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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr.

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<Z?tlo Ludwig als politischer Dichter.

andre und günstigere Beleuchtung zu rücken. Unter den einzelnen, die jenen
kurzen, vielversprechenden Aufschwung mit herbeiführten, hat durch seine Per¬
sönlichkeit, seine Leistungen und sein Schicksal keiner stärkere Teilnahme er¬
regt und verdient als der Dichter des "Erbförsters" und der "Makkabäer," der
Verfasser der kühn realistischen und doch so poetisch tiefen Erzählung "Zwischen
Himmel und Erde." Es gewinnt immer einmal wieder den Anschein, als
wollte die rasch lebende Gegenwart diesen einsamen aber lebensvoll kräftigen
Dichter vergessen und an die verhängnisvolle literarhistorische Unsterblichkeit
verweisen. Dann zeigt sich aber doch wieder, daß die Thüringer Naturen eine
geheime, still weiterwirkende Anziehungskraft ausüben, daß die hochragenden und
wahrhaft lebendigen dramatischen Gestalten Ludwigs von Zeit zu Zeit einen
oder einige Darsteller begeistern. Erst letzten Winter sind die "Makkabäer"
im Berliner Deutschen Theater neu aufgeführt worden, ohne daß die Mehr¬
zahl der Zuschauer nur eine Ahnung davon gehabt hätte, wie alt das für sie
neue Drama ist, und daß es genau fünfunddreißig Jahre früher mit Frau
Crelinger in der Rolle der Lea am königlichen Hoftheater gegeben worden ist.
Das Publikum und -- mit einigen Ausnahmen -- auch die Kritiker setzten
damals der großangelegten und trotz ihrer Mängel wahrhaft überwältigenden
Tragödie nicht sowohl ein Urteil, als die bekannte Schnoddrigkeit entgegen, die
in diesem Falle in dem Ausspruche gipfelte: "Das macht sich doch schlecht, wenn
Hendrichs mit einem toten Löwenvieh ankommt." Fünfunddreißig Jahre haben
hingereicht, um die Meinung über die "Makkabäer" auf bessere Grundlagen zu
stellen. Diesmal waren diejenigen Kritiker die Ausnahmen, welche, das große
und lebensvolle Talent Ludwigs ableugnend und verkennend, von der Tragödie
anders als mit warmer Bewunderung sprachen. Mit allem schuldigen Respekt
vor der Begabung und dem Streben Ernst von Wildenbruchs, Richard Vossens
oder Arthur Fitgers mußte man sich doch eingestehen, daß keines der Talente
des jüngsten Jahrzehnts an die Phantasie, die Gestaltungs- und Bildkraft
Otto Ludwigs heranreiche. Voraussichtlich werden die "Makkabäer" auch im
nächsten Jahre in der Reichshauptstadt wieder aufgeführt werden, ein paar der
größern Theater mögen daran den Mut gewinnen, auch ihrerseits einmal wieder
eine neuere Tragödie großen Stils zu verkörpern, in Wien sind die "Makka¬
bäer" ebenso wie der "Erbförster" überhaupt niemals aus dem Repertoire des
Hofburgtheaters verschwunden. Jedenfalls ist der Augenblick gekommen, das
Interesse aller, für welche die Litteratur, die Dichtung nicht eins ist mit Zeitung
und Zeitungsfeuilleton, für Otto Ludwig neu anzuregen.

Bis jetzt ist noch keineswegs alles veröffentlicht, was Otto Ludwig ge¬
schaffen hat. Selbst bei der strengsten Scheidung des in sich Vollendeten und
wahrhaft Bedeutende" von dem jugendlich Umreisen und Unfertigen bleibt eine
Reihe wertvoller poetischer Erzeugnisse Ludwigs übrig, die zur Sammlung
seiner Werke nicht hinzugenommen worden sind und doch das Bild seiner Ent-


<Z?tlo Ludwig als politischer Dichter.

andre und günstigere Beleuchtung zu rücken. Unter den einzelnen, die jenen
kurzen, vielversprechenden Aufschwung mit herbeiführten, hat durch seine Per¬
sönlichkeit, seine Leistungen und sein Schicksal keiner stärkere Teilnahme er¬
regt und verdient als der Dichter des „Erbförsters" und der „Makkabäer," der
Verfasser der kühn realistischen und doch so poetisch tiefen Erzählung „Zwischen
Himmel und Erde." Es gewinnt immer einmal wieder den Anschein, als
wollte die rasch lebende Gegenwart diesen einsamen aber lebensvoll kräftigen
Dichter vergessen und an die verhängnisvolle literarhistorische Unsterblichkeit
verweisen. Dann zeigt sich aber doch wieder, daß die Thüringer Naturen eine
geheime, still weiterwirkende Anziehungskraft ausüben, daß die hochragenden und
wahrhaft lebendigen dramatischen Gestalten Ludwigs von Zeit zu Zeit einen
oder einige Darsteller begeistern. Erst letzten Winter sind die „Makkabäer"
im Berliner Deutschen Theater neu aufgeführt worden, ohne daß die Mehr¬
zahl der Zuschauer nur eine Ahnung davon gehabt hätte, wie alt das für sie
neue Drama ist, und daß es genau fünfunddreißig Jahre früher mit Frau
Crelinger in der Rolle der Lea am königlichen Hoftheater gegeben worden ist.
Das Publikum und — mit einigen Ausnahmen — auch die Kritiker setzten
damals der großangelegten und trotz ihrer Mängel wahrhaft überwältigenden
Tragödie nicht sowohl ein Urteil, als die bekannte Schnoddrigkeit entgegen, die
in diesem Falle in dem Ausspruche gipfelte: „Das macht sich doch schlecht, wenn
Hendrichs mit einem toten Löwenvieh ankommt." Fünfunddreißig Jahre haben
hingereicht, um die Meinung über die „Makkabäer" auf bessere Grundlagen zu
stellen. Diesmal waren diejenigen Kritiker die Ausnahmen, welche, das große
und lebensvolle Talent Ludwigs ableugnend und verkennend, von der Tragödie
anders als mit warmer Bewunderung sprachen. Mit allem schuldigen Respekt
vor der Begabung und dem Streben Ernst von Wildenbruchs, Richard Vossens
oder Arthur Fitgers mußte man sich doch eingestehen, daß keines der Talente
des jüngsten Jahrzehnts an die Phantasie, die Gestaltungs- und Bildkraft
Otto Ludwigs heranreiche. Voraussichtlich werden die „Makkabäer" auch im
nächsten Jahre in der Reichshauptstadt wieder aufgeführt werden, ein paar der
größern Theater mögen daran den Mut gewinnen, auch ihrerseits einmal wieder
eine neuere Tragödie großen Stils zu verkörpern, in Wien sind die „Makka¬
bäer" ebenso wie der „Erbförster" überhaupt niemals aus dem Repertoire des
Hofburgtheaters verschwunden. Jedenfalls ist der Augenblick gekommen, das
Interesse aller, für welche die Litteratur, die Dichtung nicht eins ist mit Zeitung
und Zeitungsfeuilleton, für Otto Ludwig neu anzuregen.

Bis jetzt ist noch keineswegs alles veröffentlicht, was Otto Ludwig ge¬
schaffen hat. Selbst bei der strengsten Scheidung des in sich Vollendeten und
wahrhaft Bedeutende» von dem jugendlich Umreisen und Unfertigen bleibt eine
Reihe wertvoller poetischer Erzeugnisse Ludwigs übrig, die zur Sammlung
seiner Werke nicht hinzugenommen worden sind und doch das Bild seiner Ent-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_289122/36>, abgerufen am 22.07.2024.