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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr.

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Ricks Lyhne.

sie aus alter Gewohnheit sitzen, er, den Arm um ihren Leib geschlungen, sie,
das Haupt an seine Schulter gelehnt, in tiefes Schweigen versunken, einander
vergessend; sie, um des Herrlichen zu gedenken, der er doch niemals gewesen war,
er, um sie im Traume zu dem Ideal umzuschaffen, das er jetzt immer in den
Wolken strahlen sah, hoch über ihrem Haupte. So war ihr Zusammenleben,
und die Tage kamen und gingen wieder und brachten keine Veränderung, und
Tag für Tag starrten sie hinaus auf die Wüste des Lebens und sagten sich
selber, daß es eine Wüste sei, daß dort keine Blumen blühten, daß auch keine
Aussicht auf Blumen, Quellen oder grüne Palmen sei.

Je mehr der Herbst vorschritt, desto häufiger wurden Eriks Ausschwei¬
fungen. Was sollte es auch nützen, sagte er zu Ricks, daß er zu Hause säße
und auf Ideen wartete, die doch niemals kamen, bis ihm die Gedanken in seinem
Kopfe zu Steinen wurden. Übrigens fand Erik nicht viel Trost in Ricks' Ge¬
sellschaft, er fühlte sich zu Leuten, die aus gröberem Schrot waren, hingezogen,
zu Leuten, die von Fleisch und Blut strotzten, die nicht ein Spielball zarter
Nerven waren. So waren Ricks und Fennimore oft allein zusammen, denn
Ricks ruderte jeden Tag nach Marianenlund hinüber.

Der Freundschaftsbund, den sie mit einander geschlossen hatten, und die
Worte, die an jenem Svnntagsabend zwischen ihnen gefallen waren, hatten sie
in ihrem Verhältnis zu einander ungezwungener und sicherer gemacht, und sie
schlössen sich, einsam wie sie beide waren, immer enger und wärmer an einander
an. Dieser herzliche Verkehr erhielt bald eine so große Macht über sie und
nahm ihre Sinne so gefangen, daß ihre Gedanken, ob sie nun bei einander oder
getrennt waren, stets nach diesem Freundschaftsverhältnis hinstrebten, gleichsam
wie Vögel, die an demselben Neste bauen, alles sehen, das, was sie sammeln,
wie das, was sie verwerfen, stets mit dem einen, gemütlichen Ziele vor Augen,
das Nest recht warm und weich für einander und für sich selber zu machen.

Wenn Ricks herüberkam, so machten sie fast immer, ob es regnete oder
stürmte, lange Spaziergänge in dem Walde, der an ihren Garten stieß. Sie
hatten sich in diesen Wald förmlich verliebt, und je mehr das Sommerleben
darin erstarb, desto teurer wurde er ihnen. Da waren ja auch tausenderlei
Dinge zu sehen. Erst wie das Laub gelb, braun und rot wurde, dann wie es
abfiel, an einem stürmischen Tage in gelbem Wirbel dahinfegte, wenn es aber
windstill war. leise Blatt um Blatt zur Erde schwebte, sanft herabraschelnd gegen
und zwischen die steifen Äste und die schwanken, braunen Zweige. Und während
das Laub von den Bäumen und Büschen fiel, wie kamen da alle die ver¬
borgensten Geheimnisse des Sommers zum Vorschein, eins nach dem andern,
und wie lag und saß es da rings umher voll von zierlichen Früchten und
farbenreichen Beeren, braunen Nüssen, blanken Eicheln und niedlichen Eichel-
bechcrn, Korallenbüscheln an den Berberitzen, schwarzen, blanken Schlehdorn¬
beeren und scharlachroten Urnen an den Heckenrosen. An den blattlosen Buchen


Ricks Lyhne.

sie aus alter Gewohnheit sitzen, er, den Arm um ihren Leib geschlungen, sie,
das Haupt an seine Schulter gelehnt, in tiefes Schweigen versunken, einander
vergessend; sie, um des Herrlichen zu gedenken, der er doch niemals gewesen war,
er, um sie im Traume zu dem Ideal umzuschaffen, das er jetzt immer in den
Wolken strahlen sah, hoch über ihrem Haupte. So war ihr Zusammenleben,
und die Tage kamen und gingen wieder und brachten keine Veränderung, und
Tag für Tag starrten sie hinaus auf die Wüste des Lebens und sagten sich
selber, daß es eine Wüste sei, daß dort keine Blumen blühten, daß auch keine
Aussicht auf Blumen, Quellen oder grüne Palmen sei.

Je mehr der Herbst vorschritt, desto häufiger wurden Eriks Ausschwei¬
fungen. Was sollte es auch nützen, sagte er zu Ricks, daß er zu Hause säße
und auf Ideen wartete, die doch niemals kamen, bis ihm die Gedanken in seinem
Kopfe zu Steinen wurden. Übrigens fand Erik nicht viel Trost in Ricks' Ge¬
sellschaft, er fühlte sich zu Leuten, die aus gröberem Schrot waren, hingezogen,
zu Leuten, die von Fleisch und Blut strotzten, die nicht ein Spielball zarter
Nerven waren. So waren Ricks und Fennimore oft allein zusammen, denn
Ricks ruderte jeden Tag nach Marianenlund hinüber.

Der Freundschaftsbund, den sie mit einander geschlossen hatten, und die
Worte, die an jenem Svnntagsabend zwischen ihnen gefallen waren, hatten sie
in ihrem Verhältnis zu einander ungezwungener und sicherer gemacht, und sie
schlössen sich, einsam wie sie beide waren, immer enger und wärmer an einander
an. Dieser herzliche Verkehr erhielt bald eine so große Macht über sie und
nahm ihre Sinne so gefangen, daß ihre Gedanken, ob sie nun bei einander oder
getrennt waren, stets nach diesem Freundschaftsverhältnis hinstrebten, gleichsam
wie Vögel, die an demselben Neste bauen, alles sehen, das, was sie sammeln,
wie das, was sie verwerfen, stets mit dem einen, gemütlichen Ziele vor Augen,
das Nest recht warm und weich für einander und für sich selber zu machen.

Wenn Ricks herüberkam, so machten sie fast immer, ob es regnete oder
stürmte, lange Spaziergänge in dem Walde, der an ihren Garten stieß. Sie
hatten sich in diesen Wald förmlich verliebt, und je mehr das Sommerleben
darin erstarb, desto teurer wurde er ihnen. Da waren ja auch tausenderlei
Dinge zu sehen. Erst wie das Laub gelb, braun und rot wurde, dann wie es
abfiel, an einem stürmischen Tage in gelbem Wirbel dahinfegte, wenn es aber
windstill war. leise Blatt um Blatt zur Erde schwebte, sanft herabraschelnd gegen
und zwischen die steifen Äste und die schwanken, braunen Zweige. Und während
das Laub von den Bäumen und Büschen fiel, wie kamen da alle die ver¬
borgensten Geheimnisse des Sommers zum Vorschein, eins nach dem andern,
und wie lag und saß es da rings umher voll von zierlichen Früchten und
farbenreichen Beeren, braunen Nüssen, blanken Eicheln und niedlichen Eichel-
bechcrn, Korallenbüscheln an den Berberitzen, schwarzen, blanken Schlehdorn¬
beeren und scharlachroten Urnen an den Heckenrosen. An den blattlosen Buchen


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[0383] Ricks Lyhne. sie aus alter Gewohnheit sitzen, er, den Arm um ihren Leib geschlungen, sie, das Haupt an seine Schulter gelehnt, in tiefes Schweigen versunken, einander vergessend; sie, um des Herrlichen zu gedenken, der er doch niemals gewesen war, er, um sie im Traume zu dem Ideal umzuschaffen, das er jetzt immer in den Wolken strahlen sah, hoch über ihrem Haupte. So war ihr Zusammenleben, und die Tage kamen und gingen wieder und brachten keine Veränderung, und Tag für Tag starrten sie hinaus auf die Wüste des Lebens und sagten sich selber, daß es eine Wüste sei, daß dort keine Blumen blühten, daß auch keine Aussicht auf Blumen, Quellen oder grüne Palmen sei. Je mehr der Herbst vorschritt, desto häufiger wurden Eriks Ausschwei¬ fungen. Was sollte es auch nützen, sagte er zu Ricks, daß er zu Hause säße und auf Ideen wartete, die doch niemals kamen, bis ihm die Gedanken in seinem Kopfe zu Steinen wurden. Übrigens fand Erik nicht viel Trost in Ricks' Ge¬ sellschaft, er fühlte sich zu Leuten, die aus gröberem Schrot waren, hingezogen, zu Leuten, die von Fleisch und Blut strotzten, die nicht ein Spielball zarter Nerven waren. So waren Ricks und Fennimore oft allein zusammen, denn Ricks ruderte jeden Tag nach Marianenlund hinüber. Der Freundschaftsbund, den sie mit einander geschlossen hatten, und die Worte, die an jenem Svnntagsabend zwischen ihnen gefallen waren, hatten sie in ihrem Verhältnis zu einander ungezwungener und sicherer gemacht, und sie schlössen sich, einsam wie sie beide waren, immer enger und wärmer an einander an. Dieser herzliche Verkehr erhielt bald eine so große Macht über sie und nahm ihre Sinne so gefangen, daß ihre Gedanken, ob sie nun bei einander oder getrennt waren, stets nach diesem Freundschaftsverhältnis hinstrebten, gleichsam wie Vögel, die an demselben Neste bauen, alles sehen, das, was sie sammeln, wie das, was sie verwerfen, stets mit dem einen, gemütlichen Ziele vor Augen, das Nest recht warm und weich für einander und für sich selber zu machen. Wenn Ricks herüberkam, so machten sie fast immer, ob es regnete oder stürmte, lange Spaziergänge in dem Walde, der an ihren Garten stieß. Sie hatten sich in diesen Wald förmlich verliebt, und je mehr das Sommerleben darin erstarb, desto teurer wurde er ihnen. Da waren ja auch tausenderlei Dinge zu sehen. Erst wie das Laub gelb, braun und rot wurde, dann wie es abfiel, an einem stürmischen Tage in gelbem Wirbel dahinfegte, wenn es aber windstill war. leise Blatt um Blatt zur Erde schwebte, sanft herabraschelnd gegen und zwischen die steifen Äste und die schwanken, braunen Zweige. Und während das Laub von den Bäumen und Büschen fiel, wie kamen da alle die ver¬ borgensten Geheimnisse des Sommers zum Vorschein, eins nach dem andern, und wie lag und saß es da rings umher voll von zierlichen Früchten und farbenreichen Beeren, braunen Nüssen, blanken Eicheln und niedlichen Eichel- bechcrn, Korallenbüscheln an den Berberitzen, schwarzen, blanken Schlehdorn¬ beeren und scharlachroten Urnen an den Heckenrosen. An den blattlosen Buchen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_289122/383>, abgerufen am 24.08.2024.