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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr.

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Ronrad Ferdinand Meyers Gedichte.

uns ohne alle beabsichtigte Beschreibung doch die Gestalt des großen Meisters
deutlich entgegen tritt:


In der Sistina dämmcrhohcm Raum,
Das Bibclbuch in seiner nerv'gen Hand,
Sitzt Michelangelo in wachem Traum,
Unheile von einer kleinen Ampel Brand.

Zu den besten Balladen der Sammlung gehören: "Das Münster," "Einsiedel,"
"Frau Agnes und ihre Nonnen," "La Manche Res," "Die Ketzerin," "Der Berg
der Seligkeiten" u. s. w. Die Ballade "Der Mars von Florenz" behandelt in
kurzer, drastischer Form fast dasselbe Motiv, wie Meyers Novelle "Die Hoch¬
zeit des Mönches."

Oft liebt es der Dichter, nach Bildern oder Statuen zu arbeiten. Diese
Art ist völlig neu und birgt viel in sich. Allerdings bedarf es dazu nicht nur
eines lyrischen Gefühls, sondern auch einer geschmackvollen künstlerischen Auffassung
des Geschauten, wenn die Darstellung nicht prosaisch werden soll. Ein ge¬
lungenes Beispiel für diese besondre Art ist das "nach einer alten Skizze" ge¬
schaffene Gedicht: "Ja":


[Beginn Spaltensatz] Als der Herr mit meinst'ger Schwinge
Durch die neue Schöpfung fuhr,
Folgten in gedrängtem Ringe
Geister seiner Flammenspur. Seine schönsten Engel wallten
Ihm zu Häupten selig leis,
Riesenhafte Nachtgestalten
Schlossen unterhalb den Kreis. [Spaltenumbruch] Eh ich euern Reigen löse,
Sprach der Allgewalt'ge nun,
schwöret, Gute, schwöret, Böse,
Meinen Willen nur zu thun! Freudig jubelten die Lichten:
Dir zu dienen sind wir da!
Die zerstören, die vernichten,
Die Dämonen, knirschten: Ja. [Ende Spaltensatz]

Einen Nachteil hat dieses bewußte Schaffen freilich, daß es Gefahr läuft, in das
absichtlich Erzielte und so auf etwas dem dichterischen Geiste abgequältes zu ver¬
fallen. Dieser Nachteil läßt sich auch in einigen Gedichten Meyers bemerken,
wie z. B. in dem Gedicht: "Der römische Brunnen," wo die Nachempfindung
des gesehenen Bildes zu einer bloßen Beschreibung wird:


Aufsteigt der Strahl, und fallend gießt
Er voll der Marmorschale Rund,
Die, sich verschleiernd, überfließt
In einer zweiten Schale Grund;
Die zweite giebt, sie wird zu reich,
Der dritten wallend ihre Flut,
Und jede rinnt und giebt zugleich
Und strömt und ruht.

Die Beschreibung freilich ist vortrefflich, das läßt sich nicht leugnen.


Ronrad Ferdinand Meyers Gedichte.

uns ohne alle beabsichtigte Beschreibung doch die Gestalt des großen Meisters
deutlich entgegen tritt:


In der Sistina dämmcrhohcm Raum,
Das Bibclbuch in seiner nerv'gen Hand,
Sitzt Michelangelo in wachem Traum,
Unheile von einer kleinen Ampel Brand.

Zu den besten Balladen der Sammlung gehören: „Das Münster," „Einsiedel,"
„Frau Agnes und ihre Nonnen," „La Manche Res," „Die Ketzerin," „Der Berg
der Seligkeiten" u. s. w. Die Ballade „Der Mars von Florenz" behandelt in
kurzer, drastischer Form fast dasselbe Motiv, wie Meyers Novelle „Die Hoch¬
zeit des Mönches."

Oft liebt es der Dichter, nach Bildern oder Statuen zu arbeiten. Diese
Art ist völlig neu und birgt viel in sich. Allerdings bedarf es dazu nicht nur
eines lyrischen Gefühls, sondern auch einer geschmackvollen künstlerischen Auffassung
des Geschauten, wenn die Darstellung nicht prosaisch werden soll. Ein ge¬
lungenes Beispiel für diese besondre Art ist das „nach einer alten Skizze" ge¬
schaffene Gedicht: „Ja":


[Beginn Spaltensatz] Als der Herr mit meinst'ger Schwinge
Durch die neue Schöpfung fuhr,
Folgten in gedrängtem Ringe
Geister seiner Flammenspur. Seine schönsten Engel wallten
Ihm zu Häupten selig leis,
Riesenhafte Nachtgestalten
Schlossen unterhalb den Kreis. [Spaltenumbruch] Eh ich euern Reigen löse,
Sprach der Allgewalt'ge nun,
schwöret, Gute, schwöret, Böse,
Meinen Willen nur zu thun! Freudig jubelten die Lichten:
Dir zu dienen sind wir da!
Die zerstören, die vernichten,
Die Dämonen, knirschten: Ja. [Ende Spaltensatz]

Einen Nachteil hat dieses bewußte Schaffen freilich, daß es Gefahr läuft, in das
absichtlich Erzielte und so auf etwas dem dichterischen Geiste abgequältes zu ver¬
fallen. Dieser Nachteil läßt sich auch in einigen Gedichten Meyers bemerken,
wie z. B. in dem Gedicht: „Der römische Brunnen," wo die Nachempfindung
des gesehenen Bildes zu einer bloßen Beschreibung wird:


Aufsteigt der Strahl, und fallend gießt
Er voll der Marmorschale Rund,
Die, sich verschleiernd, überfließt
In einer zweiten Schale Grund;
Die zweite giebt, sie wird zu reich,
Der dritten wallend ihre Flut,
Und jede rinnt und giebt zugleich
Und strömt und ruht.

Die Beschreibung freilich ist vortrefflich, das läßt sich nicht leugnen.


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[0328] Ronrad Ferdinand Meyers Gedichte. uns ohne alle beabsichtigte Beschreibung doch die Gestalt des großen Meisters deutlich entgegen tritt: In der Sistina dämmcrhohcm Raum, Das Bibclbuch in seiner nerv'gen Hand, Sitzt Michelangelo in wachem Traum, Unheile von einer kleinen Ampel Brand. Zu den besten Balladen der Sammlung gehören: „Das Münster," „Einsiedel," „Frau Agnes und ihre Nonnen," „La Manche Res," „Die Ketzerin," „Der Berg der Seligkeiten" u. s. w. Die Ballade „Der Mars von Florenz" behandelt in kurzer, drastischer Form fast dasselbe Motiv, wie Meyers Novelle „Die Hoch¬ zeit des Mönches." Oft liebt es der Dichter, nach Bildern oder Statuen zu arbeiten. Diese Art ist völlig neu und birgt viel in sich. Allerdings bedarf es dazu nicht nur eines lyrischen Gefühls, sondern auch einer geschmackvollen künstlerischen Auffassung des Geschauten, wenn die Darstellung nicht prosaisch werden soll. Ein ge¬ lungenes Beispiel für diese besondre Art ist das „nach einer alten Skizze" ge¬ schaffene Gedicht: „Ja": Als der Herr mit meinst'ger Schwinge Durch die neue Schöpfung fuhr, Folgten in gedrängtem Ringe Geister seiner Flammenspur. Seine schönsten Engel wallten Ihm zu Häupten selig leis, Riesenhafte Nachtgestalten Schlossen unterhalb den Kreis. Eh ich euern Reigen löse, Sprach der Allgewalt'ge nun, schwöret, Gute, schwöret, Böse, Meinen Willen nur zu thun! Freudig jubelten die Lichten: Dir zu dienen sind wir da! Die zerstören, die vernichten, Die Dämonen, knirschten: Ja. Einen Nachteil hat dieses bewußte Schaffen freilich, daß es Gefahr läuft, in das absichtlich Erzielte und so auf etwas dem dichterischen Geiste abgequältes zu ver¬ fallen. Dieser Nachteil läßt sich auch in einigen Gedichten Meyers bemerken, wie z. B. in dem Gedicht: „Der römische Brunnen," wo die Nachempfindung des gesehenen Bildes zu einer bloßen Beschreibung wird: Aufsteigt der Strahl, und fallend gießt Er voll der Marmorschale Rund, Die, sich verschleiernd, überfließt In einer zweiten Schale Grund; Die zweite giebt, sie wird zu reich, Der dritten wallend ihre Flut, Und jede rinnt und giebt zugleich Und strömt und ruht. Die Beschreibung freilich ist vortrefflich, das läßt sich nicht leugnen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_289122/328>, abgerufen am 22.07.2024.