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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr.

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Skizzen ans unserm heutigen Volksleben.

Gesellschaft aber kannte ihn, denn es war des Doktors Hund. Ich meine natürlich
den Doktor Grotjahn in Buchenheil. Kennen Sie den nicht? Er hat ja die be¬
kannte Nervenheilanstalt. Da kam nun die erbauliche Thatsache zu Tage, daß die
ganze Gesellschaft zu verschiednen Zeiten in Buchenheil gewesen war.

Ob ich auch dagewesen bin? Natürlich. Köstlich amüsirt da. Fideles Ge¬
fängnis. Warum? Ich hatte die Marotte, alle Leute für verrückt zu halten und
nur mich für gesund. Als man mir beigebracht hatte, daß ich auch verrückt sei,
wurde ich als geheilt entlassen.

Wo Schrimspepel ist, ist auch der Doktor nicht fern. Richtig, da stand er
mit einer Dame am Ufer. Er machte gerade seine Hochzeitsreise. Wen hatte er
geheiratet? Natürlich eine seiner Patientinnen. Ich gratulire zur Nachkommen¬
schaft! erstens wegen der Frau und zweitens auch des Doktors wegen, der, wie
alle Nervenärzte, seinen richtig ausgebildeten Sparren hat.

Das gab nun ein fideles Wiedersehen. Wir blieben ein paar Stunden bei¬
sammen und erzählten uns Anstaltsgeschichten, als wenn wir alle Portenser ge¬
wesen wären. Als wir uns trennten, war Louis Kaselitz nicht zu finden. Zuletzt
entdeckte ihn jemand in irgend einem Winkel. Der hatte die günstige Gelegenheit
benutzt, sich furchtbar zu betrinken.

Sehen Sie, das ist Jungdeutschland.

Nun denken Sie wohl, ich wäre der Meinung, daß einmal die Slawen unsre
Erbschaft antreten werden? Gott bewahre. Diese liederliche, verschnapste Gesell¬
schaft wird noch eher fertig werden als wir. Aber China. Wenn erst einmal
Rußland an China kaput gegangen ist, werden wirs mit China zu thun kriegen.
Chinesischer Krieg! kolossaler Gedanke! Was? Unsre pommerschen Jungen und
diese Mongolen! Nicht wahr, schneidiger Gedanke!

Wenn es dann noch unsre pommerschen Jungen giebt!

Man sollte die Ehe verstaatlichen und nur solche zusammen thun, von denen
ein gutes Züchtungsresultat zu erwarten ist. Nein, wirklich! Sie können das in
allem Ernste in Doktor Scholz seinem Buche lesen. Wird sich Wohl nicht durch¬
führen lassen. Aber, im Ernste geredet, man sollte die Freizügigkeit beschränken.
Wer einmal in der Stadt ist, der ist verloren. Man sollte mit dem Nachschub
gesunder Kräfte, die wir auf dem Lande haben, sparsamer umgehen.




Ich war unfreiwilliger Zuhörer eines Gespräches, das ich nur zu derjenigen
Hälfte hörte, die in dem bekannten anspruchsvollen Tone vorgetragen wurde,
in dem sich gewisse Offiziere gefallen. Diese Hälfte habe ich möglichst treu wieder¬
gegeben. Ich frage aber, hat der Herr nicht riesig übertrieben, oder sollte vielleicht
an der Sache mehr Wahres sein, als man gern zugeben möchte?


^.
s.6, v^tllism llslinssvit.


Skizzen ans unserm heutigen Volksleben.

Gesellschaft aber kannte ihn, denn es war des Doktors Hund. Ich meine natürlich
den Doktor Grotjahn in Buchenheil. Kennen Sie den nicht? Er hat ja die be¬
kannte Nervenheilanstalt. Da kam nun die erbauliche Thatsache zu Tage, daß die
ganze Gesellschaft zu verschiednen Zeiten in Buchenheil gewesen war.

Ob ich auch dagewesen bin? Natürlich. Köstlich amüsirt da. Fideles Ge¬
fängnis. Warum? Ich hatte die Marotte, alle Leute für verrückt zu halten und
nur mich für gesund. Als man mir beigebracht hatte, daß ich auch verrückt sei,
wurde ich als geheilt entlassen.

Wo Schrimspepel ist, ist auch der Doktor nicht fern. Richtig, da stand er
mit einer Dame am Ufer. Er machte gerade seine Hochzeitsreise. Wen hatte er
geheiratet? Natürlich eine seiner Patientinnen. Ich gratulire zur Nachkommen¬
schaft! erstens wegen der Frau und zweitens auch des Doktors wegen, der, wie
alle Nervenärzte, seinen richtig ausgebildeten Sparren hat.

Das gab nun ein fideles Wiedersehen. Wir blieben ein paar Stunden bei¬
sammen und erzählten uns Anstaltsgeschichten, als wenn wir alle Portenser ge¬
wesen wären. Als wir uns trennten, war Louis Kaselitz nicht zu finden. Zuletzt
entdeckte ihn jemand in irgend einem Winkel. Der hatte die günstige Gelegenheit
benutzt, sich furchtbar zu betrinken.

Sehen Sie, das ist Jungdeutschland.

Nun denken Sie wohl, ich wäre der Meinung, daß einmal die Slawen unsre
Erbschaft antreten werden? Gott bewahre. Diese liederliche, verschnapste Gesell¬
schaft wird noch eher fertig werden als wir. Aber China. Wenn erst einmal
Rußland an China kaput gegangen ist, werden wirs mit China zu thun kriegen.
Chinesischer Krieg! kolossaler Gedanke! Was? Unsre pommerschen Jungen und
diese Mongolen! Nicht wahr, schneidiger Gedanke!

Wenn es dann noch unsre pommerschen Jungen giebt!

Man sollte die Ehe verstaatlichen und nur solche zusammen thun, von denen
ein gutes Züchtungsresultat zu erwarten ist. Nein, wirklich! Sie können das in
allem Ernste in Doktor Scholz seinem Buche lesen. Wird sich Wohl nicht durch¬
führen lassen. Aber, im Ernste geredet, man sollte die Freizügigkeit beschränken.
Wer einmal in der Stadt ist, der ist verloren. Man sollte mit dem Nachschub
gesunder Kräfte, die wir auf dem Lande haben, sparsamer umgehen.




Ich war unfreiwilliger Zuhörer eines Gespräches, das ich nur zu derjenigen
Hälfte hörte, die in dem bekannten anspruchsvollen Tone vorgetragen wurde,
in dem sich gewisse Offiziere gefallen. Diese Hälfte habe ich möglichst treu wieder¬
gegeben. Ich frage aber, hat der Herr nicht riesig übertrieben, oder sollte vielleicht
an der Sache mehr Wahres sein, als man gern zugeben möchte?


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s.6, v^tllism llslinssvit.


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[0430] Skizzen ans unserm heutigen Volksleben. Gesellschaft aber kannte ihn, denn es war des Doktors Hund. Ich meine natürlich den Doktor Grotjahn in Buchenheil. Kennen Sie den nicht? Er hat ja die be¬ kannte Nervenheilanstalt. Da kam nun die erbauliche Thatsache zu Tage, daß die ganze Gesellschaft zu verschiednen Zeiten in Buchenheil gewesen war. Ob ich auch dagewesen bin? Natürlich. Köstlich amüsirt da. Fideles Ge¬ fängnis. Warum? Ich hatte die Marotte, alle Leute für verrückt zu halten und nur mich für gesund. Als man mir beigebracht hatte, daß ich auch verrückt sei, wurde ich als geheilt entlassen. Wo Schrimspepel ist, ist auch der Doktor nicht fern. Richtig, da stand er mit einer Dame am Ufer. Er machte gerade seine Hochzeitsreise. Wen hatte er geheiratet? Natürlich eine seiner Patientinnen. Ich gratulire zur Nachkommen¬ schaft! erstens wegen der Frau und zweitens auch des Doktors wegen, der, wie alle Nervenärzte, seinen richtig ausgebildeten Sparren hat. Das gab nun ein fideles Wiedersehen. Wir blieben ein paar Stunden bei¬ sammen und erzählten uns Anstaltsgeschichten, als wenn wir alle Portenser ge¬ wesen wären. Als wir uns trennten, war Louis Kaselitz nicht zu finden. Zuletzt entdeckte ihn jemand in irgend einem Winkel. Der hatte die günstige Gelegenheit benutzt, sich furchtbar zu betrinken. Sehen Sie, das ist Jungdeutschland. Nun denken Sie wohl, ich wäre der Meinung, daß einmal die Slawen unsre Erbschaft antreten werden? Gott bewahre. Diese liederliche, verschnapste Gesell¬ schaft wird noch eher fertig werden als wir. Aber China. Wenn erst einmal Rußland an China kaput gegangen ist, werden wirs mit China zu thun kriegen. Chinesischer Krieg! kolossaler Gedanke! Was? Unsre pommerschen Jungen und diese Mongolen! Nicht wahr, schneidiger Gedanke! Wenn es dann noch unsre pommerschen Jungen giebt! Man sollte die Ehe verstaatlichen und nur solche zusammen thun, von denen ein gutes Züchtungsresultat zu erwarten ist. Nein, wirklich! Sie können das in allem Ernste in Doktor Scholz seinem Buche lesen. Wird sich Wohl nicht durch¬ führen lassen. Aber, im Ernste geredet, man sollte die Freizügigkeit beschränken. Wer einmal in der Stadt ist, der ist verloren. Man sollte mit dem Nachschub gesunder Kräfte, die wir auf dem Lande haben, sparsamer umgehen. Ich war unfreiwilliger Zuhörer eines Gespräches, das ich nur zu derjenigen Hälfte hörte, die in dem bekannten anspruchsvollen Tone vorgetragen wurde, in dem sich gewisse Offiziere gefallen. Diese Hälfte habe ich möglichst treu wieder¬ gegeben. Ich frage aber, hat der Herr nicht riesig übertrieben, oder sollte vielleicht an der Sache mehr Wahres sein, als man gern zugeben möchte? ^. s.6, v^tllism llslinssvit.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_289122/430>, abgerufen am 24.08.2024.