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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr.

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Die Parteigruppirung für das Abgeordnetenhaus.

aus der Fortschrittspartei hervorgegangen sind, sich jetzt in der Not und Angst
vor den Konservativen ihres Ursprungs erinnern und mit den demokratischen
Deutschfreisinnigen, in die sich die Fortschrittler umzutaufen für gut gefunden
haben, Wahlbündnisse schließen werden. Deutschfreisinnig ist ja eigentlich nur
eine Übersetzung von nationalliberal. Eine solche Wendung würde, so schließt
man weiter, die Nationalliberalen ganz sicher der Unterstützung berauben, die
ihnen der Kanzler sonst gewähren würde, und das ist das einzig Richtige an
der ganzen Betrachtung. Wenn es nur kein Wenn und kein Aber dabei gäbe.
Zu den wichtigeren Vorkommnissen der letzten Tage gehört der Besuch Bemngsens
in Friedrichsruhe, und wir dürfen wohl glauben, daß der 'Führer der National¬
liberalen als solcher und nicht als liebenswürdiger Privatmann zu dem Tus-
kulum des Kanzlers im Sachsenwalde gekommen ist und mehrere Tage dort
verweilt hat. Ob er aus eignem Antriebe oder, wie im Spätherbste 1877 nach
Varzin, auf Einladung Bismarcks hingegangen ist, wissen wir nicht, aber jeden¬
falls sind dort die Landtagswahlen, die Stellung der Partei Bennigsens zum
Kartell und zu den Fragen, die den Landtag beschäftigen werde", besprochen
worden; auch wäre unter den jetzigen Umständen nicht undenkbar, daß an Herrn
von Bennigsen wieder der Antrag ergangen wäre, der ihm einst in Varzin
gemacht wurde, aber vorzüglich an der Abneigung des Kaisers Wilhelm schei¬
terte.*) Die Zeiten haben sich inzwischen geändert. Wir haben seitdem das
Heidelberger Programm erlebt und die im ganzen darnach eingerichtete Stellung
der Nationalliberalen zur Negierung während der letzten Reichstagssession.
Bennigsen ist -- allerdings von Kaiser Friedrich -- durch Verleihung eines hohen
Ordens ausgezeichnet worden. Es ist also schwerlich zu befürchten, daß sich
jetzt Wiederholen wird, was sich nach der Varziner Begegnung begab, wir hoffen
vielmehr, daß eine Verständigung stattgefunden habe, und zwar eine solche, die
Dauer verheißt, da Bennigsen auf keinen Laster mehr Rücksicht zu nehmen hat
und die Partei durch den Abzug ihrer demokratischen Elemente in das Lager
der Deutschfreisinnigen gereinigt worden ist und der Fähigkeit zur Mitregierung
nahe gekommen zu sein scheint.

Daß der Kanzler eine Mehrheit, die auf einem Bündnisse der Konservativen,
wie die Kreuzzeitung sie sich wünscht, mit dem Zentrum beruhte, nicht brauchen,
jetzt und für eine absehbare Zukunft nicht brauchen kann, hat er wiederholt un¬
zweideutig erklären lassen. Es wurde mit dem staatsfeindlichen, jeder Autorität
(in der Septennatsfmge selbst der päpstlichen) den Gehorsam verweigernden, im
letzten Grunde unter der Maske katholisch-kirchlichen Eifers Partikularistischen
Charakter des Zentrums begründet. Wir dürfen aber wohl noch auf einen andern
Grund hinweisen, der 1875 bei einer Besprechung der Stellung der Hvchkirchlich-
Konservativen zum Kampfe mit Rom vom Kanzler geltend gemacht wurde und dem



*) Vergl. M. Breses, Unser Reichskanzler, B. 1, S. 204 Anmerkung.
Die Parteigruppirung für das Abgeordnetenhaus.

aus der Fortschrittspartei hervorgegangen sind, sich jetzt in der Not und Angst
vor den Konservativen ihres Ursprungs erinnern und mit den demokratischen
Deutschfreisinnigen, in die sich die Fortschrittler umzutaufen für gut gefunden
haben, Wahlbündnisse schließen werden. Deutschfreisinnig ist ja eigentlich nur
eine Übersetzung von nationalliberal. Eine solche Wendung würde, so schließt
man weiter, die Nationalliberalen ganz sicher der Unterstützung berauben, die
ihnen der Kanzler sonst gewähren würde, und das ist das einzig Richtige an
der ganzen Betrachtung. Wenn es nur kein Wenn und kein Aber dabei gäbe.
Zu den wichtigeren Vorkommnissen der letzten Tage gehört der Besuch Bemngsens
in Friedrichsruhe, und wir dürfen wohl glauben, daß der 'Führer der National¬
liberalen als solcher und nicht als liebenswürdiger Privatmann zu dem Tus-
kulum des Kanzlers im Sachsenwalde gekommen ist und mehrere Tage dort
verweilt hat. Ob er aus eignem Antriebe oder, wie im Spätherbste 1877 nach
Varzin, auf Einladung Bismarcks hingegangen ist, wissen wir nicht, aber jeden¬
falls sind dort die Landtagswahlen, die Stellung der Partei Bennigsens zum
Kartell und zu den Fragen, die den Landtag beschäftigen werde», besprochen
worden; auch wäre unter den jetzigen Umständen nicht undenkbar, daß an Herrn
von Bennigsen wieder der Antrag ergangen wäre, der ihm einst in Varzin
gemacht wurde, aber vorzüglich an der Abneigung des Kaisers Wilhelm schei¬
terte.*) Die Zeiten haben sich inzwischen geändert. Wir haben seitdem das
Heidelberger Programm erlebt und die im ganzen darnach eingerichtete Stellung
der Nationalliberalen zur Negierung während der letzten Reichstagssession.
Bennigsen ist — allerdings von Kaiser Friedrich — durch Verleihung eines hohen
Ordens ausgezeichnet worden. Es ist also schwerlich zu befürchten, daß sich
jetzt Wiederholen wird, was sich nach der Varziner Begegnung begab, wir hoffen
vielmehr, daß eine Verständigung stattgefunden habe, und zwar eine solche, die
Dauer verheißt, da Bennigsen auf keinen Laster mehr Rücksicht zu nehmen hat
und die Partei durch den Abzug ihrer demokratischen Elemente in das Lager
der Deutschfreisinnigen gereinigt worden ist und der Fähigkeit zur Mitregierung
nahe gekommen zu sein scheint.

Daß der Kanzler eine Mehrheit, die auf einem Bündnisse der Konservativen,
wie die Kreuzzeitung sie sich wünscht, mit dem Zentrum beruhte, nicht brauchen,
jetzt und für eine absehbare Zukunft nicht brauchen kann, hat er wiederholt un¬
zweideutig erklären lassen. Es wurde mit dem staatsfeindlichen, jeder Autorität
(in der Septennatsfmge selbst der päpstlichen) den Gehorsam verweigernden, im
letzten Grunde unter der Maske katholisch-kirchlichen Eifers Partikularistischen
Charakter des Zentrums begründet. Wir dürfen aber wohl noch auf einen andern
Grund hinweisen, der 1875 bei einer Besprechung der Stellung der Hvchkirchlich-
Konservativen zum Kampfe mit Rom vom Kanzler geltend gemacht wurde und dem



*) Vergl. M. Breses, Unser Reichskanzler, B. 1, S. 204 Anmerkung.
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[0396] Die Parteigruppirung für das Abgeordnetenhaus. aus der Fortschrittspartei hervorgegangen sind, sich jetzt in der Not und Angst vor den Konservativen ihres Ursprungs erinnern und mit den demokratischen Deutschfreisinnigen, in die sich die Fortschrittler umzutaufen für gut gefunden haben, Wahlbündnisse schließen werden. Deutschfreisinnig ist ja eigentlich nur eine Übersetzung von nationalliberal. Eine solche Wendung würde, so schließt man weiter, die Nationalliberalen ganz sicher der Unterstützung berauben, die ihnen der Kanzler sonst gewähren würde, und das ist das einzig Richtige an der ganzen Betrachtung. Wenn es nur kein Wenn und kein Aber dabei gäbe. Zu den wichtigeren Vorkommnissen der letzten Tage gehört der Besuch Bemngsens in Friedrichsruhe, und wir dürfen wohl glauben, daß der 'Führer der National¬ liberalen als solcher und nicht als liebenswürdiger Privatmann zu dem Tus- kulum des Kanzlers im Sachsenwalde gekommen ist und mehrere Tage dort verweilt hat. Ob er aus eignem Antriebe oder, wie im Spätherbste 1877 nach Varzin, auf Einladung Bismarcks hingegangen ist, wissen wir nicht, aber jeden¬ falls sind dort die Landtagswahlen, die Stellung der Partei Bennigsens zum Kartell und zu den Fragen, die den Landtag beschäftigen werde», besprochen worden; auch wäre unter den jetzigen Umständen nicht undenkbar, daß an Herrn von Bennigsen wieder der Antrag ergangen wäre, der ihm einst in Varzin gemacht wurde, aber vorzüglich an der Abneigung des Kaisers Wilhelm schei¬ terte.*) Die Zeiten haben sich inzwischen geändert. Wir haben seitdem das Heidelberger Programm erlebt und die im ganzen darnach eingerichtete Stellung der Nationalliberalen zur Negierung während der letzten Reichstagssession. Bennigsen ist — allerdings von Kaiser Friedrich — durch Verleihung eines hohen Ordens ausgezeichnet worden. Es ist also schwerlich zu befürchten, daß sich jetzt Wiederholen wird, was sich nach der Varziner Begegnung begab, wir hoffen vielmehr, daß eine Verständigung stattgefunden habe, und zwar eine solche, die Dauer verheißt, da Bennigsen auf keinen Laster mehr Rücksicht zu nehmen hat und die Partei durch den Abzug ihrer demokratischen Elemente in das Lager der Deutschfreisinnigen gereinigt worden ist und der Fähigkeit zur Mitregierung nahe gekommen zu sein scheint. Daß der Kanzler eine Mehrheit, die auf einem Bündnisse der Konservativen, wie die Kreuzzeitung sie sich wünscht, mit dem Zentrum beruhte, nicht brauchen, jetzt und für eine absehbare Zukunft nicht brauchen kann, hat er wiederholt un¬ zweideutig erklären lassen. Es wurde mit dem staatsfeindlichen, jeder Autorität (in der Septennatsfmge selbst der päpstlichen) den Gehorsam verweigernden, im letzten Grunde unter der Maske katholisch-kirchlichen Eifers Partikularistischen Charakter des Zentrums begründet. Wir dürfen aber wohl noch auf einen andern Grund hinweisen, der 1875 bei einer Besprechung der Stellung der Hvchkirchlich- Konservativen zum Kampfe mit Rom vom Kanzler geltend gemacht wurde und dem *) Vergl. M. Breses, Unser Reichskanzler, B. 1, S. 204 Anmerkung.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_289122/396>, abgerufen am 24.08.2024.