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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr.

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Bayreuth.

durch und durch. Und was fashivnabel ist, das macht die Plutokratie auch mit,
sollte es ihr auch so schwer ankommen, wie in diesem Falle den Berliner und
Wiener Börsenkreisen gegenüber dem schlimmen Richard Wagner, der ja aber
klug genug war, ihnen Brücken zu bauen, die für ihn zu Gold wurden. Bei
diesen Kreisen also steht es, ihr Vergnügen lebensfähig zu erhalten und nicht
zu Spott und Schanden werden zu lassen. Aber das "Volk" lasse man endlich
dabei aus dem Spiele und thue nicht immer so, als ob das Vaterland in Ge¬
fahr wäre, wenn die Bayreuther Festspiele eingingen. Das ist alles eitel Wind,
was da in diesen Broschüren und Programmen und Zeitschriften und Ver¬
sammlungen (und wie sich sonst der ganze wohlorganisirte Bau zusammensetzen
möge) gepredigt und getoastet wird, und damit lockt man Wohl ein paar armen
Studenten und Konservatoristinnen das Geld aus der Tasche, aber keinen Hund
vom Ofen. Ich wette, daß die Konservatoristinuen diesmal in Bayreuth zu
jener "bedeutenden Mehrzahl" der anwesenden Damen gehört haben würden,
denen der Prinz Alexander von Ballenberg unvergleichlich interessanter war
als der "reine Thor" auf der Bühne, was wir ihnen trotz des heiligen Zornes
der Frau Cosima gar nicht verübeln. Und die Studenten hätten wie jene
Wiener im "Cass Sammet" mir vorgeschwärmt, daß in den Meistersingerchören
die Schneider mit ihrem "Menk Menk" schon einsetzen, nachdem die Schuster
kaum aufgehört, und wie das doch gar so schön und kunstvoll sei. Oder sie hätten
auch mit der Uhr in der Hand gemessen, um wie viel länger Model das Parsifal-
vorspiel dirigire als der Meister und was der wunderlichen Belege für das
Bayreuther Kunstverständnis mehr sein mögen, die jeder sammeln kann. Mir
schien jener ehrenwerte Wiener Spießbürger (auch ein Extrazügler natürlich)
hinter mir vorbildlich, der mit heiliger Scheu "Großartig" vor sich hinstanunelte,
als es urplötzlich stockfinster wurde, noch bevor ein Ton erklungen war. Ja
so ist es, das Dunkle, das "ewig stockfinstere" daran, das ist es, was den
Leuten "großartig" dünkt. Das bemerkt man auch mit Recht bei den Wagne¬
rianern, wenn sie das wirklich Schöne und Bedeutende übersehen oder für selbst¬
verständlich halten, aber durch die endlosen dunkeln Wüsten mit wollüstigen
Röcheln sich durchschlagen. Aber das ist doch kein Grund und Boden, auf dem
ein "nationales Kunstwerk" sich dauerhaft und tief einbauen könnte. Unsre
Mozart und Hciydn und Beethoven hat man längst gespielt auf einsamen
Geigen und schlechten Klavieren, unsre Schubert, Mendelssohn und Schumann
hat man längst gesungen in Stadt und Land, ehe man dazu "Großartig"
sagen lernte. So wird ein echtes nationales Kunstwerk. Hier aber: nach drei,
vier Jahren, wenn der Sinn selbständiger geworden ist, der Geschmack reifer
und die Biertischbegeisterung verdächtiger, da Pflegen erfahrungsgemäß die
Studenten abzuschwenken und an einem neuen Drama, an einer Mozartschen
Sonate (die sie wenigstens spielen können, was bei Wagner -- obwohl sie es
leider thun -- nicht gerade behauptet werden kann) und an einem guten Buche


Bayreuth.

durch und durch. Und was fashivnabel ist, das macht die Plutokratie auch mit,
sollte es ihr auch so schwer ankommen, wie in diesem Falle den Berliner und
Wiener Börsenkreisen gegenüber dem schlimmen Richard Wagner, der ja aber
klug genug war, ihnen Brücken zu bauen, die für ihn zu Gold wurden. Bei
diesen Kreisen also steht es, ihr Vergnügen lebensfähig zu erhalten und nicht
zu Spott und Schanden werden zu lassen. Aber das „Volk" lasse man endlich
dabei aus dem Spiele und thue nicht immer so, als ob das Vaterland in Ge¬
fahr wäre, wenn die Bayreuther Festspiele eingingen. Das ist alles eitel Wind,
was da in diesen Broschüren und Programmen und Zeitschriften und Ver¬
sammlungen (und wie sich sonst der ganze wohlorganisirte Bau zusammensetzen
möge) gepredigt und getoastet wird, und damit lockt man Wohl ein paar armen
Studenten und Konservatoristinnen das Geld aus der Tasche, aber keinen Hund
vom Ofen. Ich wette, daß die Konservatoristinuen diesmal in Bayreuth zu
jener „bedeutenden Mehrzahl" der anwesenden Damen gehört haben würden,
denen der Prinz Alexander von Ballenberg unvergleichlich interessanter war
als der „reine Thor" auf der Bühne, was wir ihnen trotz des heiligen Zornes
der Frau Cosima gar nicht verübeln. Und die Studenten hätten wie jene
Wiener im „Cass Sammet" mir vorgeschwärmt, daß in den Meistersingerchören
die Schneider mit ihrem „Menk Menk" schon einsetzen, nachdem die Schuster
kaum aufgehört, und wie das doch gar so schön und kunstvoll sei. Oder sie hätten
auch mit der Uhr in der Hand gemessen, um wie viel länger Model das Parsifal-
vorspiel dirigire als der Meister und was der wunderlichen Belege für das
Bayreuther Kunstverständnis mehr sein mögen, die jeder sammeln kann. Mir
schien jener ehrenwerte Wiener Spießbürger (auch ein Extrazügler natürlich)
hinter mir vorbildlich, der mit heiliger Scheu „Großartig" vor sich hinstanunelte,
als es urplötzlich stockfinster wurde, noch bevor ein Ton erklungen war. Ja
so ist es, das Dunkle, das „ewig stockfinstere" daran, das ist es, was den
Leuten „großartig" dünkt. Das bemerkt man auch mit Recht bei den Wagne¬
rianern, wenn sie das wirklich Schöne und Bedeutende übersehen oder für selbst¬
verständlich halten, aber durch die endlosen dunkeln Wüsten mit wollüstigen
Röcheln sich durchschlagen. Aber das ist doch kein Grund und Boden, auf dem
ein „nationales Kunstwerk" sich dauerhaft und tief einbauen könnte. Unsre
Mozart und Hciydn und Beethoven hat man längst gespielt auf einsamen
Geigen und schlechten Klavieren, unsre Schubert, Mendelssohn und Schumann
hat man längst gesungen in Stadt und Land, ehe man dazu „Großartig"
sagen lernte. So wird ein echtes nationales Kunstwerk. Hier aber: nach drei,
vier Jahren, wenn der Sinn selbständiger geworden ist, der Geschmack reifer
und die Biertischbegeisterung verdächtiger, da Pflegen erfahrungsgemäß die
Studenten abzuschwenken und an einem neuen Drama, an einer Mozartschen
Sonate (die sie wenigstens spielen können, was bei Wagner — obwohl sie es
leider thun — nicht gerade behauptet werden kann) und an einem guten Buche


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[0376] Bayreuth. durch und durch. Und was fashivnabel ist, das macht die Plutokratie auch mit, sollte es ihr auch so schwer ankommen, wie in diesem Falle den Berliner und Wiener Börsenkreisen gegenüber dem schlimmen Richard Wagner, der ja aber klug genug war, ihnen Brücken zu bauen, die für ihn zu Gold wurden. Bei diesen Kreisen also steht es, ihr Vergnügen lebensfähig zu erhalten und nicht zu Spott und Schanden werden zu lassen. Aber das „Volk" lasse man endlich dabei aus dem Spiele und thue nicht immer so, als ob das Vaterland in Ge¬ fahr wäre, wenn die Bayreuther Festspiele eingingen. Das ist alles eitel Wind, was da in diesen Broschüren und Programmen und Zeitschriften und Ver¬ sammlungen (und wie sich sonst der ganze wohlorganisirte Bau zusammensetzen möge) gepredigt und getoastet wird, und damit lockt man Wohl ein paar armen Studenten und Konservatoristinnen das Geld aus der Tasche, aber keinen Hund vom Ofen. Ich wette, daß die Konservatoristinuen diesmal in Bayreuth zu jener „bedeutenden Mehrzahl" der anwesenden Damen gehört haben würden, denen der Prinz Alexander von Ballenberg unvergleichlich interessanter war als der „reine Thor" auf der Bühne, was wir ihnen trotz des heiligen Zornes der Frau Cosima gar nicht verübeln. Und die Studenten hätten wie jene Wiener im „Cass Sammet" mir vorgeschwärmt, daß in den Meistersingerchören die Schneider mit ihrem „Menk Menk" schon einsetzen, nachdem die Schuster kaum aufgehört, und wie das doch gar so schön und kunstvoll sei. Oder sie hätten auch mit der Uhr in der Hand gemessen, um wie viel länger Model das Parsifal- vorspiel dirigire als der Meister und was der wunderlichen Belege für das Bayreuther Kunstverständnis mehr sein mögen, die jeder sammeln kann. Mir schien jener ehrenwerte Wiener Spießbürger (auch ein Extrazügler natürlich) hinter mir vorbildlich, der mit heiliger Scheu „Großartig" vor sich hinstanunelte, als es urplötzlich stockfinster wurde, noch bevor ein Ton erklungen war. Ja so ist es, das Dunkle, das „ewig stockfinstere" daran, das ist es, was den Leuten „großartig" dünkt. Das bemerkt man auch mit Recht bei den Wagne¬ rianern, wenn sie das wirklich Schöne und Bedeutende übersehen oder für selbst¬ verständlich halten, aber durch die endlosen dunkeln Wüsten mit wollüstigen Röcheln sich durchschlagen. Aber das ist doch kein Grund und Boden, auf dem ein „nationales Kunstwerk" sich dauerhaft und tief einbauen könnte. Unsre Mozart und Hciydn und Beethoven hat man längst gespielt auf einsamen Geigen und schlechten Klavieren, unsre Schubert, Mendelssohn und Schumann hat man längst gesungen in Stadt und Land, ehe man dazu „Großartig" sagen lernte. So wird ein echtes nationales Kunstwerk. Hier aber: nach drei, vier Jahren, wenn der Sinn selbständiger geworden ist, der Geschmack reifer und die Biertischbegeisterung verdächtiger, da Pflegen erfahrungsgemäß die Studenten abzuschwenken und an einem neuen Drama, an einer Mozartschen Sonate (die sie wenigstens spielen können, was bei Wagner — obwohl sie es leider thun — nicht gerade behauptet werden kann) und an einem guten Buche

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_289122/376>, abgerufen am 24.08.2024.