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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr.

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Ricks Lyhne,

Sage mir doch, begann sie plötzlich, du hast mir niemals etwas von Erik
erzählt, wie er als Knabe war! Wie war er damals eigentlich?

Alles, was gut und schön war, Fcnnimore, prächtig, brav, in jeder Hinsicht,
Das Ideal eines Knaben für einen Knaben, nicht gerade das Ideal einer
Mutter oder eines Lehrers, sondern das eines andern Knaben, was so ungleich
viel mehr wert ist.

Wie kamt ihr mit einander ans? Habt ihr viel von einander gehalten?

Ja, ich war vollständig in ihn verliebt, und er hatte nichts dagegen; so
war es ungefähr. Wir waren sehr verschieden, mußt du wissen. Ich trug mich
immer mit dem Gedanken herum, berühmt und ein Dichter zu werden, aber,
weißt dn, was er sagte, daß er am liebsten sein möchte, als ich ihn eines Tages
darnach fragte? Ein Indianer, ein richtiger, roter Indianer! Ich konnte das
nicht begreifen, ich erinnere mich dessen noch so deutlich, ich konnte nicht be¬
greifen, wie jemand wünschen konnte, ein Wilder zu sein.

Aber war es dann nicht merkwürdig, daß er Künstler werden wollte?
fragte Fennimore, und es lag etwas Kaltes, Feindliches in dem Tone, in welchem
sie das sagte.

Ricks merkte das und stutzte. Ach nein, sagte er dann, es ist eigentlich
selten, daß Menschen mit ihrer ganzen Natur Künstler sind. Und gerade so
frische, lebensfrohe Menschen wie Erik, die haben so oft eine so unendliche
Sehnsucht nach allem, was zart und fein ist: nach dem feinen, jungfräulichen
Walten, dem lieblich Erhabnen -- ich weiß nicht recht, wie ich es nennen soll.
Nach außen hin können sie robust und vollblütig genug sein, ja sie können oft
roh sein, und doch ahnt niemand, welche wunderlichen, romantischen, gefühl¬
vollen Geheimnisse sie mit sich herumtragen, denn sie sind so verschämt, verschämt
in seelischer Beziehung, meine ich, diese großen, schwerfälligen Menschen, daß
keine zarte, bleiche, kleine Jungfrau eine zarter besaitete Seele haben kann als sie.
Verstehst du es wohl, Fennimore, daß so ein Geheimnis, das nicht mit gewöhn¬
lichen Worten in die gewöhnliche, alltägliche Luft hinausgesprochen werden kann,
daß das einen Menschen zum Künstler machen kann? Und sie können es nicht
aussprechen, hörst dn, sie können es nicht; man muß es glauben, daß es da ist
und still da drinnen lebt, gleich einer Zwiebel, die in der Erde liegt, denn
zeitweise sendet es ja seinen duftigen, farbenprächtigen Blumenschatz ans Tages¬
licht. Verstehst dn wohl, verlange nichts von dieser Blütenkraft für dich selber,
glaube daran, freue dich, sie pflegen zu köunen, freue dich des Bewußtseins,
daß sie vorhanden ist. Sei mir nicht böse, Fennimore, aber ich fürchte, daß
du und Erik nicht gut gegen einander seid. Kann das nicht anders werden?
Denke nicht daran, wer Recht hat; grüble nicht über die Größe des Unrechts
nach, du sollst nicht mit ihm ins Gericht gehen, denn wie könnten wohl die
Besten von uns bestehen, nein, denke an ihn, so wie er in der Stunde war,
als du ihn am innigsten liebtest; glaube mir, er ist dessen würdig. Du sollst


Ricks Lyhne,

Sage mir doch, begann sie plötzlich, du hast mir niemals etwas von Erik
erzählt, wie er als Knabe war! Wie war er damals eigentlich?

Alles, was gut und schön war, Fcnnimore, prächtig, brav, in jeder Hinsicht,
Das Ideal eines Knaben für einen Knaben, nicht gerade das Ideal einer
Mutter oder eines Lehrers, sondern das eines andern Knaben, was so ungleich
viel mehr wert ist.

Wie kamt ihr mit einander ans? Habt ihr viel von einander gehalten?

Ja, ich war vollständig in ihn verliebt, und er hatte nichts dagegen; so
war es ungefähr. Wir waren sehr verschieden, mußt du wissen. Ich trug mich
immer mit dem Gedanken herum, berühmt und ein Dichter zu werden, aber,
weißt dn, was er sagte, daß er am liebsten sein möchte, als ich ihn eines Tages
darnach fragte? Ein Indianer, ein richtiger, roter Indianer! Ich konnte das
nicht begreifen, ich erinnere mich dessen noch so deutlich, ich konnte nicht be¬
greifen, wie jemand wünschen konnte, ein Wilder zu sein.

Aber war es dann nicht merkwürdig, daß er Künstler werden wollte?
fragte Fennimore, und es lag etwas Kaltes, Feindliches in dem Tone, in welchem
sie das sagte.

Ricks merkte das und stutzte. Ach nein, sagte er dann, es ist eigentlich
selten, daß Menschen mit ihrer ganzen Natur Künstler sind. Und gerade so
frische, lebensfrohe Menschen wie Erik, die haben so oft eine so unendliche
Sehnsucht nach allem, was zart und fein ist: nach dem feinen, jungfräulichen
Walten, dem lieblich Erhabnen — ich weiß nicht recht, wie ich es nennen soll.
Nach außen hin können sie robust und vollblütig genug sein, ja sie können oft
roh sein, und doch ahnt niemand, welche wunderlichen, romantischen, gefühl¬
vollen Geheimnisse sie mit sich herumtragen, denn sie sind so verschämt, verschämt
in seelischer Beziehung, meine ich, diese großen, schwerfälligen Menschen, daß
keine zarte, bleiche, kleine Jungfrau eine zarter besaitete Seele haben kann als sie.
Verstehst du es wohl, Fennimore, daß so ein Geheimnis, das nicht mit gewöhn¬
lichen Worten in die gewöhnliche, alltägliche Luft hinausgesprochen werden kann,
daß das einen Menschen zum Künstler machen kann? Und sie können es nicht
aussprechen, hörst dn, sie können es nicht; man muß es glauben, daß es da ist
und still da drinnen lebt, gleich einer Zwiebel, die in der Erde liegt, denn
zeitweise sendet es ja seinen duftigen, farbenprächtigen Blumenschatz ans Tages¬
licht. Verstehst dn wohl, verlange nichts von dieser Blütenkraft für dich selber,
glaube daran, freue dich, sie pflegen zu köunen, freue dich des Bewußtseins,
daß sie vorhanden ist. Sei mir nicht böse, Fennimore, aber ich fürchte, daß
du und Erik nicht gut gegen einander seid. Kann das nicht anders werden?
Denke nicht daran, wer Recht hat; grüble nicht über die Größe des Unrechts
nach, du sollst nicht mit ihm ins Gericht gehen, denn wie könnten wohl die
Besten von uns bestehen, nein, denke an ihn, so wie er in der Stunde war,
als du ihn am innigsten liebtest; glaube mir, er ist dessen würdig. Du sollst


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_289122/340>, abgerufen am 24.08.2024.