Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Uonrad Ferdinand Meyers Gedichte.

Aber gerade diese Eigenschaften sind es, die den Gedichten ein allgemeineres
Merkmal ausdrücken, das Merkmal unsers modernen künstlerisch bewußt schaf¬
fenden Zeitgeistes. Es ist die tiefste Empfindung des Dichters, und doch auch
wieder nicht er selbst, der in den Gedichten waltet. Meyer drückt sein Ver¬
hältnis zu seinen Gedichten wohl am besten selbst aus, wenn er sagt:


Mit dem Stifte les ich diese Dinge,
Auf der Rasenbank im Freien sitzend,
Plötzlich zuckt mir einer Vogclschwinge
Schatten durch die Lettern freundlich blitzend.
Was da steht, ich hab' es tief empfunden,
Und es bleibt ein Stück von meinem Leben --
Meine Seele flattert ungebunden
Und ergötzt sich, drüberhin zu schweben.

Meyer ist ein Meister der epischen Darstellung, wie er das namentlich
in seinen geschichtlichen Novellen bekundet hat. So sind auch unter seinen
Gedichten das Unvergänglichste die Balladen, in denen überall frische, gedrungene
Kraft der Darstellung und Originalität der Motive zu Tage tritt.

Der Dichter weiß zu schaffen in dem ruhigen, dem "ewigblauen" griechischen
Himmel vergleichbaren Stil der Antike, wenn er Stoffe aus dem Altertum be¬
handelt, und in dem bewegten, farbenprächtigen Lichte mittelalterlicher Romantik,
wenn sein Griffel uns etwas aus der Geschichte des Mittelalters gestaltet. Wie
herrlich ist der Eingang der Ballade: "Der trunkene Gott," in der der Freundes¬
mord des Kleitos durch Alexander behandelt wird:


Weiße Marmorstufen steigen
Durch der Gärten laub'ge Nacht,
Schlanke Palmenfächer reichen
In des Himmels blaue Pracht.
Über Tempeln, Hainen, Grüften
Zeche in abeudweichen Lüften
Alexanders Lieblingsschar;
Knicend bietet ihm ein Knabe,
Daß der Erde Herr sich labe,
Wein in edler Schale dar.

Das ist dieselbe Plastik des Stimmungsbildes, wie wir sie auch in Meyers
prosaischen Schriften finden, namentlich in seinen zwei neuesten Novellen: "Die
Richterin" und "Die Versuchung des Pescara." Der Dichter liebt es, in den
meisten seiner Balladen den epischen Faden um ein oder mehrere meisterhafte
Stimmungsbilder zu schlingen oder geradezu von einem Stimmungsbilde aus¬
zugehen und uns mit einem Schlage in die gewünschte epische Situation zu
versetzen. Ich verweise auf die Ballade: "Michelangelo," in deren erster Strophe


Uonrad Ferdinand Meyers Gedichte.

Aber gerade diese Eigenschaften sind es, die den Gedichten ein allgemeineres
Merkmal ausdrücken, das Merkmal unsers modernen künstlerisch bewußt schaf¬
fenden Zeitgeistes. Es ist die tiefste Empfindung des Dichters, und doch auch
wieder nicht er selbst, der in den Gedichten waltet. Meyer drückt sein Ver¬
hältnis zu seinen Gedichten wohl am besten selbst aus, wenn er sagt:


Mit dem Stifte les ich diese Dinge,
Auf der Rasenbank im Freien sitzend,
Plötzlich zuckt mir einer Vogclschwinge
Schatten durch die Lettern freundlich blitzend.
Was da steht, ich hab' es tief empfunden,
Und es bleibt ein Stück von meinem Leben —
Meine Seele flattert ungebunden
Und ergötzt sich, drüberhin zu schweben.

Meyer ist ein Meister der epischen Darstellung, wie er das namentlich
in seinen geschichtlichen Novellen bekundet hat. So sind auch unter seinen
Gedichten das Unvergänglichste die Balladen, in denen überall frische, gedrungene
Kraft der Darstellung und Originalität der Motive zu Tage tritt.

Der Dichter weiß zu schaffen in dem ruhigen, dem „ewigblauen" griechischen
Himmel vergleichbaren Stil der Antike, wenn er Stoffe aus dem Altertum be¬
handelt, und in dem bewegten, farbenprächtigen Lichte mittelalterlicher Romantik,
wenn sein Griffel uns etwas aus der Geschichte des Mittelalters gestaltet. Wie
herrlich ist der Eingang der Ballade: „Der trunkene Gott," in der der Freundes¬
mord des Kleitos durch Alexander behandelt wird:


Weiße Marmorstufen steigen
Durch der Gärten laub'ge Nacht,
Schlanke Palmenfächer reichen
In des Himmels blaue Pracht.
Über Tempeln, Hainen, Grüften
Zeche in abeudweichen Lüften
Alexanders Lieblingsschar;
Knicend bietet ihm ein Knabe,
Daß der Erde Herr sich labe,
Wein in edler Schale dar.

Das ist dieselbe Plastik des Stimmungsbildes, wie wir sie auch in Meyers
prosaischen Schriften finden, namentlich in seinen zwei neuesten Novellen: „Die
Richterin" und „Die Versuchung des Pescara." Der Dichter liebt es, in den
meisten seiner Balladen den epischen Faden um ein oder mehrere meisterhafte
Stimmungsbilder zu schlingen oder geradezu von einem Stimmungsbilde aus¬
zugehen und uns mit einem Schlage in die gewünschte epische Situation zu
versetzen. Ich verweise auf die Ballade: „Michelangelo," in deren erster Strophe


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0327" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/289450"/>
          <fw type="header" place="top"> Uonrad Ferdinand Meyers Gedichte.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1075" prev="#ID_1074"> Aber gerade diese Eigenschaften sind es, die den Gedichten ein allgemeineres<lb/>
Merkmal ausdrücken, das Merkmal unsers modernen künstlerisch bewußt schaf¬<lb/>
fenden Zeitgeistes. Es ist die tiefste Empfindung des Dichters, und doch auch<lb/>
wieder nicht er selbst, der in den Gedichten waltet. Meyer drückt sein Ver¬<lb/>
hältnis zu seinen Gedichten wohl am besten selbst aus, wenn er sagt:</p><lb/>
          <quote>
            <lg xml:id="POEMID_41" type="poem">
              <l> Mit dem Stifte les ich diese Dinge,<lb/>
Auf der Rasenbank im Freien sitzend,<lb/>
Plötzlich zuckt mir einer Vogclschwinge<lb/>
Schatten durch die Lettern freundlich blitzend.</l>
              <l> Was da steht, ich hab' es tief empfunden,<lb/>
Und es bleibt ein Stück von meinem Leben &#x2014;<lb/>
Meine Seele flattert ungebunden<lb/>
Und ergötzt sich, drüberhin zu schweben.</l>
            </lg>
          </quote><lb/>
          <p xml:id="ID_1076"> Meyer ist ein Meister der epischen Darstellung, wie er das namentlich<lb/>
in seinen geschichtlichen Novellen bekundet hat. So sind auch unter seinen<lb/>
Gedichten das Unvergänglichste die Balladen, in denen überall frische, gedrungene<lb/>
Kraft der Darstellung und Originalität der Motive zu Tage tritt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1077" next="#ID_1078"> Der Dichter weiß zu schaffen in dem ruhigen, dem &#x201E;ewigblauen" griechischen<lb/>
Himmel vergleichbaren Stil der Antike, wenn er Stoffe aus dem Altertum be¬<lb/>
handelt, und in dem bewegten, farbenprächtigen Lichte mittelalterlicher Romantik,<lb/>
wenn sein Griffel uns etwas aus der Geschichte des Mittelalters gestaltet. Wie<lb/>
herrlich ist der Eingang der Ballade: &#x201E;Der trunkene Gott," in der der Freundes¬<lb/>
mord des Kleitos durch Alexander behandelt wird:</p><lb/>
          <quote>
            <lg xml:id="POEMID_42" type="poem">
              <l> Weiße Marmorstufen steigen<lb/>
Durch der Gärten laub'ge Nacht,<lb/>
Schlanke Palmenfächer reichen<lb/>
In des Himmels blaue Pracht.<lb/>
Über Tempeln, Hainen, Grüften<lb/>
Zeche in abeudweichen Lüften<lb/>
Alexanders Lieblingsschar;<lb/>
Knicend bietet ihm ein Knabe,<lb/>
Daß der Erde Herr sich labe,<lb/>
Wein in edler Schale dar.</l>
            </lg>
          </quote><lb/>
          <p xml:id="ID_1078" prev="#ID_1077" next="#ID_1079"> Das ist dieselbe Plastik des Stimmungsbildes, wie wir sie auch in Meyers<lb/>
prosaischen Schriften finden, namentlich in seinen zwei neuesten Novellen: &#x201E;Die<lb/>
Richterin" und &#x201E;Die Versuchung des Pescara." Der Dichter liebt es, in den<lb/>
meisten seiner Balladen den epischen Faden um ein oder mehrere meisterhafte<lb/>
Stimmungsbilder zu schlingen oder geradezu von einem Stimmungsbilde aus¬<lb/>
zugehen und uns mit einem Schlage in die gewünschte epische Situation zu<lb/>
versetzen. Ich verweise auf die Ballade: &#x201E;Michelangelo," in deren erster Strophe</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0327] Uonrad Ferdinand Meyers Gedichte. Aber gerade diese Eigenschaften sind es, die den Gedichten ein allgemeineres Merkmal ausdrücken, das Merkmal unsers modernen künstlerisch bewußt schaf¬ fenden Zeitgeistes. Es ist die tiefste Empfindung des Dichters, und doch auch wieder nicht er selbst, der in den Gedichten waltet. Meyer drückt sein Ver¬ hältnis zu seinen Gedichten wohl am besten selbst aus, wenn er sagt: Mit dem Stifte les ich diese Dinge, Auf der Rasenbank im Freien sitzend, Plötzlich zuckt mir einer Vogclschwinge Schatten durch die Lettern freundlich blitzend. Was da steht, ich hab' es tief empfunden, Und es bleibt ein Stück von meinem Leben — Meine Seele flattert ungebunden Und ergötzt sich, drüberhin zu schweben. Meyer ist ein Meister der epischen Darstellung, wie er das namentlich in seinen geschichtlichen Novellen bekundet hat. So sind auch unter seinen Gedichten das Unvergänglichste die Balladen, in denen überall frische, gedrungene Kraft der Darstellung und Originalität der Motive zu Tage tritt. Der Dichter weiß zu schaffen in dem ruhigen, dem „ewigblauen" griechischen Himmel vergleichbaren Stil der Antike, wenn er Stoffe aus dem Altertum be¬ handelt, und in dem bewegten, farbenprächtigen Lichte mittelalterlicher Romantik, wenn sein Griffel uns etwas aus der Geschichte des Mittelalters gestaltet. Wie herrlich ist der Eingang der Ballade: „Der trunkene Gott," in der der Freundes¬ mord des Kleitos durch Alexander behandelt wird: Weiße Marmorstufen steigen Durch der Gärten laub'ge Nacht, Schlanke Palmenfächer reichen In des Himmels blaue Pracht. Über Tempeln, Hainen, Grüften Zeche in abeudweichen Lüften Alexanders Lieblingsschar; Knicend bietet ihm ein Knabe, Daß der Erde Herr sich labe, Wein in edler Schale dar. Das ist dieselbe Plastik des Stimmungsbildes, wie wir sie auch in Meyers prosaischen Schriften finden, namentlich in seinen zwei neuesten Novellen: „Die Richterin" und „Die Versuchung des Pescara." Der Dichter liebt es, in den meisten seiner Balladen den epischen Faden um ein oder mehrere meisterhafte Stimmungsbilder zu schlingen oder geradezu von einem Stimmungsbilde aus¬ zugehen und uns mit einem Schlage in die gewünschte epische Situation zu versetzen. Ich verweise auf die Ballade: „Michelangelo," in deren erster Strophe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_289122
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_289122/327
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_289122/327>, abgerufen am 24.08.2024.