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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr.

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Erinnerungen aus Alt-Jena.

spiel bot er aber doch. Eine Reihe bedeutender, ja berühmter Gelehrten fand sich
hier zusammen. Der Tübinger Kanzler von Wächter wurde zum Präsidenten des
Professorenparlaments gewählt und rechtfertigte das in ihn gesetzte Vertrauen mit
vollendeter Meisterschaft. Besondre Aufmerksamkeit erregten die Abgeordneten der
österreichischen Universitäten, darunter Männer wie Hye und Endlicher; sie waren
die Schoßkinder der Versammlung, ließen es aber auch an nachdrücklicher Be¬
tonung ihrer deutschen Gesinnung nicht fehlen. Die Wiener Hochschule hatte
neun Vertreter gesandt, darunter einen, der unmittelbar aus den Hallen der
"Aula" zu kommen schien und in seiner malerischen Tracht und seinem klir¬
renden Schleppsäbel aller Augen auf sich zog. Freilich war es ein ominöses
Zusammentreffen, daß schon in der nächsten Zeit die tumultuarische Thätigkeit
der "Aula" einen tragischen Abschluß fand und die so warm verkündigte Zu¬
sammengehörigkeit mit Deutschland in den Händen von Windischgrätz und
Schwarzenberg eine so blutige Beleuchtung erhielt. Bei den Verhandlungen des
Kongresses wurde das Programm zu Grunde gelegt, das der Jenaer Reform-
Verein ausgearbeitet hatte; die wichtigsten Fragen der Aufgabe und der Orga¬
nisation der Universitäten wurden der Reihe nach durchgesprochen und durch¬
greifende Beschlüsse gefaßt, die zuletzt und nachträglich freilich alle wirkungslos
geblieben sind. Unter den Rednern der Versammlung zeichnete sich der be¬
rühmte Pandektist Vangerow aus, er trat den radikalen Forderungen der linken
Seite der Versammlung mit zermalmender Beredsamkeit entgegen, deren gewal¬
tiger Eindruck nicht leicht zu überwinden war. Freilich gingen einige Anträge
weit über das Vernünftige und Zweckmäßige hinaus, ein gründlicher und un¬
bedachter Radikalismus machte sich bemerklich, ein vollständiger Neubau wurde
gefordert, wo höchstens einzelne Verbesserungen am Platze waren, und alles
dieses nach den beliebten nivellirenden Lehren der allgemeinen "Freiheit und
Gleichheit." Alle herkömmlichen Unterschiede innerhalb der Korporation sollten
aufhören, selbst die Studirenden sollten ihre Vertreter in den Senat schicken
und dergleichen höherer Unsinn mehr. Einen komischen Eindruck machte es, zu
sehen, daß ein achtungswerter Mann wie der greise Thiersch, aus offenbarem
Popularitätsbedürfnisse, für die radikalsten Forderungen eintrat und langatmige
Reden hielt. Doch behauptete zuletzt in den meisten Fällen der Geist der Be¬
sonnenheit und Erfahrung die Oberhand. Ein Beschluß ging dahin, daß diese
Versammlungen sich von Zeit zu Zeit wiederholen sollten; es wurde ein ge¬
schäftsführender Ausschuß gewählt, der auch einmal zusammentrat, aber damit
erreichte dies ganze Beginnen sein Ende. Es wurde unter den Trümmern der
zusammenbrechenden deutschen Bewegung begraben, nur daß diese gleichwohl eine
fruchtbare Saat ausgestreut hat, deren Wachsen und Reifen wir erlebt haben,
während der so hitzig betriebene Versuch einer Umgestaltung der Universitäten'
wohl oder übel, völlig im Sande verlief. Die eifrigen Reformer jener Tage
haben eben doch die wahre Natur dieser Anstalten nicht immer erkannt und die


Erinnerungen aus Alt-Jena.

spiel bot er aber doch. Eine Reihe bedeutender, ja berühmter Gelehrten fand sich
hier zusammen. Der Tübinger Kanzler von Wächter wurde zum Präsidenten des
Professorenparlaments gewählt und rechtfertigte das in ihn gesetzte Vertrauen mit
vollendeter Meisterschaft. Besondre Aufmerksamkeit erregten die Abgeordneten der
österreichischen Universitäten, darunter Männer wie Hye und Endlicher; sie waren
die Schoßkinder der Versammlung, ließen es aber auch an nachdrücklicher Be¬
tonung ihrer deutschen Gesinnung nicht fehlen. Die Wiener Hochschule hatte
neun Vertreter gesandt, darunter einen, der unmittelbar aus den Hallen der
„Aula" zu kommen schien und in seiner malerischen Tracht und seinem klir¬
renden Schleppsäbel aller Augen auf sich zog. Freilich war es ein ominöses
Zusammentreffen, daß schon in der nächsten Zeit die tumultuarische Thätigkeit
der „Aula" einen tragischen Abschluß fand und die so warm verkündigte Zu¬
sammengehörigkeit mit Deutschland in den Händen von Windischgrätz und
Schwarzenberg eine so blutige Beleuchtung erhielt. Bei den Verhandlungen des
Kongresses wurde das Programm zu Grunde gelegt, das der Jenaer Reform-
Verein ausgearbeitet hatte; die wichtigsten Fragen der Aufgabe und der Orga¬
nisation der Universitäten wurden der Reihe nach durchgesprochen und durch¬
greifende Beschlüsse gefaßt, die zuletzt und nachträglich freilich alle wirkungslos
geblieben sind. Unter den Rednern der Versammlung zeichnete sich der be¬
rühmte Pandektist Vangerow aus, er trat den radikalen Forderungen der linken
Seite der Versammlung mit zermalmender Beredsamkeit entgegen, deren gewal¬
tiger Eindruck nicht leicht zu überwinden war. Freilich gingen einige Anträge
weit über das Vernünftige und Zweckmäßige hinaus, ein gründlicher und un¬
bedachter Radikalismus machte sich bemerklich, ein vollständiger Neubau wurde
gefordert, wo höchstens einzelne Verbesserungen am Platze waren, und alles
dieses nach den beliebten nivellirenden Lehren der allgemeinen „Freiheit und
Gleichheit." Alle herkömmlichen Unterschiede innerhalb der Korporation sollten
aufhören, selbst die Studirenden sollten ihre Vertreter in den Senat schicken
und dergleichen höherer Unsinn mehr. Einen komischen Eindruck machte es, zu
sehen, daß ein achtungswerter Mann wie der greise Thiersch, aus offenbarem
Popularitätsbedürfnisse, für die radikalsten Forderungen eintrat und langatmige
Reden hielt. Doch behauptete zuletzt in den meisten Fällen der Geist der Be¬
sonnenheit und Erfahrung die Oberhand. Ein Beschluß ging dahin, daß diese
Versammlungen sich von Zeit zu Zeit wiederholen sollten; es wurde ein ge¬
schäftsführender Ausschuß gewählt, der auch einmal zusammentrat, aber damit
erreichte dies ganze Beginnen sein Ende. Es wurde unter den Trümmern der
zusammenbrechenden deutschen Bewegung begraben, nur daß diese gleichwohl eine
fruchtbare Saat ausgestreut hat, deren Wachsen und Reifen wir erlebt haben,
während der so hitzig betriebene Versuch einer Umgestaltung der Universitäten'
wohl oder übel, völlig im Sande verlief. Die eifrigen Reformer jener Tage
haben eben doch die wahre Natur dieser Anstalten nicht immer erkannt und die


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[0415] Erinnerungen aus Alt-Jena. spiel bot er aber doch. Eine Reihe bedeutender, ja berühmter Gelehrten fand sich hier zusammen. Der Tübinger Kanzler von Wächter wurde zum Präsidenten des Professorenparlaments gewählt und rechtfertigte das in ihn gesetzte Vertrauen mit vollendeter Meisterschaft. Besondre Aufmerksamkeit erregten die Abgeordneten der österreichischen Universitäten, darunter Männer wie Hye und Endlicher; sie waren die Schoßkinder der Versammlung, ließen es aber auch an nachdrücklicher Be¬ tonung ihrer deutschen Gesinnung nicht fehlen. Die Wiener Hochschule hatte neun Vertreter gesandt, darunter einen, der unmittelbar aus den Hallen der „Aula" zu kommen schien und in seiner malerischen Tracht und seinem klir¬ renden Schleppsäbel aller Augen auf sich zog. Freilich war es ein ominöses Zusammentreffen, daß schon in der nächsten Zeit die tumultuarische Thätigkeit der „Aula" einen tragischen Abschluß fand und die so warm verkündigte Zu¬ sammengehörigkeit mit Deutschland in den Händen von Windischgrätz und Schwarzenberg eine so blutige Beleuchtung erhielt. Bei den Verhandlungen des Kongresses wurde das Programm zu Grunde gelegt, das der Jenaer Reform- Verein ausgearbeitet hatte; die wichtigsten Fragen der Aufgabe und der Orga¬ nisation der Universitäten wurden der Reihe nach durchgesprochen und durch¬ greifende Beschlüsse gefaßt, die zuletzt und nachträglich freilich alle wirkungslos geblieben sind. Unter den Rednern der Versammlung zeichnete sich der be¬ rühmte Pandektist Vangerow aus, er trat den radikalen Forderungen der linken Seite der Versammlung mit zermalmender Beredsamkeit entgegen, deren gewal¬ tiger Eindruck nicht leicht zu überwinden war. Freilich gingen einige Anträge weit über das Vernünftige und Zweckmäßige hinaus, ein gründlicher und un¬ bedachter Radikalismus machte sich bemerklich, ein vollständiger Neubau wurde gefordert, wo höchstens einzelne Verbesserungen am Platze waren, und alles dieses nach den beliebten nivellirenden Lehren der allgemeinen „Freiheit und Gleichheit." Alle herkömmlichen Unterschiede innerhalb der Korporation sollten aufhören, selbst die Studirenden sollten ihre Vertreter in den Senat schicken und dergleichen höherer Unsinn mehr. Einen komischen Eindruck machte es, zu sehen, daß ein achtungswerter Mann wie der greise Thiersch, aus offenbarem Popularitätsbedürfnisse, für die radikalsten Forderungen eintrat und langatmige Reden hielt. Doch behauptete zuletzt in den meisten Fällen der Geist der Be¬ sonnenheit und Erfahrung die Oberhand. Ein Beschluß ging dahin, daß diese Versammlungen sich von Zeit zu Zeit wiederholen sollten; es wurde ein ge¬ schäftsführender Ausschuß gewählt, der auch einmal zusammentrat, aber damit erreichte dies ganze Beginnen sein Ende. Es wurde unter den Trümmern der zusammenbrechenden deutschen Bewegung begraben, nur daß diese gleichwohl eine fruchtbare Saat ausgestreut hat, deren Wachsen und Reifen wir erlebt haben, während der so hitzig betriebene Versuch einer Umgestaltung der Universitäten' wohl oder übel, völlig im Sande verlief. Die eifrigen Reformer jener Tage haben eben doch die wahre Natur dieser Anstalten nicht immer erkannt und die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_289122/415>, abgerufen am 22.07.2024.