Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Hochlandsgeschichten,

Mißerfolg der Zivilprozeßordnung kann es noch zur Entschuldigung dienen, daß
sie zur Zeit ihrer Einführung fast allgemein für ein Mustergesetz gehalten wurde.
Für das Zivilgesetzbuch würde diese Entschuldigung nicht zutreffen. Denn unsre
juristisch gebildeten Staatsmänner können schon jetzt nicht darüber zweifeln, daß
dasselbe für die Rechtsprechung keine wünschenswerte Errungenschaft sein wird.
Sonderbar! Während auf allen andern Gebieten des öffentlichen Lebens das Reich
unserm Volke Gutes, ja zum Teil Vortreffliches gebracht hat, scheinen ihm
auf dem Gebiete der Privatrcchtspflege, die man in frühern Zeiten als die erste
Aufgabe des Staates betrachtete, nur Fehlgriffe beschieden zu sein!"')




Hochlandsgeschichten"

uf dem engen und zusehends sich verengernden Boden der Dorf¬
geschichte, insbesondre der bairischen "Hochlandsgcschichte," wie sie
eigens benannt wurde, bieten Ludwig Ganghofer und Maxi¬
milian Schmidt, derzeit die einzigen Pfleger dieser Gattung
von Erzählungen, deutlich erkennbare Gegensätze. Der ältere,
Schmidt, zugleich der gelehrtere und der, der ständig in Baiern lebt, hat seine
Stellung zum Hochlande Bayerns als Patriot, als Kulturhistoriker, als Ethno¬
graph gewonnen; der jüngere, der feit bald zehn Jahren nur zeitweilig, zur
sommerlichen Ferienzeit oder bet einer verheißungsvoller Jagd, seine bairische
Heimat besucht, im übrigen aber sich vielfach an Wien gebunden hat, ist unmittel¬
barer, unbefangner, frischer, frei von jenen an sich löblichen Tendenzen, er schildert
das Hochgebirgsvolk und das Bauerntum, weil es sein Naturell man möchte sagen
wahlverwandt anspricht und seiner dichterischen Gestaltungskraft sich am bequemsten
anpaßt. Maximilian Schmidt will als Lokalpatriot bei der Unterhaltung auch
die Kenntnis seines Gebirgswinkels in jeder Beziehung verbreiten: er flicht histo¬
rische Mitteilungen, Kostümstudien, wirtschaftliche Bemerkungen, philologische
Glossen in seine Erzählungen ein; Ganghofer will nur unterhalten. Jedenfalls
gewinnt dieser durch sein frisches Zugreifen die Leser mehr, als jener durch
seine wohlmeinende Gelehrsamkeit. Ganghofer hat aber noch mehr voraus: weil
er dichterisch ursprünglicher und stärker ist, setzt er sein ganzes Können an die
Ausbildung der Charaktere, auf die Erfindung drastischer Szenen, und er ist in
dieser Richtung glücklich genug. Schmidt ist mehr sentimental, seine Menschen
haben etwas Mollnskenhciftes, seine Erfindungen sind ohne rechten Reiz, selten ist er



") Der Verleger der Grenzboten wird von diesem Aufsatze einen besondern Abdruck her¬
stellen, der im Buchhandel zu beziehen ist.
Hochlandsgeschichten,

Mißerfolg der Zivilprozeßordnung kann es noch zur Entschuldigung dienen, daß
sie zur Zeit ihrer Einführung fast allgemein für ein Mustergesetz gehalten wurde.
Für das Zivilgesetzbuch würde diese Entschuldigung nicht zutreffen. Denn unsre
juristisch gebildeten Staatsmänner können schon jetzt nicht darüber zweifeln, daß
dasselbe für die Rechtsprechung keine wünschenswerte Errungenschaft sein wird.
Sonderbar! Während auf allen andern Gebieten des öffentlichen Lebens das Reich
unserm Volke Gutes, ja zum Teil Vortreffliches gebracht hat, scheinen ihm
auf dem Gebiete der Privatrcchtspflege, die man in frühern Zeiten als die erste
Aufgabe des Staates betrachtete, nur Fehlgriffe beschieden zu sein!"')




Hochlandsgeschichten»

uf dem engen und zusehends sich verengernden Boden der Dorf¬
geschichte, insbesondre der bairischen „Hochlandsgcschichte," wie sie
eigens benannt wurde, bieten Ludwig Ganghofer und Maxi¬
milian Schmidt, derzeit die einzigen Pfleger dieser Gattung
von Erzählungen, deutlich erkennbare Gegensätze. Der ältere,
Schmidt, zugleich der gelehrtere und der, der ständig in Baiern lebt, hat seine
Stellung zum Hochlande Bayerns als Patriot, als Kulturhistoriker, als Ethno¬
graph gewonnen; der jüngere, der feit bald zehn Jahren nur zeitweilig, zur
sommerlichen Ferienzeit oder bet einer verheißungsvoller Jagd, seine bairische
Heimat besucht, im übrigen aber sich vielfach an Wien gebunden hat, ist unmittel¬
barer, unbefangner, frischer, frei von jenen an sich löblichen Tendenzen, er schildert
das Hochgebirgsvolk und das Bauerntum, weil es sein Naturell man möchte sagen
wahlverwandt anspricht und seiner dichterischen Gestaltungskraft sich am bequemsten
anpaßt. Maximilian Schmidt will als Lokalpatriot bei der Unterhaltung auch
die Kenntnis seines Gebirgswinkels in jeder Beziehung verbreiten: er flicht histo¬
rische Mitteilungen, Kostümstudien, wirtschaftliche Bemerkungen, philologische
Glossen in seine Erzählungen ein; Ganghofer will nur unterhalten. Jedenfalls
gewinnt dieser durch sein frisches Zugreifen die Leser mehr, als jener durch
seine wohlmeinende Gelehrsamkeit. Ganghofer hat aber noch mehr voraus: weil
er dichterisch ursprünglicher und stärker ist, setzt er sein ganzes Können an die
Ausbildung der Charaktere, auf die Erfindung drastischer Szenen, und er ist in
dieser Richtung glücklich genug. Schmidt ist mehr sentimental, seine Menschen
haben etwas Mollnskenhciftes, seine Erfindungen sind ohne rechten Reiz, selten ist er



") Der Verleger der Grenzboten wird von diesem Aufsatze einen besondern Abdruck her¬
stellen, der im Buchhandel zu beziehen ist.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0468" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/289591"/>
          <fw type="header" place="top"> Hochlandsgeschichten,</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1576" prev="#ID_1575"> Mißerfolg der Zivilprozeßordnung kann es noch zur Entschuldigung dienen, daß<lb/>
sie zur Zeit ihrer Einführung fast allgemein für ein Mustergesetz gehalten wurde.<lb/>
Für das Zivilgesetzbuch würde diese Entschuldigung nicht zutreffen. Denn unsre<lb/>
juristisch gebildeten Staatsmänner können schon jetzt nicht darüber zweifeln, daß<lb/>
dasselbe für die Rechtsprechung keine wünschenswerte Errungenschaft sein wird.<lb/>
Sonderbar! Während auf allen andern Gebieten des öffentlichen Lebens das Reich<lb/>
unserm Volke Gutes, ja zum Teil Vortreffliches gebracht hat, scheinen ihm<lb/>
auf dem Gebiete der Privatrcchtspflege, die man in frühern Zeiten als die erste<lb/>
Aufgabe des Staates betrachtete, nur Fehlgriffe beschieden zu sein!"')</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Hochlandsgeschichten»</head><lb/>
          <p xml:id="ID_1577" next="#ID_1578"> uf dem engen und zusehends sich verengernden Boden der Dorf¬<lb/>
geschichte, insbesondre der bairischen &#x201E;Hochlandsgcschichte," wie sie<lb/>
eigens benannt wurde, bieten Ludwig Ganghofer und Maxi¬<lb/>
milian Schmidt, derzeit die einzigen Pfleger dieser Gattung<lb/>
von Erzählungen, deutlich erkennbare Gegensätze. Der ältere,<lb/>
Schmidt, zugleich der gelehrtere und der, der ständig in Baiern lebt, hat seine<lb/>
Stellung zum Hochlande Bayerns als Patriot, als Kulturhistoriker, als Ethno¬<lb/>
graph gewonnen; der jüngere, der feit bald zehn Jahren nur zeitweilig, zur<lb/>
sommerlichen Ferienzeit oder bet einer verheißungsvoller Jagd, seine bairische<lb/>
Heimat besucht, im übrigen aber sich vielfach an Wien gebunden hat, ist unmittel¬<lb/>
barer, unbefangner, frischer, frei von jenen an sich löblichen Tendenzen, er schildert<lb/>
das Hochgebirgsvolk und das Bauerntum, weil es sein Naturell man möchte sagen<lb/>
wahlverwandt anspricht und seiner dichterischen Gestaltungskraft sich am bequemsten<lb/>
anpaßt. Maximilian Schmidt will als Lokalpatriot bei der Unterhaltung auch<lb/>
die Kenntnis seines Gebirgswinkels in jeder Beziehung verbreiten: er flicht histo¬<lb/>
rische Mitteilungen, Kostümstudien, wirtschaftliche Bemerkungen, philologische<lb/>
Glossen in seine Erzählungen ein; Ganghofer will nur unterhalten. Jedenfalls<lb/>
gewinnt dieser durch sein frisches Zugreifen die Leser mehr, als jener durch<lb/>
seine wohlmeinende Gelehrsamkeit. Ganghofer hat aber noch mehr voraus: weil<lb/>
er dichterisch ursprünglicher und stärker ist, setzt er sein ganzes Können an die<lb/>
Ausbildung der Charaktere, auf die Erfindung drastischer Szenen, und er ist in<lb/>
dieser Richtung glücklich genug. Schmidt ist mehr sentimental, seine Menschen<lb/>
haben etwas Mollnskenhciftes, seine Erfindungen sind ohne rechten Reiz, selten ist er</p><lb/>
          <note xml:id="FID_29" place="foot"> ") Der Verleger der Grenzboten wird von diesem Aufsatze einen besondern Abdruck her¬<lb/>
stellen, der im Buchhandel zu beziehen ist.</note><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0468] Hochlandsgeschichten, Mißerfolg der Zivilprozeßordnung kann es noch zur Entschuldigung dienen, daß sie zur Zeit ihrer Einführung fast allgemein für ein Mustergesetz gehalten wurde. Für das Zivilgesetzbuch würde diese Entschuldigung nicht zutreffen. Denn unsre juristisch gebildeten Staatsmänner können schon jetzt nicht darüber zweifeln, daß dasselbe für die Rechtsprechung keine wünschenswerte Errungenschaft sein wird. Sonderbar! Während auf allen andern Gebieten des öffentlichen Lebens das Reich unserm Volke Gutes, ja zum Teil Vortreffliches gebracht hat, scheinen ihm auf dem Gebiete der Privatrcchtspflege, die man in frühern Zeiten als die erste Aufgabe des Staates betrachtete, nur Fehlgriffe beschieden zu sein!"') Hochlandsgeschichten» uf dem engen und zusehends sich verengernden Boden der Dorf¬ geschichte, insbesondre der bairischen „Hochlandsgcschichte," wie sie eigens benannt wurde, bieten Ludwig Ganghofer und Maxi¬ milian Schmidt, derzeit die einzigen Pfleger dieser Gattung von Erzählungen, deutlich erkennbare Gegensätze. Der ältere, Schmidt, zugleich der gelehrtere und der, der ständig in Baiern lebt, hat seine Stellung zum Hochlande Bayerns als Patriot, als Kulturhistoriker, als Ethno¬ graph gewonnen; der jüngere, der feit bald zehn Jahren nur zeitweilig, zur sommerlichen Ferienzeit oder bet einer verheißungsvoller Jagd, seine bairische Heimat besucht, im übrigen aber sich vielfach an Wien gebunden hat, ist unmittel¬ barer, unbefangner, frischer, frei von jenen an sich löblichen Tendenzen, er schildert das Hochgebirgsvolk und das Bauerntum, weil es sein Naturell man möchte sagen wahlverwandt anspricht und seiner dichterischen Gestaltungskraft sich am bequemsten anpaßt. Maximilian Schmidt will als Lokalpatriot bei der Unterhaltung auch die Kenntnis seines Gebirgswinkels in jeder Beziehung verbreiten: er flicht histo¬ rische Mitteilungen, Kostümstudien, wirtschaftliche Bemerkungen, philologische Glossen in seine Erzählungen ein; Ganghofer will nur unterhalten. Jedenfalls gewinnt dieser durch sein frisches Zugreifen die Leser mehr, als jener durch seine wohlmeinende Gelehrsamkeit. Ganghofer hat aber noch mehr voraus: weil er dichterisch ursprünglicher und stärker ist, setzt er sein ganzes Können an die Ausbildung der Charaktere, auf die Erfindung drastischer Szenen, und er ist in dieser Richtung glücklich genug. Schmidt ist mehr sentimental, seine Menschen haben etwas Mollnskenhciftes, seine Erfindungen sind ohne rechten Reiz, selten ist er ") Der Verleger der Grenzboten wird von diesem Aufsatze einen besondern Abdruck her¬ stellen, der im Buchhandel zu beziehen ist.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_289122
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_289122/468
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_289122/468>, abgerufen am 22.07.2024.