eher Richard Wagner nicht zu schreiben ist viel schwerer als über ihn zu schreiben. Wäre nicht die schreckliche Aussicht, in die "Wagnerlitteratur" eingereiht zu werden und "den Streit, der noch immer um den hehren Namen tobt," fortzuführen, wer weiß, ob die Kraft des Vorsatzes immer der Herausforderung gegen¬ über Stand hielte. Heutzutage, wo auch die vorgeblichen Gegner "mit ge¬ zogenem Hute" vor "das kolossalste Genie, das die Welt gesehen hat," hintreten, und das nichtsdestoweniger oder besser gerade darum täglich anwachsende Heer der "Gralsritter" wie ausgehungert auf jeden Bissen losstürzt, der das Be¬ wußtsein ihrer Unentbehrlichkeit für die "heilige Sache" stärkt, wäre es unklug und gar nichts nütze, die zugehörige Satire zu schreiben. Sie wird einer künf¬ tigen Zeit nicht fehlen; denn wenn irgend etwas Satire auf sich selbst ist, so ist es die Wagnerei, und wer eine wirklich echte, einzige, großartige Komödie sehen will, der gehe nach Bayreuth. Er kann sich sogar die zwanzig Mark für das Billet sparen. Die Wagnerianer machen es billiger als die "Meistersinger" und "Wagnersinger."
Was mich diesmal nach Bayreuth führte, weiß ich nicht recht zu sagen. Die Wagnerianer sicher nicht, denn die kenne ich. Ich bin mit dem ganzen jüngern Geschlecht unter ihnen aufgewachsen, und sie wirken nicht mehr bloß komisch, wenn man sie kennt. Auch nicht die beiden gewaltigen Thatsachen einer "Neukreirung" des Parsifal und einer ersten Aufführung der Meistersinger in Bayreuth. Ich muß sogar gestehen, daß ich diese beiden gewaltigen Thatsachen erst in Bayreuth erfuhr. Vielleicht war es die Neugier, mit eignen Augen zu beobachten, in welchem Verhältnis der gegenwärtige Gipfel des Wagnerkultus zu dem Nullpunkt des Wagnerometers der königlich bairischen Privatschatnlle stehe. Vielleicht die Nähe der böhmischen Bäder oder der Münchner Aus¬ stellung, wie bei meinem Reisegefährten, dem Bankier Meier u. Komp. (er ist die Kompagnie, ich habe seinen Namen nie erfahren und begehre ihn nicht zu wissen) aus Berlin. Vielleicht keins von beiden, vielleicht wirklich etwas von dem, was man jetzt in der Welt so selten, in Bayreuth aber niemals findet:
Grenzboten III. 1833. 45
Bayreuth. Ober- und Untertöne.
eher Richard Wagner nicht zu schreiben ist viel schwerer als über ihn zu schreiben. Wäre nicht die schreckliche Aussicht, in die „Wagnerlitteratur" eingereiht zu werden und „den Streit, der noch immer um den hehren Namen tobt," fortzuführen, wer weiß, ob die Kraft des Vorsatzes immer der Herausforderung gegen¬ über Stand hielte. Heutzutage, wo auch die vorgeblichen Gegner „mit ge¬ zogenem Hute" vor „das kolossalste Genie, das die Welt gesehen hat," hintreten, und das nichtsdestoweniger oder besser gerade darum täglich anwachsende Heer der „Gralsritter" wie ausgehungert auf jeden Bissen losstürzt, der das Be¬ wußtsein ihrer Unentbehrlichkeit für die „heilige Sache" stärkt, wäre es unklug und gar nichts nütze, die zugehörige Satire zu schreiben. Sie wird einer künf¬ tigen Zeit nicht fehlen; denn wenn irgend etwas Satire auf sich selbst ist, so ist es die Wagnerei, und wer eine wirklich echte, einzige, großartige Komödie sehen will, der gehe nach Bayreuth. Er kann sich sogar die zwanzig Mark für das Billet sparen. Die Wagnerianer machen es billiger als die „Meistersinger" und „Wagnersinger."
Was mich diesmal nach Bayreuth führte, weiß ich nicht recht zu sagen. Die Wagnerianer sicher nicht, denn die kenne ich. Ich bin mit dem ganzen jüngern Geschlecht unter ihnen aufgewachsen, und sie wirken nicht mehr bloß komisch, wenn man sie kennt. Auch nicht die beiden gewaltigen Thatsachen einer „Neukreirung" des Parsifal und einer ersten Aufführung der Meistersinger in Bayreuth. Ich muß sogar gestehen, daß ich diese beiden gewaltigen Thatsachen erst in Bayreuth erfuhr. Vielleicht war es die Neugier, mit eignen Augen zu beobachten, in welchem Verhältnis der gegenwärtige Gipfel des Wagnerkultus zu dem Nullpunkt des Wagnerometers der königlich bairischen Privatschatnlle stehe. Vielleicht die Nähe der böhmischen Bäder oder der Münchner Aus¬ stellung, wie bei meinem Reisegefährten, dem Bankier Meier u. Komp. (er ist die Kompagnie, ich habe seinen Namen nie erfahren und begehre ihn nicht zu wissen) aus Berlin. Vielleicht keins von beiden, vielleicht wirklich etwas von dem, was man jetzt in der Welt so selten, in Bayreuth aber niemals findet:
Grenzboten III. 1833. 45
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Bayreuth.
Ober- und Untertöne.
eher Richard Wagner nicht zu schreiben ist viel schwerer als über
ihn zu schreiben. Wäre nicht die schreckliche Aussicht, in die
„Wagnerlitteratur" eingereiht zu werden und „den Streit, der
noch immer um den hehren Namen tobt," fortzuführen, wer weiß,
ob die Kraft des Vorsatzes immer der Herausforderung gegen¬
über Stand hielte. Heutzutage, wo auch die vorgeblichen Gegner „mit ge¬
zogenem Hute" vor „das kolossalste Genie, das die Welt gesehen hat," hintreten,
und das nichtsdestoweniger oder besser gerade darum täglich anwachsende Heer
der „Gralsritter" wie ausgehungert auf jeden Bissen losstürzt, der das Be¬
wußtsein ihrer Unentbehrlichkeit für die „heilige Sache" stärkt, wäre es unklug
und gar nichts nütze, die zugehörige Satire zu schreiben. Sie wird einer künf¬
tigen Zeit nicht fehlen; denn wenn irgend etwas Satire auf sich selbst ist, so
ist es die Wagnerei, und wer eine wirklich echte, einzige, großartige Komödie
sehen will, der gehe nach Bayreuth. Er kann sich sogar die zwanzig Mark für
das Billet sparen. Die Wagnerianer machen es billiger als die „Meistersinger"
und „Wagnersinger."
Was mich diesmal nach Bayreuth führte, weiß ich nicht recht zu sagen.
Die Wagnerianer sicher nicht, denn die kenne ich. Ich bin mit dem ganzen
jüngern Geschlecht unter ihnen aufgewachsen, und sie wirken nicht mehr bloß
komisch, wenn man sie kennt. Auch nicht die beiden gewaltigen Thatsachen einer
„Neukreirung" des Parsifal und einer ersten Aufführung der Meistersinger in
Bayreuth. Ich muß sogar gestehen, daß ich diese beiden gewaltigen Thatsachen
erst in Bayreuth erfuhr. Vielleicht war es die Neugier, mit eignen Augen zu
beobachten, in welchem Verhältnis der gegenwärtige Gipfel des Wagnerkultus
zu dem Nullpunkt des Wagnerometers der königlich bairischen Privatschatnlle
stehe. Vielleicht die Nähe der böhmischen Bäder oder der Münchner Aus¬
stellung, wie bei meinem Reisegefährten, dem Bankier Meier u. Komp. (er ist
die Kompagnie, ich habe seinen Namen nie erfahren und begehre ihn nicht zu
wissen) aus Berlin. Vielleicht keins von beiden, vielleicht wirklich etwas von
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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_289122/361>, abgerufen am 25.01.2025.
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