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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr.

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Der Gleichheitsgedanke als Rechtsprinzip.

Haltung der "natürlichen und unverjährbaren" Menschenrechte als oberster
Staatszweck bezeichnet, und als solche Rechte werden dann aufgezählt: Freiheit,
Eigentum, Sicherheit und Widerstand gegen Unterdrückung. Nach der An¬
schauung der Konstituante, d. h. also im wesentlichen des Bürgerstandes von
1789, sollte die Gleichheit der Grundrechte ihre Grenze finden an dem ebenso
"natürlichen und unverjährbaren" Rechte des Eigentums. Auf diese Weise
schrumpft die Gleichheit der Rechte zusammen zur gleichen Rechtsfähigkeit, auf
das Recht, in Staat und Gesellschaft überall hin zu gelangen, vorausgesetzt,
daß man die Mittel besitzt oder erwirbt, seinen Anspruch durchzusetzen. Wenn
die Demokratie so klug ist, sagte später Napoleon, sich auf die gleiche Erreich¬
barkeit des Zieles zu beschränken, so kann ihr die Herrschaft nicht fehlen. Im
ersten Konsul und in der von ihm entworfenen Verfassung findet sich der
bürgerliche Gleichheitsgedanke von 1789 am glänzendsten verkörpert, am wirk¬
samsten gesichert. Und das war es, warum der Name Napoleon noch in spä¬
terer Zeit auch außerhalb Frankreichs auf das liberale Bürgertum eine be¬
zaubernde Wirkung üben konnte. Freilich hatte in den Jahren, wo der
Liberalismus noch andächtig seine Blicke nach Paris richtete als dem Mekka des
Freiheits- und Gleichheitsglaubens, der preußische Staat durch die großartig
demokratischen Einrichtungen der allgemeinen Wehrpflicht und der allgemeinen
Schulpflicht auf dem Wege des Fortschrittes zu bürgerlicher Gleichheit that¬
sächlich längst den Vortritt genommen. Dagegen sollte es in Deutschland noch
geraume Zeit anstehen, bis die wirtschaftliche Entwicklung auf einem Punkte an¬
gelangt war, wo größere Massen des Volkes sich empfänglich zeigten für eine
Gleichheitslehre, die die vermögensrechtlichen Verhältnisse miteinbegreift.

In Frankreich hatte schon bei Beratung der Verfassung vom Jahre 1793
Robespierre versucht, dem gesetzlich ausgesprochenen Grundsatze der Gleichheit
auch einen vermögensrechtlichen Inhalt zu geben, indessen ohne Erfolg. Die
Praxis der Terroristen griff sodann zu Maßregeln, welche thatsächlich das
Vermögen der besitzenden Klasse den Führern des zur Herrschaft gelangten
Proletariats zur Verfügung stellten. Doch wurden Maßnahmen wie das
Konventsdekret vom 29. September 1793, welches den Höchstpreis der wich¬
tigsten Unterhaltsmittel festsetzt, auch von ihren Urhebern als Kampfgesetze
eines vorübergehenden Ausnahmezustandes betrachtet; ein dauerndes Prinzip
der Gesellschaftsordnung sollte darin nicht zum Ausdruck kommen. Unter dem
Direktorium wurde der erste Versuch gemacht, mit dem Hinweis auf die ewige
Gerechtigkeit, welche neben der politischen Gleichheit auch die wirtschaftliche er¬
heische, diese letztere thatsächliche Gleichheit (össalits as kg.it, öKg.1it,6 röslls) zur
Grundlage einer neuen gesellschaftlichen Ordnung zu machen. Es geschah dies
in der Verschwörung des Gracchus Babeuf und feiner Genossen. Von hier
hat die ganze sozialistisch-kommunistische Bewegung unsers Jahrhunderts ihren
Ausgang genommen.


Grenzboten III. 1883. 56
Der Gleichheitsgedanke als Rechtsprinzip.

Haltung der „natürlichen und unverjährbaren" Menschenrechte als oberster
Staatszweck bezeichnet, und als solche Rechte werden dann aufgezählt: Freiheit,
Eigentum, Sicherheit und Widerstand gegen Unterdrückung. Nach der An¬
schauung der Konstituante, d. h. also im wesentlichen des Bürgerstandes von
1789, sollte die Gleichheit der Grundrechte ihre Grenze finden an dem ebenso
„natürlichen und unverjährbaren" Rechte des Eigentums. Auf diese Weise
schrumpft die Gleichheit der Rechte zusammen zur gleichen Rechtsfähigkeit, auf
das Recht, in Staat und Gesellschaft überall hin zu gelangen, vorausgesetzt,
daß man die Mittel besitzt oder erwirbt, seinen Anspruch durchzusetzen. Wenn
die Demokratie so klug ist, sagte später Napoleon, sich auf die gleiche Erreich¬
barkeit des Zieles zu beschränken, so kann ihr die Herrschaft nicht fehlen. Im
ersten Konsul und in der von ihm entworfenen Verfassung findet sich der
bürgerliche Gleichheitsgedanke von 1789 am glänzendsten verkörpert, am wirk¬
samsten gesichert. Und das war es, warum der Name Napoleon noch in spä¬
terer Zeit auch außerhalb Frankreichs auf das liberale Bürgertum eine be¬
zaubernde Wirkung üben konnte. Freilich hatte in den Jahren, wo der
Liberalismus noch andächtig seine Blicke nach Paris richtete als dem Mekka des
Freiheits- und Gleichheitsglaubens, der preußische Staat durch die großartig
demokratischen Einrichtungen der allgemeinen Wehrpflicht und der allgemeinen
Schulpflicht auf dem Wege des Fortschrittes zu bürgerlicher Gleichheit that¬
sächlich längst den Vortritt genommen. Dagegen sollte es in Deutschland noch
geraume Zeit anstehen, bis die wirtschaftliche Entwicklung auf einem Punkte an¬
gelangt war, wo größere Massen des Volkes sich empfänglich zeigten für eine
Gleichheitslehre, die die vermögensrechtlichen Verhältnisse miteinbegreift.

In Frankreich hatte schon bei Beratung der Verfassung vom Jahre 1793
Robespierre versucht, dem gesetzlich ausgesprochenen Grundsatze der Gleichheit
auch einen vermögensrechtlichen Inhalt zu geben, indessen ohne Erfolg. Die
Praxis der Terroristen griff sodann zu Maßregeln, welche thatsächlich das
Vermögen der besitzenden Klasse den Führern des zur Herrschaft gelangten
Proletariats zur Verfügung stellten. Doch wurden Maßnahmen wie das
Konventsdekret vom 29. September 1793, welches den Höchstpreis der wich¬
tigsten Unterhaltsmittel festsetzt, auch von ihren Urhebern als Kampfgesetze
eines vorübergehenden Ausnahmezustandes betrachtet; ein dauerndes Prinzip
der Gesellschaftsordnung sollte darin nicht zum Ausdruck kommen. Unter dem
Direktorium wurde der erste Versuch gemacht, mit dem Hinweis auf die ewige
Gerechtigkeit, welche neben der politischen Gleichheit auch die wirtschaftliche er¬
heische, diese letztere thatsächliche Gleichheit (össalits as kg.it, öKg.1it,6 röslls) zur
Grundlage einer neuen gesellschaftlichen Ordnung zu machen. Es geschah dies
in der Verschwörung des Gracchus Babeuf und feiner Genossen. Von hier
hat die ganze sozialistisch-kommunistische Bewegung unsers Jahrhunderts ihren
Ausgang genommen.


Grenzboten III. 1883. 56
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[0449] Der Gleichheitsgedanke als Rechtsprinzip. Haltung der „natürlichen und unverjährbaren" Menschenrechte als oberster Staatszweck bezeichnet, und als solche Rechte werden dann aufgezählt: Freiheit, Eigentum, Sicherheit und Widerstand gegen Unterdrückung. Nach der An¬ schauung der Konstituante, d. h. also im wesentlichen des Bürgerstandes von 1789, sollte die Gleichheit der Grundrechte ihre Grenze finden an dem ebenso „natürlichen und unverjährbaren" Rechte des Eigentums. Auf diese Weise schrumpft die Gleichheit der Rechte zusammen zur gleichen Rechtsfähigkeit, auf das Recht, in Staat und Gesellschaft überall hin zu gelangen, vorausgesetzt, daß man die Mittel besitzt oder erwirbt, seinen Anspruch durchzusetzen. Wenn die Demokratie so klug ist, sagte später Napoleon, sich auf die gleiche Erreich¬ barkeit des Zieles zu beschränken, so kann ihr die Herrschaft nicht fehlen. Im ersten Konsul und in der von ihm entworfenen Verfassung findet sich der bürgerliche Gleichheitsgedanke von 1789 am glänzendsten verkörpert, am wirk¬ samsten gesichert. Und das war es, warum der Name Napoleon noch in spä¬ terer Zeit auch außerhalb Frankreichs auf das liberale Bürgertum eine be¬ zaubernde Wirkung üben konnte. Freilich hatte in den Jahren, wo der Liberalismus noch andächtig seine Blicke nach Paris richtete als dem Mekka des Freiheits- und Gleichheitsglaubens, der preußische Staat durch die großartig demokratischen Einrichtungen der allgemeinen Wehrpflicht und der allgemeinen Schulpflicht auf dem Wege des Fortschrittes zu bürgerlicher Gleichheit that¬ sächlich längst den Vortritt genommen. Dagegen sollte es in Deutschland noch geraume Zeit anstehen, bis die wirtschaftliche Entwicklung auf einem Punkte an¬ gelangt war, wo größere Massen des Volkes sich empfänglich zeigten für eine Gleichheitslehre, die die vermögensrechtlichen Verhältnisse miteinbegreift. In Frankreich hatte schon bei Beratung der Verfassung vom Jahre 1793 Robespierre versucht, dem gesetzlich ausgesprochenen Grundsatze der Gleichheit auch einen vermögensrechtlichen Inhalt zu geben, indessen ohne Erfolg. Die Praxis der Terroristen griff sodann zu Maßregeln, welche thatsächlich das Vermögen der besitzenden Klasse den Führern des zur Herrschaft gelangten Proletariats zur Verfügung stellten. Doch wurden Maßnahmen wie das Konventsdekret vom 29. September 1793, welches den Höchstpreis der wich¬ tigsten Unterhaltsmittel festsetzt, auch von ihren Urhebern als Kampfgesetze eines vorübergehenden Ausnahmezustandes betrachtet; ein dauerndes Prinzip der Gesellschaftsordnung sollte darin nicht zum Ausdruck kommen. Unter dem Direktorium wurde der erste Versuch gemacht, mit dem Hinweis auf die ewige Gerechtigkeit, welche neben der politischen Gleichheit auch die wirtschaftliche er¬ heische, diese letztere thatsächliche Gleichheit (össalits as kg.it, öKg.1it,6 röslls) zur Grundlage einer neuen gesellschaftlichen Ordnung zu machen. Es geschah dies in der Verschwörung des Gracchus Babeuf und feiner Genossen. Von hier hat die ganze sozialistisch-kommunistische Bewegung unsers Jahrhunderts ihren Ausgang genommen. Grenzboten III. 1883. 56

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_289122/449>, abgerufen am 24.08.2024.