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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr.

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Bayreuth.

wieder mehr Gefallen zu finden als an dem ewigen Richard Wagner. Der
Wiener Spießbürger erzählt beim Straußischen Walzer, wie "großartig" es sei,
wenn es in Bayreuth dunkel werde, und die Kvnservatoristinnen -- hoffen wir
es -- bereuen, das viele Wagnergeld nicht auf ihre Aussteuer verwendet zu
haben. Ähnlich steht es mit dem Sinne für das "echt deutsche" und ins¬
besondre für das deutsche Altertum, der nach den Wagnerianern auf der Spitze
der "Bayreuther Frage" balancirt. Da scheint mir das Bild des Bayreuther
Festspielhauses mit seinem internationalem blasirten Publikum auf dem Hinter¬
grunde des fränkischen Hügellandes wie ein Symbol. Das ist das deutsche
Altertum für den parfümirten Atlasschlafrockkomponisten des Bayreuther
Theaters, ein wirkungsvoller Hintergrund, ein Kraft- und Naturparfüm. So
ähnlich empfanden es wohl die zeitgenössischen großer Erforscher des deutschen
Altertums. Und wenn die jüngern Germanisten mitunter auf das Interesse
für deutsches Altertum hinweisen, das durch Wagner erregt werde, so fällt mir
immer jene Dame ein -- sonst durchaus modern "gebildet" und Wagnersängerin
von halbem Beruf --, die bei Berührung der Edda ganz treuherzig einwarf:
"Ach, das Gedicht von Wolzoaeu in der Neclamschen Bibliothek. Sehr hübsch!
Hab's natürlich angeschaut!"

Der große Schnürboden auf dem Hügel der schönen Frankenstadt wird
gewiß noch vor manchem Jahrgange Extrazügler die Zauber seiner Wandeldeko¬
rationen entfalten. Wenn die Zeit, wie es den Schein hat, ruhiger wird,
werden sie sogar vielleicht zahlreicher werden, als es bisher zum Schmerze der
Wagnerianer noch immer sein wollte. *) Aber die ruhigere Zeit dürfte auch etwas
andres wieder herstellen, was den Wagnerianern zwar sehr unangenehm, aber
gerade am nötigsten wäre, den ruhigern Sinn, das tiefer und nicht mehr bloß
oszillirend nervös erregte Gemüt, den freieren und klareren Blick. Dann dürfte
sich der Zauber des großen Schnürbodens und des Orchesters, das man ver¬
senken muß, um es zu genießen,^*) vielleicht verlieren, aber etwas andres müßte
umso reiner sich dafür erheben, das wahre Bild, was die Kunst leisten soll
und kann -- auch im "Gesamtkunstwerk." Dies Bild, das dem Deutschen in
so schönen, edeln und erhabenen Zügen von seinen Meistern vorgezeichnet ist,
wird klar und immer klarer zum Durchbruch kommen und die Nebelbilder des
"Meisters" trotz aller bengalischen Beleuchtung immer siegreicher zur Seite
drängen. Dann wird ein nicht mehr epigonisches, frisches Geschlecht, das alte
Spiel wiederholend, neu erarbeiten, was uns heute nicht mehr taugt, und alte
Schätze "wunderlichst in diesem Falle" heben. Ob dann auch neue Meister
die alten Töne in neuen Weisen fassen und alte Sagen in neues Gewand, sie
werden nicht fremd und nicht undankbar den Großen gegenübertreten, die wie




D. Red. *) Na na!
Nicht bloß für Wagner. In Leipzig -- wir wissen nicht, wie es anderswo ist --
D. Red. werden auch der Don Juan und der Figaro jetzt aus dem Keller begleitet.
Grenzboten III, 1883. 47
Bayreuth.

wieder mehr Gefallen zu finden als an dem ewigen Richard Wagner. Der
Wiener Spießbürger erzählt beim Straußischen Walzer, wie „großartig" es sei,
wenn es in Bayreuth dunkel werde, und die Kvnservatoristinnen — hoffen wir
es — bereuen, das viele Wagnergeld nicht auf ihre Aussteuer verwendet zu
haben. Ähnlich steht es mit dem Sinne für das „echt deutsche" und ins¬
besondre für das deutsche Altertum, der nach den Wagnerianern auf der Spitze
der „Bayreuther Frage" balancirt. Da scheint mir das Bild des Bayreuther
Festspielhauses mit seinem internationalem blasirten Publikum auf dem Hinter¬
grunde des fränkischen Hügellandes wie ein Symbol. Das ist das deutsche
Altertum für den parfümirten Atlasschlafrockkomponisten des Bayreuther
Theaters, ein wirkungsvoller Hintergrund, ein Kraft- und Naturparfüm. So
ähnlich empfanden es wohl die zeitgenössischen großer Erforscher des deutschen
Altertums. Und wenn die jüngern Germanisten mitunter auf das Interesse
für deutsches Altertum hinweisen, das durch Wagner erregt werde, so fällt mir
immer jene Dame ein — sonst durchaus modern „gebildet" und Wagnersängerin
von halbem Beruf —, die bei Berührung der Edda ganz treuherzig einwarf:
„Ach, das Gedicht von Wolzoaeu in der Neclamschen Bibliothek. Sehr hübsch!
Hab's natürlich angeschaut!"

Der große Schnürboden auf dem Hügel der schönen Frankenstadt wird
gewiß noch vor manchem Jahrgange Extrazügler die Zauber seiner Wandeldeko¬
rationen entfalten. Wenn die Zeit, wie es den Schein hat, ruhiger wird,
werden sie sogar vielleicht zahlreicher werden, als es bisher zum Schmerze der
Wagnerianer noch immer sein wollte. *) Aber die ruhigere Zeit dürfte auch etwas
andres wieder herstellen, was den Wagnerianern zwar sehr unangenehm, aber
gerade am nötigsten wäre, den ruhigern Sinn, das tiefer und nicht mehr bloß
oszillirend nervös erregte Gemüt, den freieren und klareren Blick. Dann dürfte
sich der Zauber des großen Schnürbodens und des Orchesters, das man ver¬
senken muß, um es zu genießen,^*) vielleicht verlieren, aber etwas andres müßte
umso reiner sich dafür erheben, das wahre Bild, was die Kunst leisten soll
und kann — auch im „Gesamtkunstwerk." Dies Bild, das dem Deutschen in
so schönen, edeln und erhabenen Zügen von seinen Meistern vorgezeichnet ist,
wird klar und immer klarer zum Durchbruch kommen und die Nebelbilder des
„Meisters" trotz aller bengalischen Beleuchtung immer siegreicher zur Seite
drängen. Dann wird ein nicht mehr epigonisches, frisches Geschlecht, das alte
Spiel wiederholend, neu erarbeiten, was uns heute nicht mehr taugt, und alte
Schätze „wunderlichst in diesem Falle" heben. Ob dann auch neue Meister
die alten Töne in neuen Weisen fassen und alte Sagen in neues Gewand, sie
werden nicht fremd und nicht undankbar den Großen gegenübertreten, die wie




D. Red. *) Na na!
Nicht bloß für Wagner. In Leipzig — wir wissen nicht, wie es anderswo ist —
D. Red. werden auch der Don Juan und der Figaro jetzt aus dem Keller begleitet.
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[0377] Bayreuth. wieder mehr Gefallen zu finden als an dem ewigen Richard Wagner. Der Wiener Spießbürger erzählt beim Straußischen Walzer, wie „großartig" es sei, wenn es in Bayreuth dunkel werde, und die Kvnservatoristinnen — hoffen wir es — bereuen, das viele Wagnergeld nicht auf ihre Aussteuer verwendet zu haben. Ähnlich steht es mit dem Sinne für das „echt deutsche" und ins¬ besondre für das deutsche Altertum, der nach den Wagnerianern auf der Spitze der „Bayreuther Frage" balancirt. Da scheint mir das Bild des Bayreuther Festspielhauses mit seinem internationalem blasirten Publikum auf dem Hinter¬ grunde des fränkischen Hügellandes wie ein Symbol. Das ist das deutsche Altertum für den parfümirten Atlasschlafrockkomponisten des Bayreuther Theaters, ein wirkungsvoller Hintergrund, ein Kraft- und Naturparfüm. So ähnlich empfanden es wohl die zeitgenössischen großer Erforscher des deutschen Altertums. Und wenn die jüngern Germanisten mitunter auf das Interesse für deutsches Altertum hinweisen, das durch Wagner erregt werde, so fällt mir immer jene Dame ein — sonst durchaus modern „gebildet" und Wagnersängerin von halbem Beruf —, die bei Berührung der Edda ganz treuherzig einwarf: „Ach, das Gedicht von Wolzoaeu in der Neclamschen Bibliothek. Sehr hübsch! Hab's natürlich angeschaut!" Der große Schnürboden auf dem Hügel der schönen Frankenstadt wird gewiß noch vor manchem Jahrgange Extrazügler die Zauber seiner Wandeldeko¬ rationen entfalten. Wenn die Zeit, wie es den Schein hat, ruhiger wird, werden sie sogar vielleicht zahlreicher werden, als es bisher zum Schmerze der Wagnerianer noch immer sein wollte. *) Aber die ruhigere Zeit dürfte auch etwas andres wieder herstellen, was den Wagnerianern zwar sehr unangenehm, aber gerade am nötigsten wäre, den ruhigern Sinn, das tiefer und nicht mehr bloß oszillirend nervös erregte Gemüt, den freieren und klareren Blick. Dann dürfte sich der Zauber des großen Schnürbodens und des Orchesters, das man ver¬ senken muß, um es zu genießen,^*) vielleicht verlieren, aber etwas andres müßte umso reiner sich dafür erheben, das wahre Bild, was die Kunst leisten soll und kann — auch im „Gesamtkunstwerk." Dies Bild, das dem Deutschen in so schönen, edeln und erhabenen Zügen von seinen Meistern vorgezeichnet ist, wird klar und immer klarer zum Durchbruch kommen und die Nebelbilder des „Meisters" trotz aller bengalischen Beleuchtung immer siegreicher zur Seite drängen. Dann wird ein nicht mehr epigonisches, frisches Geschlecht, das alte Spiel wiederholend, neu erarbeiten, was uns heute nicht mehr taugt, und alte Schätze „wunderlichst in diesem Falle" heben. Ob dann auch neue Meister die alten Töne in neuen Weisen fassen und alte Sagen in neues Gewand, sie werden nicht fremd und nicht undankbar den Großen gegenübertreten, die wie D. Red. *) Na na! Nicht bloß für Wagner. In Leipzig — wir wissen nicht, wie es anderswo ist — D. Red. werden auch der Don Juan und der Figaro jetzt aus dem Keller begleitet. Grenzboten III, 1883. 47

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_289122/377>, abgerufen am 24.08.2024.