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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr.

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Ricks Lyhne.

Sie stand auf und schmiegte sich an seine Brust. Hier bin ich, ich lasse
dich nicht, ich lasse dich nicht von dannen ziehen, um selber in der alten Finster¬
nis zurückzubleiben. Es ist wie eine bodenlose Tiefe voller Ekel und Pein, ich
will mich nicht dahinein stürzen, eher springe ich ins Wasser, Ricks; und wenn
auch das neue Leben Schmerzen bringen wird, so sind es doch neue Schmerzen,
die nicht den abgestumpften Stachel der alten haben, die nicht so sicher treffen
können wie die alten, welche mein Herz so grausam genau kennen. Rede ich
verworrenes Zeug? Ja, sicher thue ich das, aber es ist so gut, ohne Rückhalt
mit dir sprechen zu können, ohne daß ich mich vor all dem Vielen zu hüten
brauche, was dir zu sagen bis jetzt unrecht war. Jetzt aber hast du ein Recht
vor allen andern! Ach, könntest du mich doch ganz nehmen, sodaß ich ganz
die deine wäre, daß ich mit nichts einem andern gehörte, o, daß du mich
herausheben könntest aus jedem Verhältnis, das mich umgiebt!

Wir müssen die Ketten zersprengen. Fennimore! Ich werde alles gut ein¬
richten, sei unbesorgt, eines Tages, ehe irgend jemand das Geringste ahnt, sind
wir über alle Berge!

Nein, nein, wir dürfen nicht entfliehen, nur das nicht, eher alles andre,
"is daß meine Eltern hören sollten, daß ihre Tochter davongelaufen sei, das
ist unmöglich, bei Gott im Himmel, das werde ich niemals thun, Ricks, das
thue ich niemals!

Aber du mußt es thun, meine Liebe, du mußt es thun. Siehst du denn
nicht all die Gemeinheit, all die Nichtswürdigkeit, die uns auf allen Seiten
umgeben wird, wenn wir bleiben? All die entwürdigende List und Falschheit
und Verstellung, die uns einschnüren wird, die uns niederdrücken, uns elend
machen wird? Ich will dich nicht von alledem besudeln lassen, das soll sich
nicht in unsre Liebe einfressen wie ein giftiger Rost.

Aber sie war nicht zu bewegen.

Du weißt nicht, wozu du uns verdammst, sagte er betrübt, es wäre
weit besser, wenn wir mit einem eisernen Haken aufträten, statt zu schonen.
Glaube nur, Fennimore, wenn wir unsre Liebe nicht Alles für uns sein lassen,
das Einzige, das Höchste in der Welt, das, was vor allem andern erlöst
werden muß, sodaß wir da zuschlagen, wo wir lieber heilen würden, daß wir
da Kummer verursachen, wo wir lieber jeden Schatten von Kummer fernhalten
würden, wenn wir das nicht thun, dann wirst du bald erleben, wie alles das,
worunter wir uns beugen, sich schwer auf unsre Schultern legen und uns in
die Kniee zwingen wird, unbarmherzig und unerbittlich. Ein Kampf auf den
Knieen liegend gekämpft, du weißt nicht, wie schwer der zu kämpfen ist. Du
mußt weinen! Wollen wir den Kampf doch kämpfen, meine Liebe, Seite an
Seite gegen alle und alles?

In den nächsten Tagen setzte Ricks seine Bemühungen, sie zur Flucht zu
überreden, fort, dann fing er an, es sich auszumalen, wie hart es Erik


Ricks Lyhne.

Sie stand auf und schmiegte sich an seine Brust. Hier bin ich, ich lasse
dich nicht, ich lasse dich nicht von dannen ziehen, um selber in der alten Finster¬
nis zurückzubleiben. Es ist wie eine bodenlose Tiefe voller Ekel und Pein, ich
will mich nicht dahinein stürzen, eher springe ich ins Wasser, Ricks; und wenn
auch das neue Leben Schmerzen bringen wird, so sind es doch neue Schmerzen,
die nicht den abgestumpften Stachel der alten haben, die nicht so sicher treffen
können wie die alten, welche mein Herz so grausam genau kennen. Rede ich
verworrenes Zeug? Ja, sicher thue ich das, aber es ist so gut, ohne Rückhalt
mit dir sprechen zu können, ohne daß ich mich vor all dem Vielen zu hüten
brauche, was dir zu sagen bis jetzt unrecht war. Jetzt aber hast du ein Recht
vor allen andern! Ach, könntest du mich doch ganz nehmen, sodaß ich ganz
die deine wäre, daß ich mit nichts einem andern gehörte, o, daß du mich
herausheben könntest aus jedem Verhältnis, das mich umgiebt!

Wir müssen die Ketten zersprengen. Fennimore! Ich werde alles gut ein¬
richten, sei unbesorgt, eines Tages, ehe irgend jemand das Geringste ahnt, sind
wir über alle Berge!

Nein, nein, wir dürfen nicht entfliehen, nur das nicht, eher alles andre,
«is daß meine Eltern hören sollten, daß ihre Tochter davongelaufen sei, das
ist unmöglich, bei Gott im Himmel, das werde ich niemals thun, Ricks, das
thue ich niemals!

Aber du mußt es thun, meine Liebe, du mußt es thun. Siehst du denn
nicht all die Gemeinheit, all die Nichtswürdigkeit, die uns auf allen Seiten
umgeben wird, wenn wir bleiben? All die entwürdigende List und Falschheit
und Verstellung, die uns einschnüren wird, die uns niederdrücken, uns elend
machen wird? Ich will dich nicht von alledem besudeln lassen, das soll sich
nicht in unsre Liebe einfressen wie ein giftiger Rost.

Aber sie war nicht zu bewegen.

Du weißt nicht, wozu du uns verdammst, sagte er betrübt, es wäre
weit besser, wenn wir mit einem eisernen Haken aufträten, statt zu schonen.
Glaube nur, Fennimore, wenn wir unsre Liebe nicht Alles für uns sein lassen,
das Einzige, das Höchste in der Welt, das, was vor allem andern erlöst
werden muß, sodaß wir da zuschlagen, wo wir lieber heilen würden, daß wir
da Kummer verursachen, wo wir lieber jeden Schatten von Kummer fernhalten
würden, wenn wir das nicht thun, dann wirst du bald erleben, wie alles das,
worunter wir uns beugen, sich schwer auf unsre Schultern legen und uns in
die Kniee zwingen wird, unbarmherzig und unerbittlich. Ein Kampf auf den
Knieen liegend gekämpft, du weißt nicht, wie schwer der zu kämpfen ist. Du
mußt weinen! Wollen wir den Kampf doch kämpfen, meine Liebe, Seite an
Seite gegen alle und alles?

In den nächsten Tagen setzte Ricks seine Bemühungen, sie zur Flucht zu
überreden, fort, dann fing er an, es sich auszumalen, wie hart es Erik


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[0386] Ricks Lyhne. Sie stand auf und schmiegte sich an seine Brust. Hier bin ich, ich lasse dich nicht, ich lasse dich nicht von dannen ziehen, um selber in der alten Finster¬ nis zurückzubleiben. Es ist wie eine bodenlose Tiefe voller Ekel und Pein, ich will mich nicht dahinein stürzen, eher springe ich ins Wasser, Ricks; und wenn auch das neue Leben Schmerzen bringen wird, so sind es doch neue Schmerzen, die nicht den abgestumpften Stachel der alten haben, die nicht so sicher treffen können wie die alten, welche mein Herz so grausam genau kennen. Rede ich verworrenes Zeug? Ja, sicher thue ich das, aber es ist so gut, ohne Rückhalt mit dir sprechen zu können, ohne daß ich mich vor all dem Vielen zu hüten brauche, was dir zu sagen bis jetzt unrecht war. Jetzt aber hast du ein Recht vor allen andern! Ach, könntest du mich doch ganz nehmen, sodaß ich ganz die deine wäre, daß ich mit nichts einem andern gehörte, o, daß du mich herausheben könntest aus jedem Verhältnis, das mich umgiebt! Wir müssen die Ketten zersprengen. Fennimore! Ich werde alles gut ein¬ richten, sei unbesorgt, eines Tages, ehe irgend jemand das Geringste ahnt, sind wir über alle Berge! Nein, nein, wir dürfen nicht entfliehen, nur das nicht, eher alles andre, «is daß meine Eltern hören sollten, daß ihre Tochter davongelaufen sei, das ist unmöglich, bei Gott im Himmel, das werde ich niemals thun, Ricks, das thue ich niemals! Aber du mußt es thun, meine Liebe, du mußt es thun. Siehst du denn nicht all die Gemeinheit, all die Nichtswürdigkeit, die uns auf allen Seiten umgeben wird, wenn wir bleiben? All die entwürdigende List und Falschheit und Verstellung, die uns einschnüren wird, die uns niederdrücken, uns elend machen wird? Ich will dich nicht von alledem besudeln lassen, das soll sich nicht in unsre Liebe einfressen wie ein giftiger Rost. Aber sie war nicht zu bewegen. Du weißt nicht, wozu du uns verdammst, sagte er betrübt, es wäre weit besser, wenn wir mit einem eisernen Haken aufträten, statt zu schonen. Glaube nur, Fennimore, wenn wir unsre Liebe nicht Alles für uns sein lassen, das Einzige, das Höchste in der Welt, das, was vor allem andern erlöst werden muß, sodaß wir da zuschlagen, wo wir lieber heilen würden, daß wir da Kummer verursachen, wo wir lieber jeden Schatten von Kummer fernhalten würden, wenn wir das nicht thun, dann wirst du bald erleben, wie alles das, worunter wir uns beugen, sich schwer auf unsre Schultern legen und uns in die Kniee zwingen wird, unbarmherzig und unerbittlich. Ein Kampf auf den Knieen liegend gekämpft, du weißt nicht, wie schwer der zu kämpfen ist. Du mußt weinen! Wollen wir den Kampf doch kämpfen, meine Liebe, Seite an Seite gegen alle und alles? In den nächsten Tagen setzte Ricks seine Bemühungen, sie zur Flucht zu überreden, fort, dann fing er an, es sich auszumalen, wie hart es Erik

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_289122/386>, abgerufen am 22.07.2024.