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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr.

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Gefahren in der Geschichtswissenschaft.

eintreten und deshalb die Prozesse sich vermindern würden. Manche Streit¬
fragen, die zur Zeit im Rechte bestehe", würden allerdings durch das Gesetz
entschieden sein. Es würden aber noch weit mehr Streitfragen neu entstehen
dadurch, daß überall die Rechtsgedanken unter die Herrschaft neuer Wortformeln
gestellt werden. Als Beispiel kann uns der Zivilprozeß dienen. Die Zivil¬
prozeßordnung ist ein mit großer Sorgfalt abgefaßtes Gesetz. Seitdem sie aber
in Übung ist, wimmelt es in unsrer Rechtsprechung von streitigen Prozeßfragcn.

Es bleibt hiernach nur noch die Frage: Wie wird der Entwurf, wenn er
Gesetz geworden ist, auf die Rechtsprechung wirken? Wird er ihr einen neuen,
bessern Geist einflößen? Oder wird er uns wenigstens das Gute, das wir
besitzen, erhalten? Ohne auf die juristischen Einzelheiten des Entwurfes ein¬
zugehen, will ich die Frage hier nur aus einem allgemeinen Gesichtspunkte be¬
sprechen. (Schluß folgt.)




Gefahren in der Geschichtswissenschaft.
von I. von Pflugk-Harttung. (Schluß.)

och ein Unwesen mag geschildert werden, das mit dem Spezialistcn-
tume zusammenhängt. Hat sich jemand auf einem gewerblichen
Gebiete zum Großindustriellen emporgearbeitet, so ist er bestrebt,
es zu beherrschen und fremden Wettbewerb zu erdrücken. Genau
das Gleiche bietet nicht selten die Wissenschaft: der Großindustrielle
ist hier die Autorität. Im weitesten Umfange sucht sie Geltung zu gewinnen; ist
sie z. B. Autorität in Kaiserurkunden, so gälte sie auch gern dafür in Papst¬
urkunden, gern im ganzen Umkreise des betreffenden Faches, sie wünscht das Fach
zu monopolisiren. Da dies unmittelbar nicht möglich ist, so wird es mittel¬
bar besorgt. Die Bücher müssen womöglich mit der Formel auotors, oura,
"unter Leitung" u. s. w. als Geleitsstempel der Autorität versehen sein, oder
sie sollen ihr gewidmet sein oder doch wenigstens ihren Namen in der Ein¬
leitung enthalten. Wenn der Genannte nun wirklich Leiter, Mitarbeiter oder
dergleichen ist, so verzeichnet ihn ja das Buch mit Recht; aber von Selbstthätig¬
keit der Autorität findet sich bisweilen nichts oder doch fast nichts, und
so läuft das Ganze auf wissenschaftlichen Frondienst des Jüngeren zu Nutz
und Frommen beider hinaus. Die Autorität vermehrt sachlich ihren Ruhm,


Gefahren in der Geschichtswissenschaft.

eintreten und deshalb die Prozesse sich vermindern würden. Manche Streit¬
fragen, die zur Zeit im Rechte bestehe», würden allerdings durch das Gesetz
entschieden sein. Es würden aber noch weit mehr Streitfragen neu entstehen
dadurch, daß überall die Rechtsgedanken unter die Herrschaft neuer Wortformeln
gestellt werden. Als Beispiel kann uns der Zivilprozeß dienen. Die Zivil¬
prozeßordnung ist ein mit großer Sorgfalt abgefaßtes Gesetz. Seitdem sie aber
in Übung ist, wimmelt es in unsrer Rechtsprechung von streitigen Prozeßfragcn.

Es bleibt hiernach nur noch die Frage: Wie wird der Entwurf, wenn er
Gesetz geworden ist, auf die Rechtsprechung wirken? Wird er ihr einen neuen,
bessern Geist einflößen? Oder wird er uns wenigstens das Gute, das wir
besitzen, erhalten? Ohne auf die juristischen Einzelheiten des Entwurfes ein¬
zugehen, will ich die Frage hier nur aus einem allgemeinen Gesichtspunkte be¬
sprechen. (Schluß folgt.)




Gefahren in der Geschichtswissenschaft.
von I. von Pflugk-Harttung. (Schluß.)

och ein Unwesen mag geschildert werden, das mit dem Spezialistcn-
tume zusammenhängt. Hat sich jemand auf einem gewerblichen
Gebiete zum Großindustriellen emporgearbeitet, so ist er bestrebt,
es zu beherrschen und fremden Wettbewerb zu erdrücken. Genau
das Gleiche bietet nicht selten die Wissenschaft: der Großindustrielle
ist hier die Autorität. Im weitesten Umfange sucht sie Geltung zu gewinnen; ist
sie z. B. Autorität in Kaiserurkunden, so gälte sie auch gern dafür in Papst¬
urkunden, gern im ganzen Umkreise des betreffenden Faches, sie wünscht das Fach
zu monopolisiren. Da dies unmittelbar nicht möglich ist, so wird es mittel¬
bar besorgt. Die Bücher müssen womöglich mit der Formel auotors, oura,
„unter Leitung" u. s. w. als Geleitsstempel der Autorität versehen sein, oder
sie sollen ihr gewidmet sein oder doch wenigstens ihren Namen in der Ein¬
leitung enthalten. Wenn der Genannte nun wirklich Leiter, Mitarbeiter oder
dergleichen ist, so verzeichnet ihn ja das Buch mit Recht; aber von Selbstthätig¬
keit der Autorität findet sich bisweilen nichts oder doch fast nichts, und
so läuft das Ganze auf wissenschaftlichen Frondienst des Jüngeren zu Nutz
und Frommen beider hinaus. Die Autorität vermehrt sachlich ihren Ruhm,


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[0407] Gefahren in der Geschichtswissenschaft. eintreten und deshalb die Prozesse sich vermindern würden. Manche Streit¬ fragen, die zur Zeit im Rechte bestehe», würden allerdings durch das Gesetz entschieden sein. Es würden aber noch weit mehr Streitfragen neu entstehen dadurch, daß überall die Rechtsgedanken unter die Herrschaft neuer Wortformeln gestellt werden. Als Beispiel kann uns der Zivilprozeß dienen. Die Zivil¬ prozeßordnung ist ein mit großer Sorgfalt abgefaßtes Gesetz. Seitdem sie aber in Übung ist, wimmelt es in unsrer Rechtsprechung von streitigen Prozeßfragcn. Es bleibt hiernach nur noch die Frage: Wie wird der Entwurf, wenn er Gesetz geworden ist, auf die Rechtsprechung wirken? Wird er ihr einen neuen, bessern Geist einflößen? Oder wird er uns wenigstens das Gute, das wir besitzen, erhalten? Ohne auf die juristischen Einzelheiten des Entwurfes ein¬ zugehen, will ich die Frage hier nur aus einem allgemeinen Gesichtspunkte be¬ sprechen. (Schluß folgt.) Gefahren in der Geschichtswissenschaft. von I. von Pflugk-Harttung. (Schluß.) och ein Unwesen mag geschildert werden, das mit dem Spezialistcn- tume zusammenhängt. Hat sich jemand auf einem gewerblichen Gebiete zum Großindustriellen emporgearbeitet, so ist er bestrebt, es zu beherrschen und fremden Wettbewerb zu erdrücken. Genau das Gleiche bietet nicht selten die Wissenschaft: der Großindustrielle ist hier die Autorität. Im weitesten Umfange sucht sie Geltung zu gewinnen; ist sie z. B. Autorität in Kaiserurkunden, so gälte sie auch gern dafür in Papst¬ urkunden, gern im ganzen Umkreise des betreffenden Faches, sie wünscht das Fach zu monopolisiren. Da dies unmittelbar nicht möglich ist, so wird es mittel¬ bar besorgt. Die Bücher müssen womöglich mit der Formel auotors, oura, „unter Leitung" u. s. w. als Geleitsstempel der Autorität versehen sein, oder sie sollen ihr gewidmet sein oder doch wenigstens ihren Namen in der Ein¬ leitung enthalten. Wenn der Genannte nun wirklich Leiter, Mitarbeiter oder dergleichen ist, so verzeichnet ihn ja das Buch mit Recht; aber von Selbstthätig¬ keit der Autorität findet sich bisweilen nichts oder doch fast nichts, und so läuft das Ganze auf wissenschaftlichen Frondienst des Jüngeren zu Nutz und Frommen beider hinaus. Die Autorität vermehrt sachlich ihren Ruhm,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_289122/407>, abgerufen am 22.07.2024.