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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr.

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Gelo Ludwig als politischer Dichter.
Wenn Deutschland ruft, dein Vaterland,
Fluch dir, bist du ihm abgewandt.
Vergiß, vergiß zu dieser Frist,
Vergiß, was dir das Nächste ist,
Nur das, daß du ein Deutscher bist,
Das sollst du nie vergessen!

Und immer heißer, leidenschaftlicher zeigt sich der Schmerz des Dichters um die
allgemeine Lage Deutschlands, immer klarer wird es ihm, daß der eine Mann
fehlt, der den großen Gedanken des Vaterlandes nicht bloß denken, der ihn in
die Wirklichkeit übersetzen kann. Aus tiefster Seele ruft er da:

Wie bist du doch verachtet,
Mein deutsches Vaterland,
Daß mir die Seele schmachtet,
Mein Herz mir ist entbrannt,
Seh ich dich, das so prächtig
Vor allen könnte stehn,
So ärmlich, so unmächtig
Und so verspottet gehn.
Und deine Kinder schauen
Gleichgiltig deinen Schmerz,
In deinen weiten Gauen
Nicht ein, ein großes Herz!
Solls nimmer anders werden,
Die Schmach unsterblich sein?
Sieht denn kein Mensch auf Erden,
Kein Gott vom Himmel drein?
Daß, Deutschland, du zerschlagen
In vierzig Stücke bist,
Das setzt dich jedem Wagen
So bloß und jeder List.
Es fesseln vierzig Bande
Dir den gewalt'gen Leib,
Drum treiben Zwerge Schande
Mit dir, du Riesenweib.
Wonach die Volker dürsten:
Das Eine Vaterland,
Das steht, ihr deutschen Fürsten,
Das steht in eurer Hand;
Ein großes, ernstes Lösen
Beginnt zu dieser Frist,
Bedenkt es wohl, ihr Großen,
Daß Gott noch größer ist!

Dem edeln und ernsten Dichter ist es nicht vergönnt gewesen, die große
Wandlung im Geschicke des Vaterlandes zu erleben, auf die er doch mit gläubiger
Zuversicht gebaut, deren Herbeiführung durch ein "großes Herz" er voraus ge¬
ahnt hat. In dem poetischen Nachlasse Ludwigs finden sich hinreichende
Proben, daß der Dichter gelegentlich auch ansetzte, um der bittern Enttäuschung,
die ihn um 1850 überfiel, satirischen, epigrammatischen Ausdruck zu geben. Aber
seine Natur widerstrebte dem, und er hüllte sich in jene schweigende Resignation
für den Augenblick, die doch eine unerschütterliche Hoffnung auf die Zukunft
mit einschließt.

Die politische Lyrik war nur eine kurze Episode in seinem Dichterleben,
aber kräftig, männlich, klar und tief, wie Ludwig überall war. zeigt er sich auch
hier. Jedenfalls verdienen die mitgeteilten politischen Gedichte einer vollstän¬
digen Sammlung seiner Werke einverleibt zu werden.




Gelo Ludwig als politischer Dichter.
Wenn Deutschland ruft, dein Vaterland,
Fluch dir, bist du ihm abgewandt.
Vergiß, vergiß zu dieser Frist,
Vergiß, was dir das Nächste ist,
Nur das, daß du ein Deutscher bist,
Das sollst du nie vergessen!

Und immer heißer, leidenschaftlicher zeigt sich der Schmerz des Dichters um die
allgemeine Lage Deutschlands, immer klarer wird es ihm, daß der eine Mann
fehlt, der den großen Gedanken des Vaterlandes nicht bloß denken, der ihn in
die Wirklichkeit übersetzen kann. Aus tiefster Seele ruft er da:

Wie bist du doch verachtet,
Mein deutsches Vaterland,
Daß mir die Seele schmachtet,
Mein Herz mir ist entbrannt,
Seh ich dich, das so prächtig
Vor allen könnte stehn,
So ärmlich, so unmächtig
Und so verspottet gehn.
Und deine Kinder schauen
Gleichgiltig deinen Schmerz,
In deinen weiten Gauen
Nicht ein, ein großes Herz!
Solls nimmer anders werden,
Die Schmach unsterblich sein?
Sieht denn kein Mensch auf Erden,
Kein Gott vom Himmel drein?
Daß, Deutschland, du zerschlagen
In vierzig Stücke bist,
Das setzt dich jedem Wagen
So bloß und jeder List.
Es fesseln vierzig Bande
Dir den gewalt'gen Leib,
Drum treiben Zwerge Schande
Mit dir, du Riesenweib.
Wonach die Volker dürsten:
Das Eine Vaterland,
Das steht, ihr deutschen Fürsten,
Das steht in eurer Hand;
Ein großes, ernstes Lösen
Beginnt zu dieser Frist,
Bedenkt es wohl, ihr Großen,
Daß Gott noch größer ist!

Dem edeln und ernsten Dichter ist es nicht vergönnt gewesen, die große
Wandlung im Geschicke des Vaterlandes zu erleben, auf die er doch mit gläubiger
Zuversicht gebaut, deren Herbeiführung durch ein „großes Herz" er voraus ge¬
ahnt hat. In dem poetischen Nachlasse Ludwigs finden sich hinreichende
Proben, daß der Dichter gelegentlich auch ansetzte, um der bittern Enttäuschung,
die ihn um 1850 überfiel, satirischen, epigrammatischen Ausdruck zu geben. Aber
seine Natur widerstrebte dem, und er hüllte sich in jene schweigende Resignation
für den Augenblick, die doch eine unerschütterliche Hoffnung auf die Zukunft
mit einschließt.

Die politische Lyrik war nur eine kurze Episode in seinem Dichterleben,
aber kräftig, männlich, klar und tief, wie Ludwig überall war. zeigt er sich auch
hier. Jedenfalls verdienen die mitgeteilten politischen Gedichte einer vollstän¬
digen Sammlung seiner Werke einverleibt zu werden.




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[0039] Gelo Ludwig als politischer Dichter. Wenn Deutschland ruft, dein Vaterland, Fluch dir, bist du ihm abgewandt. Vergiß, vergiß zu dieser Frist, Vergiß, was dir das Nächste ist, Nur das, daß du ein Deutscher bist, Das sollst du nie vergessen! Und immer heißer, leidenschaftlicher zeigt sich der Schmerz des Dichters um die allgemeine Lage Deutschlands, immer klarer wird es ihm, daß der eine Mann fehlt, der den großen Gedanken des Vaterlandes nicht bloß denken, der ihn in die Wirklichkeit übersetzen kann. Aus tiefster Seele ruft er da: Wie bist du doch verachtet, Mein deutsches Vaterland, Daß mir die Seele schmachtet, Mein Herz mir ist entbrannt, Seh ich dich, das so prächtig Vor allen könnte stehn, So ärmlich, so unmächtig Und so verspottet gehn. Und deine Kinder schauen Gleichgiltig deinen Schmerz, In deinen weiten Gauen Nicht ein, ein großes Herz! Solls nimmer anders werden, Die Schmach unsterblich sein? Sieht denn kein Mensch auf Erden, Kein Gott vom Himmel drein? Daß, Deutschland, du zerschlagen In vierzig Stücke bist, Das setzt dich jedem Wagen So bloß und jeder List. Es fesseln vierzig Bande Dir den gewalt'gen Leib, Drum treiben Zwerge Schande Mit dir, du Riesenweib. Wonach die Volker dürsten: Das Eine Vaterland, Das steht, ihr deutschen Fürsten, Das steht in eurer Hand; Ein großes, ernstes Lösen Beginnt zu dieser Frist, Bedenkt es wohl, ihr Großen, Daß Gott noch größer ist! Dem edeln und ernsten Dichter ist es nicht vergönnt gewesen, die große Wandlung im Geschicke des Vaterlandes zu erleben, auf die er doch mit gläubiger Zuversicht gebaut, deren Herbeiführung durch ein „großes Herz" er voraus ge¬ ahnt hat. In dem poetischen Nachlasse Ludwigs finden sich hinreichende Proben, daß der Dichter gelegentlich auch ansetzte, um der bittern Enttäuschung, die ihn um 1850 überfiel, satirischen, epigrammatischen Ausdruck zu geben. Aber seine Natur widerstrebte dem, und er hüllte sich in jene schweigende Resignation für den Augenblick, die doch eine unerschütterliche Hoffnung auf die Zukunft mit einschließt. Die politische Lyrik war nur eine kurze Episode in seinem Dichterleben, aber kräftig, männlich, klar und tief, wie Ludwig überall war. zeigt er sich auch hier. Jedenfalls verdienen die mitgeteilten politischen Gedichte einer vollstän¬ digen Sammlung seiner Werke einverleibt zu werden.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_289122/39>, abgerufen am 24.08.2024.