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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr.

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Ricks Lyhne.

saßen die Bucheckern in Menge, und die Vogelbeerbäume bogen sich unter der
Last der roten Traubenbüschel. Späte Brombeeren lagen schwarz und bräunlich
zwischen dem nassen Laub am Wege. Zwischen dem Heidekraut wuchsen Tüte¬
beeren, und die wilden Himbeersträuche trugen zum zweitenmale ihre mattroten
Früchte. Die Farrenkräuter hatten im Welken wohl hundert Farben, und gar
das Moos! Das war eine ganze Entdeckung, nicht nur die kräftigen, großen
Moosarten in den Niederungen und an den Abhängen, die Ähnlichkeit mit
Tannen, aber auch mit Palmen und Straußenfedern haben konnten, sondern
auch das feine Moos an den Baumstämmen, das so aussah, wie man sich wohl
die Kornfelder der Elfen vorstellt, in so feinen, feinen Halmen schoß es auf mit
dunkelbraunen Köpfchen an den Spitzen, die Kornähren glichen.

Kreuz und quer durchstreiften sie den Wald, wie Kinder eifrig bemüht, seine
Schätze und Merkwürdigkeiten aufzufinden; und ganz wie Kinder zu thun
pflegen, hatten sie den Wald unter sich geteilt, sodaß der Teil, der auf der
einen Seite des Fahrweges lag, Fennimore gehörte, und der auf der andern
Ricks, und sie verglichen oft ihre Reiche miteinander und stritten sich, wer das
herrlichste hätte. Sie hatten auch für alles drinnen im Walde Namen, für die
Höhen und Klüfte, für die Steige und Pfade, für die Grüfte und Dämme;
und stand hier oder dort ein besonders schöner oder großer Baum, so hatte
auch der seinen Namen. So hatten sie den Wald auf jede nur denkbare Weise
in Besitz genommen, und so hatten sie sich eine kleine Welt für sich geschaffen,
eine Welt, die niemand kannte, in der niemand so heimisch war wie sie. Und
doch hatten sie kein Geheimnis mit einander, das nicht alle Welt hätte hören
können.

Noch hatten sie kein Geheimnis! Aber die Liebe war in ihren Herzen,
und war auch doch wieder nicht wirklich da, ebenso wie sich in einer über¬
sättigten Lösung Krystalle befinden und auch doch wieder nicht wirklich da sind,
nicht eher, als bis sich der entsprechende Stoff, und wenn es auch nur ein
Fäserchen desselben wäre, in die Flüssigkeit senkt, und sich dann gleichsam wie
mit einem Zauberschlage die schlummernden Atome ausscheiden, sodaß sie einander
entgegenfliegen, sich an einander festsetzen, Glied an Glied nach unerforschlichen
Gesetzen und in einem Nu Krystalle sind -- Krystalle!

So war es auch eine ganz unbedeutende Veranlassung, die sie fühlen ließ,
daß sie einander liebten.

Es ist nicht viel davon zu erzählen, es war ein Tag wie alle andern, sie
waren allein im Wohnzimmer, wie sie es hundertmal vorher gewesen waren,
und ihre Unterhaltung hatte sich um ganz gleichgiltige Dinge gedreht, und das,
was von außen her auf sie einwirkte, war so gewöhnlich, alltäglich wie nur
möglich, es war nichts andres, als daß Ricks am Fenster stand und hinaus¬
sah, und daß Fennimore sich neben ihn stellte und auch hinaussah, das war
das Ganze, aber es genügte, um gleichsam wie mit einem Blitzstrahl die Ver-


Ricks Lyhne.

saßen die Bucheckern in Menge, und die Vogelbeerbäume bogen sich unter der
Last der roten Traubenbüschel. Späte Brombeeren lagen schwarz und bräunlich
zwischen dem nassen Laub am Wege. Zwischen dem Heidekraut wuchsen Tüte¬
beeren, und die wilden Himbeersträuche trugen zum zweitenmale ihre mattroten
Früchte. Die Farrenkräuter hatten im Welken wohl hundert Farben, und gar
das Moos! Das war eine ganze Entdeckung, nicht nur die kräftigen, großen
Moosarten in den Niederungen und an den Abhängen, die Ähnlichkeit mit
Tannen, aber auch mit Palmen und Straußenfedern haben konnten, sondern
auch das feine Moos an den Baumstämmen, das so aussah, wie man sich wohl
die Kornfelder der Elfen vorstellt, in so feinen, feinen Halmen schoß es auf mit
dunkelbraunen Köpfchen an den Spitzen, die Kornähren glichen.

Kreuz und quer durchstreiften sie den Wald, wie Kinder eifrig bemüht, seine
Schätze und Merkwürdigkeiten aufzufinden; und ganz wie Kinder zu thun
pflegen, hatten sie den Wald unter sich geteilt, sodaß der Teil, der auf der
einen Seite des Fahrweges lag, Fennimore gehörte, und der auf der andern
Ricks, und sie verglichen oft ihre Reiche miteinander und stritten sich, wer das
herrlichste hätte. Sie hatten auch für alles drinnen im Walde Namen, für die
Höhen und Klüfte, für die Steige und Pfade, für die Grüfte und Dämme;
und stand hier oder dort ein besonders schöner oder großer Baum, so hatte
auch der seinen Namen. So hatten sie den Wald auf jede nur denkbare Weise
in Besitz genommen, und so hatten sie sich eine kleine Welt für sich geschaffen,
eine Welt, die niemand kannte, in der niemand so heimisch war wie sie. Und
doch hatten sie kein Geheimnis mit einander, das nicht alle Welt hätte hören
können.

Noch hatten sie kein Geheimnis! Aber die Liebe war in ihren Herzen,
und war auch doch wieder nicht wirklich da, ebenso wie sich in einer über¬
sättigten Lösung Krystalle befinden und auch doch wieder nicht wirklich da sind,
nicht eher, als bis sich der entsprechende Stoff, und wenn es auch nur ein
Fäserchen desselben wäre, in die Flüssigkeit senkt, und sich dann gleichsam wie
mit einem Zauberschlage die schlummernden Atome ausscheiden, sodaß sie einander
entgegenfliegen, sich an einander festsetzen, Glied an Glied nach unerforschlichen
Gesetzen und in einem Nu Krystalle sind — Krystalle!

So war es auch eine ganz unbedeutende Veranlassung, die sie fühlen ließ,
daß sie einander liebten.

Es ist nicht viel davon zu erzählen, es war ein Tag wie alle andern, sie
waren allein im Wohnzimmer, wie sie es hundertmal vorher gewesen waren,
und ihre Unterhaltung hatte sich um ganz gleichgiltige Dinge gedreht, und das,
was von außen her auf sie einwirkte, war so gewöhnlich, alltäglich wie nur
möglich, es war nichts andres, als daß Ricks am Fenster stand und hinaus¬
sah, und daß Fennimore sich neben ihn stellte und auch hinaussah, das war
das Ganze, aber es genügte, um gleichsam wie mit einem Blitzstrahl die Ver-


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[0384] Ricks Lyhne. saßen die Bucheckern in Menge, und die Vogelbeerbäume bogen sich unter der Last der roten Traubenbüschel. Späte Brombeeren lagen schwarz und bräunlich zwischen dem nassen Laub am Wege. Zwischen dem Heidekraut wuchsen Tüte¬ beeren, und die wilden Himbeersträuche trugen zum zweitenmale ihre mattroten Früchte. Die Farrenkräuter hatten im Welken wohl hundert Farben, und gar das Moos! Das war eine ganze Entdeckung, nicht nur die kräftigen, großen Moosarten in den Niederungen und an den Abhängen, die Ähnlichkeit mit Tannen, aber auch mit Palmen und Straußenfedern haben konnten, sondern auch das feine Moos an den Baumstämmen, das so aussah, wie man sich wohl die Kornfelder der Elfen vorstellt, in so feinen, feinen Halmen schoß es auf mit dunkelbraunen Köpfchen an den Spitzen, die Kornähren glichen. Kreuz und quer durchstreiften sie den Wald, wie Kinder eifrig bemüht, seine Schätze und Merkwürdigkeiten aufzufinden; und ganz wie Kinder zu thun pflegen, hatten sie den Wald unter sich geteilt, sodaß der Teil, der auf der einen Seite des Fahrweges lag, Fennimore gehörte, und der auf der andern Ricks, und sie verglichen oft ihre Reiche miteinander und stritten sich, wer das herrlichste hätte. Sie hatten auch für alles drinnen im Walde Namen, für die Höhen und Klüfte, für die Steige und Pfade, für die Grüfte und Dämme; und stand hier oder dort ein besonders schöner oder großer Baum, so hatte auch der seinen Namen. So hatten sie den Wald auf jede nur denkbare Weise in Besitz genommen, und so hatten sie sich eine kleine Welt für sich geschaffen, eine Welt, die niemand kannte, in der niemand so heimisch war wie sie. Und doch hatten sie kein Geheimnis mit einander, das nicht alle Welt hätte hören können. Noch hatten sie kein Geheimnis! Aber die Liebe war in ihren Herzen, und war auch doch wieder nicht wirklich da, ebenso wie sich in einer über¬ sättigten Lösung Krystalle befinden und auch doch wieder nicht wirklich da sind, nicht eher, als bis sich der entsprechende Stoff, und wenn es auch nur ein Fäserchen desselben wäre, in die Flüssigkeit senkt, und sich dann gleichsam wie mit einem Zauberschlage die schlummernden Atome ausscheiden, sodaß sie einander entgegenfliegen, sich an einander festsetzen, Glied an Glied nach unerforschlichen Gesetzen und in einem Nu Krystalle sind — Krystalle! So war es auch eine ganz unbedeutende Veranlassung, die sie fühlen ließ, daß sie einander liebten. Es ist nicht viel davon zu erzählen, es war ein Tag wie alle andern, sie waren allein im Wohnzimmer, wie sie es hundertmal vorher gewesen waren, und ihre Unterhaltung hatte sich um ganz gleichgiltige Dinge gedreht, und das, was von außen her auf sie einwirkte, war so gewöhnlich, alltäglich wie nur möglich, es war nichts andres, als daß Ricks am Fenster stand und hinaus¬ sah, und daß Fennimore sich neben ihn stellte und auch hinaussah, das war das Ganze, aber es genügte, um gleichsam wie mit einem Blitzstrahl die Ver-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_289122/384>, abgerufen am 22.07.2024.