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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr.

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Das bürgerliche Gesetzbuch und die Zukunft der deutschen Rechtsprechung.

hochwichtige Angelegenheit. Aus diesem Gesichtspunkte ist der gegenwärtige
Aufsatz geschrieben worden.

Seit dem Ende des Mittelalters ist in Deutschland das römische Recht
eingeführt. Im zwölften Jahrhundert waren in Italien die Rechtsbücher
Justinians wieder aufgefunden und zum Gegenstande eifrigen Studiums gemacht
worden. Von dort verbreitete sich der Ruhm des römischen Rechtes auch nach
Deutschland. Viele Deutsche zogen nach Bologna, um dort römisches Recht
zu studiren. Auch auf die damals neu entstehenden deutschen Universitäten
wurden Lehrstühle des römischen Rechtes verpflanzt. So gelangte dieses auch
in Deutschland zur Geltung, nicht durch einen Akt der Gesetzgebung, sondern
durch die gemeinsame Überzeugung von einer inneren Notwendigkeit.

Es ist ein alter Streit, ob in dieser Aufnahme des römischen Rechtes für
Deutschland ein Glück oder ein Unglück gelegen habe. Thatsache ist, daß man
bis zu der Zeit, wo diese Aufnahme erfolgte, in Deutschland nicht vermocht
hatte, ein Recht auszubilden, das nur annähernd an innerer Vollendung dem
römischen Rechte gleichgekommen wäre. Nur aus diesem Notstände, nicht aus
dem mystischen Gedanken von der Fortsetzung des römischen Reiches in dem
Reiche deutscher Nation ist es zu erklären, daß das römische Recht trotz viel¬
fachen Widerstandes, der sich im Volke dagegen regte, die Herrschaft gewann.

Dieser Widerstand war nicht ohne Berechtigung. Blindlings wollten die
Oootoi'68 ^'uris ihr römisches Recht auf die deutschen Verhältnisse anwenden,
auch wo in diesen mit den römischen Satzungen unvereinbare Rechtsgedanken
lebendig waren. Nur mit Mühe vermochte eine gewisse Reaktion dagegen aus¬
zukommen. In manchen Ländern machten die Landesherren Gebrauch von ihrer
heranwachsenden Verordnungsgewalt, um durch Landesordnungen wenigstens
einen Teil deutscher Rechtsinstitute dem römischen Andrange gegenüber zu
retten. Auch in der Rechtswissenschaft wurde es nach und nach in gleicher
Richtung lebendig. Es entstand die Lehre des sogenannten deutschen Privat¬
rechts, welche eine Anzahl Rechtsinstitute umfaßte, in denen nach gemeinsamer
Rechtsüberzeugung das deutsche Recht dem römischen gegenüber die Herrschaft
bewahrt oder wiedergewonnen hatte. Auch noch in den nachfolgenden Jahrhun¬
derten griffen die Landesgesetzgebnng.er vielfach ordnend und verbessernd in die
Rechtslehren ein. So bildete sich in den deutschen Ländern das sogenannte gemeine
Recht aus. Seine Grundlage ist das römische Recht, das formell unsre gesamte
Rechtsbildung beherrscht. Durchbrochen aber ist dieses vielfach durch deutsche
Rechtsgedanken, die teils in der allgemeinen Rechtsüberzeugung wurzeln, teils
in einzelnen Landesgesetzen ihren Ausdruck gesunden haben.

Als nach langen Jahren des Unheils und der Not seit dem Ende des sieb¬
zehnten Jahrhunderts wieder geistiges Leben in Deutschland erwachte, regte sich
auch der Gedanke, ob nicht die Herrschaft eines fremden, in fremder Sprache
geschriebenen Rechtes durch die Schaffung einheimischer Gesetzbücher gebrochen


Das bürgerliche Gesetzbuch und die Zukunft der deutschen Rechtsprechung.

hochwichtige Angelegenheit. Aus diesem Gesichtspunkte ist der gegenwärtige
Aufsatz geschrieben worden.

Seit dem Ende des Mittelalters ist in Deutschland das römische Recht
eingeführt. Im zwölften Jahrhundert waren in Italien die Rechtsbücher
Justinians wieder aufgefunden und zum Gegenstande eifrigen Studiums gemacht
worden. Von dort verbreitete sich der Ruhm des römischen Rechtes auch nach
Deutschland. Viele Deutsche zogen nach Bologna, um dort römisches Recht
zu studiren. Auch auf die damals neu entstehenden deutschen Universitäten
wurden Lehrstühle des römischen Rechtes verpflanzt. So gelangte dieses auch
in Deutschland zur Geltung, nicht durch einen Akt der Gesetzgebung, sondern
durch die gemeinsame Überzeugung von einer inneren Notwendigkeit.

Es ist ein alter Streit, ob in dieser Aufnahme des römischen Rechtes für
Deutschland ein Glück oder ein Unglück gelegen habe. Thatsache ist, daß man
bis zu der Zeit, wo diese Aufnahme erfolgte, in Deutschland nicht vermocht
hatte, ein Recht auszubilden, das nur annähernd an innerer Vollendung dem
römischen Rechte gleichgekommen wäre. Nur aus diesem Notstände, nicht aus
dem mystischen Gedanken von der Fortsetzung des römischen Reiches in dem
Reiche deutscher Nation ist es zu erklären, daß das römische Recht trotz viel¬
fachen Widerstandes, der sich im Volke dagegen regte, die Herrschaft gewann.

Dieser Widerstand war nicht ohne Berechtigung. Blindlings wollten die
Oootoi'68 ^'uris ihr römisches Recht auf die deutschen Verhältnisse anwenden,
auch wo in diesen mit den römischen Satzungen unvereinbare Rechtsgedanken
lebendig waren. Nur mit Mühe vermochte eine gewisse Reaktion dagegen aus¬
zukommen. In manchen Ländern machten die Landesherren Gebrauch von ihrer
heranwachsenden Verordnungsgewalt, um durch Landesordnungen wenigstens
einen Teil deutscher Rechtsinstitute dem römischen Andrange gegenüber zu
retten. Auch in der Rechtswissenschaft wurde es nach und nach in gleicher
Richtung lebendig. Es entstand die Lehre des sogenannten deutschen Privat¬
rechts, welche eine Anzahl Rechtsinstitute umfaßte, in denen nach gemeinsamer
Rechtsüberzeugung das deutsche Recht dem römischen gegenüber die Herrschaft
bewahrt oder wiedergewonnen hatte. Auch noch in den nachfolgenden Jahrhun¬
derten griffen die Landesgesetzgebnng.er vielfach ordnend und verbessernd in die
Rechtslehren ein. So bildete sich in den deutschen Ländern das sogenannte gemeine
Recht aus. Seine Grundlage ist das römische Recht, das formell unsre gesamte
Rechtsbildung beherrscht. Durchbrochen aber ist dieses vielfach durch deutsche
Rechtsgedanken, die teils in der allgemeinen Rechtsüberzeugung wurzeln, teils
in einzelnen Landesgesetzen ihren Ausdruck gesunden haben.

Als nach langen Jahren des Unheils und der Not seit dem Ende des sieb¬
zehnten Jahrhunderts wieder geistiges Leben in Deutschland erwachte, regte sich
auch der Gedanke, ob nicht die Herrschaft eines fremden, in fremder Sprache
geschriebenen Rechtes durch die Schaffung einheimischer Gesetzbücher gebrochen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_289122/400>, abgerufen am 22.07.2024.