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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr.

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Kleinere Mitteilungen,

Vollkommen so meinte er es jedoch nicht. Der Mensch baut sich so oft
Theorien, in denen er doch nicht wohnen will. Die Gedanken schweifen so oft
weiter hinaus, als das Gefühl für Recht und Unrecht Lust hat, ihnen zu
folgen. Aber dieser Gedanke bestand doch für ihn und nahm der stets er¬
forderlichen Lüge, Falschheit, Niedrigkeit und Gemeinheit viel von ihrem un¬
aufhaltsam zehrenden Gift.

Schließlich machte es sich aber doch fühlbar, es fraß zu viele von den
feinen, zarten Nerven an, um nicht bald Schaden anzurichten und Schmerzen
zu verursachen, und der Verlauf wurde dadurch sehr beschleunigt, daß Erik
bald nach Neujahr glaubte, eine Idee bekommen zu haben, etwas mit einem
grünen Gewände, erzählte er Ricks, und mit einer drohenden Stellung. Er¬
innerte er sich wohl noch des Grüns in Salvator Rosas Jonas? Etwas in
diesem Genre. (Fortsetzung folgt.)




Kleinere Mitteilungen.
Heinrich Seidel.

Wir haben schon vor mehreren Jahren einmal auf die
Schriften von Heinrich Seidel aufmerksam gemacht. Damals hatte Liebeskind in
Leipzig das bis dahin in unscheinbaren Biindcheu erschienene an sich gebracht und
begann es neben ganz neuem in der zierlichen Ausstattung, die er seinen Büchern
zu geben versteht, neu aufzulegen. Jetzt liegen allein von den Prosaschriften schon
fünf Bände vor, zum Teil in wiederholter Auflage, und wie wir hören, werden
die drei älteren dieser Bände (Jorinde und andre Geschichten -- Geschichten und
Skizzen aus der Heimat -- Vorstadtgeschichten) wiederum neu gedruckt werden und
dann mit den beiden neu erschienenen (Neues von Leberecht Hühnchen und andern
Sonderlingen -- Die goldene Zeit) und den Gedichtbänden eine einheitliche Ge¬
samtausgabe bilden, oder wohl den Beginn einer Gesamtausgabe; denn die
neuesten Gaben Seidels lassen nicht darauf schließen, daß sein Born so bald ver¬
siegen werde.

Es ist sehr erfreulich, daß sich diese Sachen Bahn gebrochen haben und einen
immer größern Leserkreis gewinnen. Man darf auch darin, daß so harmlose, frische
und gesunde Poesie sich durch das greuliche Litteraturgestrüpp durchzuarbeiten ver¬
mag, welches alles zu überwuchern drohte, ein Zeichen erblicken, daß uns wieder
eine "goldene Zeit" herannaht. Eine Zeit ruhigerer und stetiger Entwicklung, der
wir jetzt, Gott sei Dank, entgegenblicken, wird auch mit sich bringen, daß unser
deutsches Gemüt wieder mehr Einkehr bei sich selber hält und sich von der un¬
gesunden Kost abwendet, mit der es sich vergiftet hat in einer Zeit des äußern
und innern Kämpfens und Jagens, in der ein gepfefferter Genuß gesucht wurde,
um über die Leere des Augenblicks hinwegzuhelfen. Die bösen Früchte des
Naturalismus und Pessimismus können bei uns doch nur reifen und genossen
werden, wenn alles Ringen und Kämpfen nach außen geht, auf materielle
Dinge und Erfolge. Sie werden dann immer vorhanden und marktfähig sein,


Kleinere Mitteilungen,

Vollkommen so meinte er es jedoch nicht. Der Mensch baut sich so oft
Theorien, in denen er doch nicht wohnen will. Die Gedanken schweifen so oft
weiter hinaus, als das Gefühl für Recht und Unrecht Lust hat, ihnen zu
folgen. Aber dieser Gedanke bestand doch für ihn und nahm der stets er¬
forderlichen Lüge, Falschheit, Niedrigkeit und Gemeinheit viel von ihrem un¬
aufhaltsam zehrenden Gift.

Schließlich machte es sich aber doch fühlbar, es fraß zu viele von den
feinen, zarten Nerven an, um nicht bald Schaden anzurichten und Schmerzen
zu verursachen, und der Verlauf wurde dadurch sehr beschleunigt, daß Erik
bald nach Neujahr glaubte, eine Idee bekommen zu haben, etwas mit einem
grünen Gewände, erzählte er Ricks, und mit einer drohenden Stellung. Er¬
innerte er sich wohl noch des Grüns in Salvator Rosas Jonas? Etwas in
diesem Genre. (Fortsetzung folgt.)




Kleinere Mitteilungen.
Heinrich Seidel.

Wir haben schon vor mehreren Jahren einmal auf die
Schriften von Heinrich Seidel aufmerksam gemacht. Damals hatte Liebeskind in
Leipzig das bis dahin in unscheinbaren Biindcheu erschienene an sich gebracht und
begann es neben ganz neuem in der zierlichen Ausstattung, die er seinen Büchern
zu geben versteht, neu aufzulegen. Jetzt liegen allein von den Prosaschriften schon
fünf Bände vor, zum Teil in wiederholter Auflage, und wie wir hören, werden
die drei älteren dieser Bände (Jorinde und andre Geschichten — Geschichten und
Skizzen aus der Heimat — Vorstadtgeschichten) wiederum neu gedruckt werden und
dann mit den beiden neu erschienenen (Neues von Leberecht Hühnchen und andern
Sonderlingen — Die goldene Zeit) und den Gedichtbänden eine einheitliche Ge¬
samtausgabe bilden, oder wohl den Beginn einer Gesamtausgabe; denn die
neuesten Gaben Seidels lassen nicht darauf schließen, daß sein Born so bald ver¬
siegen werde.

Es ist sehr erfreulich, daß sich diese Sachen Bahn gebrochen haben und einen
immer größern Leserkreis gewinnen. Man darf auch darin, daß so harmlose, frische
und gesunde Poesie sich durch das greuliche Litteraturgestrüpp durchzuarbeiten ver¬
mag, welches alles zu überwuchern drohte, ein Zeichen erblicken, daß uns wieder
eine „goldene Zeit" herannaht. Eine Zeit ruhigerer und stetiger Entwicklung, der
wir jetzt, Gott sei Dank, entgegenblicken, wird auch mit sich bringen, daß unser
deutsches Gemüt wieder mehr Einkehr bei sich selber hält und sich von der un¬
gesunden Kost abwendet, mit der es sich vergiftet hat in einer Zeit des äußern
und innern Kämpfens und Jagens, in der ein gepfefferter Genuß gesucht wurde,
um über die Leere des Augenblicks hinwegzuhelfen. Die bösen Früchte des
Naturalismus und Pessimismus können bei uns doch nur reifen und genossen
werden, wenn alles Ringen und Kämpfen nach außen geht, auf materielle
Dinge und Erfolge. Sie werden dann immer vorhanden und marktfähig sein,


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[0388] Kleinere Mitteilungen, Vollkommen so meinte er es jedoch nicht. Der Mensch baut sich so oft Theorien, in denen er doch nicht wohnen will. Die Gedanken schweifen so oft weiter hinaus, als das Gefühl für Recht und Unrecht Lust hat, ihnen zu folgen. Aber dieser Gedanke bestand doch für ihn und nahm der stets er¬ forderlichen Lüge, Falschheit, Niedrigkeit und Gemeinheit viel von ihrem un¬ aufhaltsam zehrenden Gift. Schließlich machte es sich aber doch fühlbar, es fraß zu viele von den feinen, zarten Nerven an, um nicht bald Schaden anzurichten und Schmerzen zu verursachen, und der Verlauf wurde dadurch sehr beschleunigt, daß Erik bald nach Neujahr glaubte, eine Idee bekommen zu haben, etwas mit einem grünen Gewände, erzählte er Ricks, und mit einer drohenden Stellung. Er¬ innerte er sich wohl noch des Grüns in Salvator Rosas Jonas? Etwas in diesem Genre. (Fortsetzung folgt.) Kleinere Mitteilungen. Heinrich Seidel. Wir haben schon vor mehreren Jahren einmal auf die Schriften von Heinrich Seidel aufmerksam gemacht. Damals hatte Liebeskind in Leipzig das bis dahin in unscheinbaren Biindcheu erschienene an sich gebracht und begann es neben ganz neuem in der zierlichen Ausstattung, die er seinen Büchern zu geben versteht, neu aufzulegen. Jetzt liegen allein von den Prosaschriften schon fünf Bände vor, zum Teil in wiederholter Auflage, und wie wir hören, werden die drei älteren dieser Bände (Jorinde und andre Geschichten — Geschichten und Skizzen aus der Heimat — Vorstadtgeschichten) wiederum neu gedruckt werden und dann mit den beiden neu erschienenen (Neues von Leberecht Hühnchen und andern Sonderlingen — Die goldene Zeit) und den Gedichtbänden eine einheitliche Ge¬ samtausgabe bilden, oder wohl den Beginn einer Gesamtausgabe; denn die neuesten Gaben Seidels lassen nicht darauf schließen, daß sein Born so bald ver¬ siegen werde. Es ist sehr erfreulich, daß sich diese Sachen Bahn gebrochen haben und einen immer größern Leserkreis gewinnen. Man darf auch darin, daß so harmlose, frische und gesunde Poesie sich durch das greuliche Litteraturgestrüpp durchzuarbeiten ver¬ mag, welches alles zu überwuchern drohte, ein Zeichen erblicken, daß uns wieder eine „goldene Zeit" herannaht. Eine Zeit ruhigerer und stetiger Entwicklung, der wir jetzt, Gott sei Dank, entgegenblicken, wird auch mit sich bringen, daß unser deutsches Gemüt wieder mehr Einkehr bei sich selber hält und sich von der un¬ gesunden Kost abwendet, mit der es sich vergiftet hat in einer Zeit des äußern und innern Kämpfens und Jagens, in der ein gepfefferter Genuß gesucht wurde, um über die Leere des Augenblicks hinwegzuhelfen. Die bösen Früchte des Naturalismus und Pessimismus können bei uns doch nur reifen und genossen werden, wenn alles Ringen und Kämpfen nach außen geht, auf materielle Dinge und Erfolge. Sie werden dann immer vorhanden und marktfähig sein,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_289122/388>, abgerufen am 22.07.2024.