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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr.

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Hochlandsgeschichten.

und Trinken auf seiner Stube mit ihm und Kuni; Götz, der sich immer vor
Kuni zurückhält und sein Mißtrauen nicht verbergen kann, kommt nur ab und
zu einmal dahin. Der alte Pointner wird gegen Kuni in seinem Rausche immer
zärtlicher, Karli immer kühler, Kuni ist entschlossen, den Jungen im Sturme
zu nehmen. Allein mit ihm, rechnet sie auf seine im Rausche unbewachte Sinn¬
lichkeit, sie geht so weit, als es überhaupt möglich ist -- jedoch, die sauri im
Herzen, bleibt Karli der keusche Josef vor dieser ländlichen Potiphar und reist
am folgenden Morgen, nicht ohne Kuni zu verspotten, nach München ab. Diese
aber hat in derselben Nacht aus Rache gegen Karli einen andern Streich verübt,
der zur Folge hat, daß sich sein Vater, der alte Pointner, mit ihr noch am selben
Tage verlobt. Die wilde Szene nun zwischen Vater und Sohn, unmittelbar
vor der Abreise, ist höchst merkwürdig. In München, wo er es im Kreise der
alten Kameraden so lustig haben könnte, verbringt Karli eine traurige Zeit:
daß sich sein Vater mit der hergelaufenen Kellnerin vermählen sollte, drückt ihn
ganz darnieder. Er zieht Erkundigungen nach Kuni ein, sie lauten nicht er¬
baulich. Zwar ihr persönlich kann man in der Frauenehre nicht nahetreten,
allein ihre Herkunft ist dunkel. Sie ist ein uneheliches Kind, vom Vater weiß
man nichts, er gilt als verschollen. Ihre Mutter war dann an einen Wirt
verheiratet, der sie roh behandelte, die jüngern Stiefbruder haben sie auch,
so lange sie im Hause war, mißhandelt. Das ist alles, was Karli erfährt, es
genügt, um ihm die Verbindung seines Vaters mit der Haushälterin als sehr
unpassend erscheinen zu lassen. Er schreibt auch in diesem Sinne an den Vater.
Von großer Schönheit ist es dabei, daß nicht eigennützige Beweggründe, wie
etwa die Furcht um das bedrohte Erbteil, in Karli wirken, sondern bloß die
Liebe um den in Ehren grau gewordenen Vater, der noch in seinen alten
Tagen vor einem dummen Streiche bewahrt werden muß. Der Pointner schreibt
auch trotz jener Rauschszene einen liebevollen, ja heitern Brief an seinen guten
Karli in München (dieser Brief ist ein Meisterstück). Darnach wäre die Kuni
aus dem Haus in ihre Heimat abgegangen, und der Friede wäre gesichert. Doch
wer beschreibt die Überraschung Karlis, als er, voller Zufriedenheit ins Dorf
zurückkehrend, gerade dazu kommt, wie sich der Hochzeitszug seines Vaters und
der Kuni unter lärmender Musik von der Kirche zum Wirtshaus bewegt! Karli
ist außer sich. Er eilt zu Götz, um sich Aufklärung zu holen -- der treue
Diener seines Hauses zuckt nur die Achseln, er habe nichts verhindern können.
Ja, jener Brief des Alten war schon richtig gewesen, Kuni war einige Tage
wirklich weg, aber sie ist wieder gekommen, mit Dokumenten wahrscheinlich, die
den Bauern beruhigten. Was ihn beruhigte, das erfährt Karli jetzt und auch
später ebenso wenig als der Leser -- eine der Lücken in der Motivirung. Man
muß annehmen, daß der Pointner eben zu schwach gewesen sei, der Koketten zu
widerstehen. Aber die Hochzeit selbst hat ihn doch herabgestimmt; vor dem eignen
Sohne schämt er sich, und merkwürdig ist es zu sehen, wie er um Karlis An-


Grenzbotcn NI- 1838. Kg
Hochlandsgeschichten.

und Trinken auf seiner Stube mit ihm und Kuni; Götz, der sich immer vor
Kuni zurückhält und sein Mißtrauen nicht verbergen kann, kommt nur ab und
zu einmal dahin. Der alte Pointner wird gegen Kuni in seinem Rausche immer
zärtlicher, Karli immer kühler, Kuni ist entschlossen, den Jungen im Sturme
zu nehmen. Allein mit ihm, rechnet sie auf seine im Rausche unbewachte Sinn¬
lichkeit, sie geht so weit, als es überhaupt möglich ist — jedoch, die sauri im
Herzen, bleibt Karli der keusche Josef vor dieser ländlichen Potiphar und reist
am folgenden Morgen, nicht ohne Kuni zu verspotten, nach München ab. Diese
aber hat in derselben Nacht aus Rache gegen Karli einen andern Streich verübt,
der zur Folge hat, daß sich sein Vater, der alte Pointner, mit ihr noch am selben
Tage verlobt. Die wilde Szene nun zwischen Vater und Sohn, unmittelbar
vor der Abreise, ist höchst merkwürdig. In München, wo er es im Kreise der
alten Kameraden so lustig haben könnte, verbringt Karli eine traurige Zeit:
daß sich sein Vater mit der hergelaufenen Kellnerin vermählen sollte, drückt ihn
ganz darnieder. Er zieht Erkundigungen nach Kuni ein, sie lauten nicht er¬
baulich. Zwar ihr persönlich kann man in der Frauenehre nicht nahetreten,
allein ihre Herkunft ist dunkel. Sie ist ein uneheliches Kind, vom Vater weiß
man nichts, er gilt als verschollen. Ihre Mutter war dann an einen Wirt
verheiratet, der sie roh behandelte, die jüngern Stiefbruder haben sie auch,
so lange sie im Hause war, mißhandelt. Das ist alles, was Karli erfährt, es
genügt, um ihm die Verbindung seines Vaters mit der Haushälterin als sehr
unpassend erscheinen zu lassen. Er schreibt auch in diesem Sinne an den Vater.
Von großer Schönheit ist es dabei, daß nicht eigennützige Beweggründe, wie
etwa die Furcht um das bedrohte Erbteil, in Karli wirken, sondern bloß die
Liebe um den in Ehren grau gewordenen Vater, der noch in seinen alten
Tagen vor einem dummen Streiche bewahrt werden muß. Der Pointner schreibt
auch trotz jener Rauschszene einen liebevollen, ja heitern Brief an seinen guten
Karli in München (dieser Brief ist ein Meisterstück). Darnach wäre die Kuni
aus dem Haus in ihre Heimat abgegangen, und der Friede wäre gesichert. Doch
wer beschreibt die Überraschung Karlis, als er, voller Zufriedenheit ins Dorf
zurückkehrend, gerade dazu kommt, wie sich der Hochzeitszug seines Vaters und
der Kuni unter lärmender Musik von der Kirche zum Wirtshaus bewegt! Karli
ist außer sich. Er eilt zu Götz, um sich Aufklärung zu holen — der treue
Diener seines Hauses zuckt nur die Achseln, er habe nichts verhindern können.
Ja, jener Brief des Alten war schon richtig gewesen, Kuni war einige Tage
wirklich weg, aber sie ist wieder gekommen, mit Dokumenten wahrscheinlich, die
den Bauern beruhigten. Was ihn beruhigte, das erfährt Karli jetzt und auch
später ebenso wenig als der Leser — eine der Lücken in der Motivirung. Man
muß annehmen, daß der Pointner eben zu schwach gewesen sei, der Koketten zu
widerstehen. Aber die Hochzeit selbst hat ihn doch herabgestimmt; vor dem eignen
Sohne schämt er sich, und merkwürdig ist es zu sehen, wie er um Karlis An-


Grenzbotcn NI- 1838. Kg
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[0473] Hochlandsgeschichten. und Trinken auf seiner Stube mit ihm und Kuni; Götz, der sich immer vor Kuni zurückhält und sein Mißtrauen nicht verbergen kann, kommt nur ab und zu einmal dahin. Der alte Pointner wird gegen Kuni in seinem Rausche immer zärtlicher, Karli immer kühler, Kuni ist entschlossen, den Jungen im Sturme zu nehmen. Allein mit ihm, rechnet sie auf seine im Rausche unbewachte Sinn¬ lichkeit, sie geht so weit, als es überhaupt möglich ist — jedoch, die sauri im Herzen, bleibt Karli der keusche Josef vor dieser ländlichen Potiphar und reist am folgenden Morgen, nicht ohne Kuni zu verspotten, nach München ab. Diese aber hat in derselben Nacht aus Rache gegen Karli einen andern Streich verübt, der zur Folge hat, daß sich sein Vater, der alte Pointner, mit ihr noch am selben Tage verlobt. Die wilde Szene nun zwischen Vater und Sohn, unmittelbar vor der Abreise, ist höchst merkwürdig. In München, wo er es im Kreise der alten Kameraden so lustig haben könnte, verbringt Karli eine traurige Zeit: daß sich sein Vater mit der hergelaufenen Kellnerin vermählen sollte, drückt ihn ganz darnieder. Er zieht Erkundigungen nach Kuni ein, sie lauten nicht er¬ baulich. Zwar ihr persönlich kann man in der Frauenehre nicht nahetreten, allein ihre Herkunft ist dunkel. Sie ist ein uneheliches Kind, vom Vater weiß man nichts, er gilt als verschollen. Ihre Mutter war dann an einen Wirt verheiratet, der sie roh behandelte, die jüngern Stiefbruder haben sie auch, so lange sie im Hause war, mißhandelt. Das ist alles, was Karli erfährt, es genügt, um ihm die Verbindung seines Vaters mit der Haushälterin als sehr unpassend erscheinen zu lassen. Er schreibt auch in diesem Sinne an den Vater. Von großer Schönheit ist es dabei, daß nicht eigennützige Beweggründe, wie etwa die Furcht um das bedrohte Erbteil, in Karli wirken, sondern bloß die Liebe um den in Ehren grau gewordenen Vater, der noch in seinen alten Tagen vor einem dummen Streiche bewahrt werden muß. Der Pointner schreibt auch trotz jener Rauschszene einen liebevollen, ja heitern Brief an seinen guten Karli in München (dieser Brief ist ein Meisterstück). Darnach wäre die Kuni aus dem Haus in ihre Heimat abgegangen, und der Friede wäre gesichert. Doch wer beschreibt die Überraschung Karlis, als er, voller Zufriedenheit ins Dorf zurückkehrend, gerade dazu kommt, wie sich der Hochzeitszug seines Vaters und der Kuni unter lärmender Musik von der Kirche zum Wirtshaus bewegt! Karli ist außer sich. Er eilt zu Götz, um sich Aufklärung zu holen — der treue Diener seines Hauses zuckt nur die Achseln, er habe nichts verhindern können. Ja, jener Brief des Alten war schon richtig gewesen, Kuni war einige Tage wirklich weg, aber sie ist wieder gekommen, mit Dokumenten wahrscheinlich, die den Bauern beruhigten. Was ihn beruhigte, das erfährt Karli jetzt und auch später ebenso wenig als der Leser — eine der Lücken in der Motivirung. Man muß annehmen, daß der Pointner eben zu schwach gewesen sei, der Koketten zu widerstehen. Aber die Hochzeit selbst hat ihn doch herabgestimmt; vor dem eignen Sohne schämt er sich, und merkwürdig ist es zu sehen, wie er um Karlis An- Grenzbotcn NI- 1838. Kg

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_289122/473>, abgerufen am 22.07.2024.