Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Aonrad Ferdinand Meyers Gedichte.

Gehorsam aufkündigte und in der Religion die Rückkehr in den Schoß der
alleinseligmachenden Kirche predigte. Mehrere seiner erwähnten jugendlichen
Anhänger waren in der That nahe daran, den Lockrufen des modernen Ratten¬
fängers zu folgen, besannen sich indes, mit Ausnahme eines einzigen, glaube ich,
der aber nicht zu den hervorragenden zählte, im letzten Augenblicke eines Bessern
und thaten den letzten Schritt nicht. (Schluß folgt.)




Konrad Ferdinand Meyers Gedichte.

s wird Wohl selten vorkommen, daß man lyrische Gedichte fast
ausschließlich nach ihrem künstlerischen Werte beurteilt. Bei Konrad
Ferdinand Meyer muß dieses geschehen. Wir finden bei ihm
nicht das schwärmerische Träumen Eichendorffs und der Romantiker,
nicht die süßliche Tändelei, wie sie sich bei Heine und dem jungen
Deutschland oft zeigt. Es ist die ihrer Ziele sich bewußte Kunst, die in diesen
Gedichten hell und schön zu Tage tritt, und der vollendete Geschmack hat oft
das Übergewicht über die lyrische Empfindung.

Wir finden in Meyers Gedichten kein geheimnisvolles Helldunkel, sondern
überall klaren Sonnenschein, nicht den Zauber unbewußter Empfindung, sondern
die Fülle sichtbarer Kraft. Seine Gedichte nehmen nicht ein durch jenes eigen¬
tümliche Verschwimmen der Formen in der Idee, die sie geboren hat, sondern
durch die scharfen plastischen Konturen ihrer Gestalten. Die Plastik, in künst¬
lerisch abwägenden Geschmack ausgebildet, nur mit den notwendigsten Elementen
lyrischer Empfindung versetzt, sie ist es, die diesen Gedichten ihren eigentümlichen
Stempel aufdrückt.

Wir würden das umfangreiche Buch, das kürzlich schon in dritter, vermehrter
Auflage erschienen ist,*) vielleicht unbefriedigt aus der Hand legen, wenn wir
darin reine Lyrik, Liebeslieder, Herzensergüsse u. s. w. suchen wollten. Jedem
Leser aber, der ganz unbefangen an diese Gedichte hinantritt, werden sie eine
Fülle des Anziehenden bieten.

Meyers Gedichte sind auf den ersten Blick Erzeugnisse, die sämtlich den
Stempel seiner dichterischen Natur an sich tragen, die Würde und Erfahrung
des gereiften Mannes, die Objektivität und klare Lebensauffassung des Gebildeten.



") Konrad Ferdinand Meyers Gedichte. Leipzig, H. Hässcl, 1887.
Aonrad Ferdinand Meyers Gedichte.

Gehorsam aufkündigte und in der Religion die Rückkehr in den Schoß der
alleinseligmachenden Kirche predigte. Mehrere seiner erwähnten jugendlichen
Anhänger waren in der That nahe daran, den Lockrufen des modernen Ratten¬
fängers zu folgen, besannen sich indes, mit Ausnahme eines einzigen, glaube ich,
der aber nicht zu den hervorragenden zählte, im letzten Augenblicke eines Bessern
und thaten den letzten Schritt nicht. (Schluß folgt.)




Konrad Ferdinand Meyers Gedichte.

s wird Wohl selten vorkommen, daß man lyrische Gedichte fast
ausschließlich nach ihrem künstlerischen Werte beurteilt. Bei Konrad
Ferdinand Meyer muß dieses geschehen. Wir finden bei ihm
nicht das schwärmerische Träumen Eichendorffs und der Romantiker,
nicht die süßliche Tändelei, wie sie sich bei Heine und dem jungen
Deutschland oft zeigt. Es ist die ihrer Ziele sich bewußte Kunst, die in diesen
Gedichten hell und schön zu Tage tritt, und der vollendete Geschmack hat oft
das Übergewicht über die lyrische Empfindung.

Wir finden in Meyers Gedichten kein geheimnisvolles Helldunkel, sondern
überall klaren Sonnenschein, nicht den Zauber unbewußter Empfindung, sondern
die Fülle sichtbarer Kraft. Seine Gedichte nehmen nicht ein durch jenes eigen¬
tümliche Verschwimmen der Formen in der Idee, die sie geboren hat, sondern
durch die scharfen plastischen Konturen ihrer Gestalten. Die Plastik, in künst¬
lerisch abwägenden Geschmack ausgebildet, nur mit den notwendigsten Elementen
lyrischer Empfindung versetzt, sie ist es, die diesen Gedichten ihren eigentümlichen
Stempel aufdrückt.

Wir würden das umfangreiche Buch, das kürzlich schon in dritter, vermehrter
Auflage erschienen ist,*) vielleicht unbefriedigt aus der Hand legen, wenn wir
darin reine Lyrik, Liebeslieder, Herzensergüsse u. s. w. suchen wollten. Jedem
Leser aber, der ganz unbefangen an diese Gedichte hinantritt, werden sie eine
Fülle des Anziehenden bieten.

Meyers Gedichte sind auf den ersten Blick Erzeugnisse, die sämtlich den
Stempel seiner dichterischen Natur an sich tragen, die Würde und Erfahrung
des gereiften Mannes, die Objektivität und klare Lebensauffassung des Gebildeten.



») Konrad Ferdinand Meyers Gedichte. Leipzig, H. Hässcl, 1887.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0326" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/289449"/>
          <fw type="header" place="top"> Aonrad Ferdinand Meyers Gedichte.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1070" prev="#ID_1069"> Gehorsam aufkündigte und in der Religion die Rückkehr in den Schoß der<lb/>
alleinseligmachenden Kirche predigte. Mehrere seiner erwähnten jugendlichen<lb/>
Anhänger waren in der That nahe daran, den Lockrufen des modernen Ratten¬<lb/>
fängers zu folgen, besannen sich indes, mit Ausnahme eines einzigen, glaube ich,<lb/>
der aber nicht zu den hervorragenden zählte, im letzten Augenblicke eines Bessern<lb/>
und thaten den letzten Schritt nicht. (Schluß folgt.)</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Konrad Ferdinand Meyers Gedichte.</head><lb/>
          <p xml:id="ID_1071"> s wird Wohl selten vorkommen, daß man lyrische Gedichte fast<lb/>
ausschließlich nach ihrem künstlerischen Werte beurteilt. Bei Konrad<lb/>
Ferdinand Meyer muß dieses geschehen. Wir finden bei ihm<lb/>
nicht das schwärmerische Träumen Eichendorffs und der Romantiker,<lb/>
nicht die süßliche Tändelei, wie sie sich bei Heine und dem jungen<lb/>
Deutschland oft zeigt. Es ist die ihrer Ziele sich bewußte Kunst, die in diesen<lb/>
Gedichten hell und schön zu Tage tritt, und der vollendete Geschmack hat oft<lb/>
das Übergewicht über die lyrische Empfindung.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1072"> Wir finden in Meyers Gedichten kein geheimnisvolles Helldunkel, sondern<lb/>
überall klaren Sonnenschein, nicht den Zauber unbewußter Empfindung, sondern<lb/>
die Fülle sichtbarer Kraft. Seine Gedichte nehmen nicht ein durch jenes eigen¬<lb/>
tümliche Verschwimmen der Formen in der Idee, die sie geboren hat, sondern<lb/>
durch die scharfen plastischen Konturen ihrer Gestalten. Die Plastik, in künst¬<lb/>
lerisch abwägenden Geschmack ausgebildet, nur mit den notwendigsten Elementen<lb/>
lyrischer Empfindung versetzt, sie ist es, die diesen Gedichten ihren eigentümlichen<lb/>
Stempel aufdrückt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1073"> Wir würden das umfangreiche Buch, das kürzlich schon in dritter, vermehrter<lb/>
Auflage erschienen ist,*) vielleicht unbefriedigt aus der Hand legen, wenn wir<lb/>
darin reine Lyrik, Liebeslieder, Herzensergüsse u. s. w. suchen wollten. Jedem<lb/>
Leser aber, der ganz unbefangen an diese Gedichte hinantritt, werden sie eine<lb/>
Fülle des Anziehenden bieten.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1074" next="#ID_1075"> Meyers Gedichte sind auf den ersten Blick Erzeugnisse, die sämtlich den<lb/>
Stempel seiner dichterischen Natur an sich tragen, die Würde und Erfahrung<lb/>
des gereiften Mannes, die Objektivität und klare Lebensauffassung des Gebildeten.</p><lb/>
          <note xml:id="FID_19" place="foot"> ») Konrad Ferdinand Meyers Gedichte. Leipzig, H. Hässcl, 1887.</note><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0326] Aonrad Ferdinand Meyers Gedichte. Gehorsam aufkündigte und in der Religion die Rückkehr in den Schoß der alleinseligmachenden Kirche predigte. Mehrere seiner erwähnten jugendlichen Anhänger waren in der That nahe daran, den Lockrufen des modernen Ratten¬ fängers zu folgen, besannen sich indes, mit Ausnahme eines einzigen, glaube ich, der aber nicht zu den hervorragenden zählte, im letzten Augenblicke eines Bessern und thaten den letzten Schritt nicht. (Schluß folgt.) Konrad Ferdinand Meyers Gedichte. s wird Wohl selten vorkommen, daß man lyrische Gedichte fast ausschließlich nach ihrem künstlerischen Werte beurteilt. Bei Konrad Ferdinand Meyer muß dieses geschehen. Wir finden bei ihm nicht das schwärmerische Träumen Eichendorffs und der Romantiker, nicht die süßliche Tändelei, wie sie sich bei Heine und dem jungen Deutschland oft zeigt. Es ist die ihrer Ziele sich bewußte Kunst, die in diesen Gedichten hell und schön zu Tage tritt, und der vollendete Geschmack hat oft das Übergewicht über die lyrische Empfindung. Wir finden in Meyers Gedichten kein geheimnisvolles Helldunkel, sondern überall klaren Sonnenschein, nicht den Zauber unbewußter Empfindung, sondern die Fülle sichtbarer Kraft. Seine Gedichte nehmen nicht ein durch jenes eigen¬ tümliche Verschwimmen der Formen in der Idee, die sie geboren hat, sondern durch die scharfen plastischen Konturen ihrer Gestalten. Die Plastik, in künst¬ lerisch abwägenden Geschmack ausgebildet, nur mit den notwendigsten Elementen lyrischer Empfindung versetzt, sie ist es, die diesen Gedichten ihren eigentümlichen Stempel aufdrückt. Wir würden das umfangreiche Buch, das kürzlich schon in dritter, vermehrter Auflage erschienen ist,*) vielleicht unbefriedigt aus der Hand legen, wenn wir darin reine Lyrik, Liebeslieder, Herzensergüsse u. s. w. suchen wollten. Jedem Leser aber, der ganz unbefangen an diese Gedichte hinantritt, werden sie eine Fülle des Anziehenden bieten. Meyers Gedichte sind auf den ersten Blick Erzeugnisse, die sämtlich den Stempel seiner dichterischen Natur an sich tragen, die Würde und Erfahrung des gereiften Mannes, die Objektivität und klare Lebensauffassung des Gebildeten. ») Konrad Ferdinand Meyers Gedichte. Leipzig, H. Hässcl, 1887.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_289122
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_289122/326
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_289122/326>, abgerufen am 22.07.2024.