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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr.

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Bayreuth,

nehmlich die Herren Sänger und die Frauenzimmer, die da vorbauen und nach¬
brüllen und gute Zahler aber schlechte Musikanten sind!" Ich bin zu wenig
Eingeweihter -- glücklicherweise -- um die Beziehungen und die Richtigkeit dieser
allerdings "tief blicken lassenden" Bemerkung aufzudecken. Ich begnüge mich
auch nur, auf diese Thatsachen hinzuweisen und nur beispielsweise die Wag¬
nerianer zu fragen, was sie wohl dazu sagen würden, wenn etwa in Berlin
oder in Dresden oder sonstwo zu den geheiligten Klängen des Vorspiels aus
der Szene ein wüstes Gebrüll "Auf! Vorhang auf!" ertönen würde, wie in
Bayreuth vor dem letzten Aufzuge der Meistersinger!

Das Bayreuther Theater und seine Festspiele sind und bleiben -- das
darf man eben nicht vergessen -- eine Schöpfung König Ludwigs, wie Linder¬
hof, Herrenchiemsee, Neuschwanstein, eine "Hundingshütte" im großen Stile.
Und wie diese sind sie nach dem Hingange dieses königlichen, in seiner Art ein¬
zigen, barocksten aller Kunstmäcene aus imponirenden Weltwundern, den selbst¬
herrlichen Verkörperungen souveräner Laune doch etwas wie Kuriositäten, wie
Spielzeuge für große Kinder geworden; und ihre Erhaltung, die rauhe For¬
derung der Wirklichkeit an die phantastischen Traumgebilde, macht sie nunmehr
abhängig von der Gunst des großen Publikums. Das kann man sich ja nun
recht wohl in dieser Rolle denken, soweit die Befriedigung gröberer, künstlerischer
Interessen, der Schaulust und der Neugier, in Frage kommt. Aber für ein
künstlerisches Unternehmen mit solchem Programm, für ein Olympia der mo¬
dernen Welt reicht das doch nicht aus, ganz abgesehen von den andern Be¬
dingungen, die hier noch eintreten müssen. Auf Gäste, die vierzig Mark Billetkostcn
und die teure Reise bestreiten können, auf "Extrazügler" und solche Kunstfreunde,
für die die "Nähe Kissingens, Karlsbads und Marienbads" ausschlaggebend ist,
selbst auf "Spritztouristen" von irgend einer "süddeutschen Ausstellung" kann es
einem solchen Unternehmen doch am wenigsten ankommen. Wozu diese fortgesetzte
krampfhafte Selbsttäuschung, die für jeden Außenstehenden so hell ist, über
Natur, Zweck und Bedeutung dieser in seiner Art ja immer merkwürdigen,
großgedachten und prächtig genug in Szene gesetzten künstlerischen Veranstaltung?
Das demokratisch-revolutionäre "Kunstwerk der Zukunft," das nationale Fest¬
spiel des "ganzen Volkes" ist der sehr ausschließliche Sommersport einer inter¬
nationalen aristokratischen und plutokratischen Gesellschaft und -- fügen wir
hinzu -- ist das von Anfang an gewesen. Und dafür eignet es sich auch vor¬
trefflich. Da ist alles beisammen, was eine solche Gesellschaft braucht, und
wollte Apollo nur, daß sie ihren Sport nie tiefer wählte! Da ist Pracht und
Schwere (da wir "Gewicht" nicht sagen mögen), da ist Ausgesuchtes und Be¬
sondres in Fülle, da fehlt nicht die für die hohen Kreise so anziehende Tem-
pleisische Rosenkreuzerische Mystagvgie, da ist ihre zum Pessimismus neigende
sybaritisch weltverachtcnde Lebensanschauung, da -- und das nicht zuletzt --
stand ein König und regierender Herr an der Spitze, das ist also fashivnabel


Bayreuth,

nehmlich die Herren Sänger und die Frauenzimmer, die da vorbauen und nach¬
brüllen und gute Zahler aber schlechte Musikanten sind!" Ich bin zu wenig
Eingeweihter — glücklicherweise — um die Beziehungen und die Richtigkeit dieser
allerdings „tief blicken lassenden" Bemerkung aufzudecken. Ich begnüge mich
auch nur, auf diese Thatsachen hinzuweisen und nur beispielsweise die Wag¬
nerianer zu fragen, was sie wohl dazu sagen würden, wenn etwa in Berlin
oder in Dresden oder sonstwo zu den geheiligten Klängen des Vorspiels aus
der Szene ein wüstes Gebrüll „Auf! Vorhang auf!" ertönen würde, wie in
Bayreuth vor dem letzten Aufzuge der Meistersinger!

Das Bayreuther Theater und seine Festspiele sind und bleiben — das
darf man eben nicht vergessen — eine Schöpfung König Ludwigs, wie Linder¬
hof, Herrenchiemsee, Neuschwanstein, eine „Hundingshütte" im großen Stile.
Und wie diese sind sie nach dem Hingange dieses königlichen, in seiner Art ein¬
zigen, barocksten aller Kunstmäcene aus imponirenden Weltwundern, den selbst¬
herrlichen Verkörperungen souveräner Laune doch etwas wie Kuriositäten, wie
Spielzeuge für große Kinder geworden; und ihre Erhaltung, die rauhe For¬
derung der Wirklichkeit an die phantastischen Traumgebilde, macht sie nunmehr
abhängig von der Gunst des großen Publikums. Das kann man sich ja nun
recht wohl in dieser Rolle denken, soweit die Befriedigung gröberer, künstlerischer
Interessen, der Schaulust und der Neugier, in Frage kommt. Aber für ein
künstlerisches Unternehmen mit solchem Programm, für ein Olympia der mo¬
dernen Welt reicht das doch nicht aus, ganz abgesehen von den andern Be¬
dingungen, die hier noch eintreten müssen. Auf Gäste, die vierzig Mark Billetkostcn
und die teure Reise bestreiten können, auf „Extrazügler" und solche Kunstfreunde,
für die die „Nähe Kissingens, Karlsbads und Marienbads" ausschlaggebend ist,
selbst auf „Spritztouristen" von irgend einer „süddeutschen Ausstellung" kann es
einem solchen Unternehmen doch am wenigsten ankommen. Wozu diese fortgesetzte
krampfhafte Selbsttäuschung, die für jeden Außenstehenden so hell ist, über
Natur, Zweck und Bedeutung dieser in seiner Art ja immer merkwürdigen,
großgedachten und prächtig genug in Szene gesetzten künstlerischen Veranstaltung?
Das demokratisch-revolutionäre „Kunstwerk der Zukunft," das nationale Fest¬
spiel des „ganzen Volkes" ist der sehr ausschließliche Sommersport einer inter¬
nationalen aristokratischen und plutokratischen Gesellschaft und — fügen wir
hinzu — ist das von Anfang an gewesen. Und dafür eignet es sich auch vor¬
trefflich. Da ist alles beisammen, was eine solche Gesellschaft braucht, und
wollte Apollo nur, daß sie ihren Sport nie tiefer wählte! Da ist Pracht und
Schwere (da wir „Gewicht" nicht sagen mögen), da ist Ausgesuchtes und Be¬
sondres in Fülle, da fehlt nicht die für die hohen Kreise so anziehende Tem-
pleisische Rosenkreuzerische Mystagvgie, da ist ihre zum Pessimismus neigende
sybaritisch weltverachtcnde Lebensanschauung, da — und das nicht zuletzt —
stand ein König und regierender Herr an der Spitze, das ist also fashivnabel


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[0375] Bayreuth, nehmlich die Herren Sänger und die Frauenzimmer, die da vorbauen und nach¬ brüllen und gute Zahler aber schlechte Musikanten sind!" Ich bin zu wenig Eingeweihter — glücklicherweise — um die Beziehungen und die Richtigkeit dieser allerdings „tief blicken lassenden" Bemerkung aufzudecken. Ich begnüge mich auch nur, auf diese Thatsachen hinzuweisen und nur beispielsweise die Wag¬ nerianer zu fragen, was sie wohl dazu sagen würden, wenn etwa in Berlin oder in Dresden oder sonstwo zu den geheiligten Klängen des Vorspiels aus der Szene ein wüstes Gebrüll „Auf! Vorhang auf!" ertönen würde, wie in Bayreuth vor dem letzten Aufzuge der Meistersinger! Das Bayreuther Theater und seine Festspiele sind und bleiben — das darf man eben nicht vergessen — eine Schöpfung König Ludwigs, wie Linder¬ hof, Herrenchiemsee, Neuschwanstein, eine „Hundingshütte" im großen Stile. Und wie diese sind sie nach dem Hingange dieses königlichen, in seiner Art ein¬ zigen, barocksten aller Kunstmäcene aus imponirenden Weltwundern, den selbst¬ herrlichen Verkörperungen souveräner Laune doch etwas wie Kuriositäten, wie Spielzeuge für große Kinder geworden; und ihre Erhaltung, die rauhe For¬ derung der Wirklichkeit an die phantastischen Traumgebilde, macht sie nunmehr abhängig von der Gunst des großen Publikums. Das kann man sich ja nun recht wohl in dieser Rolle denken, soweit die Befriedigung gröberer, künstlerischer Interessen, der Schaulust und der Neugier, in Frage kommt. Aber für ein künstlerisches Unternehmen mit solchem Programm, für ein Olympia der mo¬ dernen Welt reicht das doch nicht aus, ganz abgesehen von den andern Be¬ dingungen, die hier noch eintreten müssen. Auf Gäste, die vierzig Mark Billetkostcn und die teure Reise bestreiten können, auf „Extrazügler" und solche Kunstfreunde, für die die „Nähe Kissingens, Karlsbads und Marienbads" ausschlaggebend ist, selbst auf „Spritztouristen" von irgend einer „süddeutschen Ausstellung" kann es einem solchen Unternehmen doch am wenigsten ankommen. Wozu diese fortgesetzte krampfhafte Selbsttäuschung, die für jeden Außenstehenden so hell ist, über Natur, Zweck und Bedeutung dieser in seiner Art ja immer merkwürdigen, großgedachten und prächtig genug in Szene gesetzten künstlerischen Veranstaltung? Das demokratisch-revolutionäre „Kunstwerk der Zukunft," das nationale Fest¬ spiel des „ganzen Volkes" ist der sehr ausschließliche Sommersport einer inter¬ nationalen aristokratischen und plutokratischen Gesellschaft und — fügen wir hinzu — ist das von Anfang an gewesen. Und dafür eignet es sich auch vor¬ trefflich. Da ist alles beisammen, was eine solche Gesellschaft braucht, und wollte Apollo nur, daß sie ihren Sport nie tiefer wählte! Da ist Pracht und Schwere (da wir „Gewicht" nicht sagen mögen), da ist Ausgesuchtes und Be¬ sondres in Fülle, da fehlt nicht die für die hohen Kreise so anziehende Tem- pleisische Rosenkreuzerische Mystagvgie, da ist ihre zum Pessimismus neigende sybaritisch weltverachtcnde Lebensanschauung, da — und das nicht zuletzt — stand ein König und regierender Herr an der Spitze, das ist also fashivnabel

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_289122/375>, abgerufen am 24.08.2024.