisch endigende Haupthandlung. Daneben läuft die tragi¬
komische Geschichte des Bygotters, des Vaters der sauri: die Schilderung eines
religiös Wahnsinnigen, seiner Narreteien und des Unheils, das er anrichtet.
Der Bygotter ist ein aus Amerika zurückgekehrter Dorfinsasse. Von drüben hat
er mit der Not auch den Wahnsinn heimgebracht. Er schwört nur aufs alte


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[0474] Hochlandsgeschichten. Wesenheit beim Festessen bettelt, wie er ihn triumphirend ins Wirtshaus bringt, wie er den Sohn mehr feiert als die neue Gattin: Szenen tief rührenden Hu¬ mors, welche die lautere Herzensgüte, die gepaart ist mit reuevoller Willens¬ schwäche im alten Pointner, in wahrhaft dichterischer Weise darstellen. Auf diesem Höhenpunkte der Handlung tritt der Umschlag auch in künstle¬ rischer Beziehung ein. Ihre Vergangenheit wird Kuni zum Verhängnis. Daß sie selbst als gänzlich unschuldig daran geschildert wird, und daß dennoch hier Mächte eintreten, die ihr Leben zerstören, daß demnach zwischen ihrer wahren Schuld (der Verführung) und jener Vergeltung nur das äußerliche Band des Zufalls besteht, ist der Fehler der Handlung. Auch fällt Kuni von da ab aus ihrem Charakter. Ein Widerspruch ist es schon, daß von ihr als Kellnerin behauptet wird, sie wäre abweisend kalt und spröde gewesen, und dennoch benimmt sie sich mit dem Eintritt auf dem Pointnerhof wie eine erfahrene, raffinirte Kokette. Wie hat sie diese Künste sich erworben? Anderseits hat sie sich bisher klug, entschlossen, energisch benommen; jetzt verliert sie plötzlich alle diese Tugenden. Warum? Weil sich einer ihrer Stiefbruder, ein Taugenichts und Strömer, bei ihr einfindet und sie dadurch, daß er mit dem Verrat ihres Geheimnisses droht, zwingt, ihm in ihrem Hause Unterkunft und Kost zu gewähren. Sie war glücklich, ihr Dasein endlich gesichert zu haben; jetzt ist es plötzlich dnrch diesen schlechten Kerl bedroht. Und ihr Geheimnis? Es besteht darin, daß ihr leib¬ licher Vater wegen eines Mordes ins Zuchthaus gekommen war. Den Vater kennt man nicht; aber die Schande ruht auf der Tochter, die jetzt Pointner¬ bäuerin geworden ist. Es kommt nun so weit, daß Gregor, der Strömer, am Hofe aller Welt das Leben verbittert und ganz besonders mit Götz in Streit gerät. Und es gelingt dem rachsüchtigen Strömer, zu entdecken, daß Götz, der Mustermensch, die Säule des Hofes, selbst zwölf Jahre im Zuchthause gesessen hat, eines Mordes wegen. Diese Entdeckung hat zur Folge, daß der zer¬ schmetterte Götz sein ganzes Leben, bevor er Abschied nimmt, enthüllt, wobei offenbar wird, daß er selbst Kumis Vater ist. Karli, der in Götz seinen Meister verehrt, will ihn um keinen Preis ziehen lassen, lange Jahre rechtschaffenen Lebens hätten eine That der Liebeseifersucht vollauf gesühnt; der alte Pointner, der in voller Logik seines schwachen Charakters das Gerede der Leute fürchtet, ist weniger dankbar — Götz entflieht in dunkler Nacht mit Kuni, die in über¬ raschender Sentimentalität glücklich ist, den nie gekannten Vater gefunden zu haben. Nach einem Jahre stirbt sie im Gebirge, und Götz begräbt sie. Karli heiratet seine sauri, und der Friede kehrt wieder ein. Dies die phantastisch endigende Haupthandlung. Daneben läuft die tragi¬ komische Geschichte des Bygotters, des Vaters der sauri: die Schilderung eines religiös Wahnsinnigen, seiner Narreteien und des Unheils, das er anrichtet. Der Bygotter ist ein aus Amerika zurückgekehrter Dorfinsasse. Von drüben hat er mit der Not auch den Wahnsinn heimgebracht. Er schwört nur aufs alte

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_289122/474>, abgerufen am 24.08.2024.