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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr.

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Lrinneruilgen aus Alt-Jena.

selbst für den Verfasser dieses Romans gehalten. Von Tübingen war er nach
Zürich gegangen und dort in enge Beziehungen zu den Gebrüdern Rohmer und
zu Bluntschli getreten, und hatte endlich, als hier die schwer verständliche
Rohmersche Hetürie in die Brüche ging, infolge einer Schrift über die "poli¬
tischen Parteien," oder wie der Titel lautete, die nach der Rohmerschen Scha¬
blone die Begünstigung des vierten Standes gegenüber den bösen Liberalen als
rettendes Rezept vorschrieb, eine Einladung nach Berlin erhalten und in der
Redaktion der "Preußischen Staatszeitung" Verwendung gefunden. Als aber
die Revolution die preußische Hauptstadt überwältigte, hielt er als ein Diener
des gestürzten Systems es für ratsam, den unheimlichen Boden zu verlassen und
sich nach Jena zurückzuziehen. Die Jenaische Gesellschaft empfing ihn nicht ohne
Mißtrauen, und in den konservativen Kreisen wenigstens wurde er selten gesehen;
dagegen gewann er mit den Führern der Volkspartei rasch Fühlung, ohne daß
ich jedoch anzugeben wüßte, wie wirksam diese war. In spätern Jahren hat
er wenig von sich reden gemacht.

Ein andrer dieser ungebetenen Gäste war ein Mann viel bekannteren
Namens, nämlich Hannibal Fischer, der "Flottenfischcr" unvergänglichen Ange¬
denkens. Als seine Statthalterschaft im oldenburgischen Fürstentum Birkmfeld
infolge einer populären Erhebung im Frühjahre 1848 ein unerwünschtes Ende
fand, lenkte auch er seine Schritte nach dem gastlichen Saal-Athen. Man
könnte nicht sagen, daß er eine angenehme Erscheinung gewesen sei. Ein wahrer
kavtÄroii <Zös oriurös, trug er sein unfruchtbares politisches Glaubenssystem gar
zu unverfroren vor. Zugleich hatte er etwas Aufdringliches und war feinern
Zurechtweisungen nicht zugänglich. Man hatte freilich auch wieder Mitleid mit
dem alten Manne, der sich nun plötzlich aufs Trockne gesetzt sah; doch hätte er
am liebsten auch jetzt noch eine Rolle gespielt, und dazu reichte sein geistiger
Gehalt doch nicht aus, und seine Vergangenheit stand ihm im Wege. Er wußte
allerdings aus seinem wandelreichen Leben viel Interessantes zu erzählen, aber
er beging den Fehler, sich zu rasch auszugeben, und mit Wiederholungen machte
er kein Glück. Er war von einem unermüdlichen Thätigkcitsdrange beseelt, der
ihn dann weiterhin die Hand nach höchst bedenklichen Aufträgen ausstrecken ließ,
die eine reiche Quelle bitterer Erfahrungen und Verlegenheiten für ihn geworden
sind. In seinem "Politischen Martyrium" kann man über diese Dinge sich des
weitern in seiner Art von ihm selbst erzählen lassen.

Noch eine andre bemerkenswerte Persönlichkeit erschien damals ab und zu
in Jena, nämlich Franz von Florencourt, der bekannte und erst vor kurzem in
hohem Alter gestorbene Publizist und Konvertit, der damals in der Nähe von
Naumburg a. S. lebte und als alter Burschenschafter mit dem "Burgkeller"
nahe Beziehungen unterhielt. Er hatte eine Anzahl der talentvollsten jungen
Männer aus diesem Kreise für seine neueste Richtung gewonnen, die, in der
Politik streng konservativ, der Frankfurter Nationalversammlung geradezu den


Lrinneruilgen aus Alt-Jena.

selbst für den Verfasser dieses Romans gehalten. Von Tübingen war er nach
Zürich gegangen und dort in enge Beziehungen zu den Gebrüdern Rohmer und
zu Bluntschli getreten, und hatte endlich, als hier die schwer verständliche
Rohmersche Hetürie in die Brüche ging, infolge einer Schrift über die „poli¬
tischen Parteien," oder wie der Titel lautete, die nach der Rohmerschen Scha¬
blone die Begünstigung des vierten Standes gegenüber den bösen Liberalen als
rettendes Rezept vorschrieb, eine Einladung nach Berlin erhalten und in der
Redaktion der „Preußischen Staatszeitung" Verwendung gefunden. Als aber
die Revolution die preußische Hauptstadt überwältigte, hielt er als ein Diener
des gestürzten Systems es für ratsam, den unheimlichen Boden zu verlassen und
sich nach Jena zurückzuziehen. Die Jenaische Gesellschaft empfing ihn nicht ohne
Mißtrauen, und in den konservativen Kreisen wenigstens wurde er selten gesehen;
dagegen gewann er mit den Führern der Volkspartei rasch Fühlung, ohne daß
ich jedoch anzugeben wüßte, wie wirksam diese war. In spätern Jahren hat
er wenig von sich reden gemacht.

Ein andrer dieser ungebetenen Gäste war ein Mann viel bekannteren
Namens, nämlich Hannibal Fischer, der „Flottenfischcr" unvergänglichen Ange¬
denkens. Als seine Statthalterschaft im oldenburgischen Fürstentum Birkmfeld
infolge einer populären Erhebung im Frühjahre 1848 ein unerwünschtes Ende
fand, lenkte auch er seine Schritte nach dem gastlichen Saal-Athen. Man
könnte nicht sagen, daß er eine angenehme Erscheinung gewesen sei. Ein wahrer
kavtÄroii <Zös oriurös, trug er sein unfruchtbares politisches Glaubenssystem gar
zu unverfroren vor. Zugleich hatte er etwas Aufdringliches und war feinern
Zurechtweisungen nicht zugänglich. Man hatte freilich auch wieder Mitleid mit
dem alten Manne, der sich nun plötzlich aufs Trockne gesetzt sah; doch hätte er
am liebsten auch jetzt noch eine Rolle gespielt, und dazu reichte sein geistiger
Gehalt doch nicht aus, und seine Vergangenheit stand ihm im Wege. Er wußte
allerdings aus seinem wandelreichen Leben viel Interessantes zu erzählen, aber
er beging den Fehler, sich zu rasch auszugeben, und mit Wiederholungen machte
er kein Glück. Er war von einem unermüdlichen Thätigkcitsdrange beseelt, der
ihn dann weiterhin die Hand nach höchst bedenklichen Aufträgen ausstrecken ließ,
die eine reiche Quelle bitterer Erfahrungen und Verlegenheiten für ihn geworden
sind. In seinem „Politischen Martyrium" kann man über diese Dinge sich des
weitern in seiner Art von ihm selbst erzählen lassen.

Noch eine andre bemerkenswerte Persönlichkeit erschien damals ab und zu
in Jena, nämlich Franz von Florencourt, der bekannte und erst vor kurzem in
hohem Alter gestorbene Publizist und Konvertit, der damals in der Nähe von
Naumburg a. S. lebte und als alter Burschenschafter mit dem „Burgkeller"
nahe Beziehungen unterhielt. Er hatte eine Anzahl der talentvollsten jungen
Männer aus diesem Kreise für seine neueste Richtung gewonnen, die, in der
Politik streng konservativ, der Frankfurter Nationalversammlung geradezu den


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[0325] Lrinneruilgen aus Alt-Jena. selbst für den Verfasser dieses Romans gehalten. Von Tübingen war er nach Zürich gegangen und dort in enge Beziehungen zu den Gebrüdern Rohmer und zu Bluntschli getreten, und hatte endlich, als hier die schwer verständliche Rohmersche Hetürie in die Brüche ging, infolge einer Schrift über die „poli¬ tischen Parteien," oder wie der Titel lautete, die nach der Rohmerschen Scha¬ blone die Begünstigung des vierten Standes gegenüber den bösen Liberalen als rettendes Rezept vorschrieb, eine Einladung nach Berlin erhalten und in der Redaktion der „Preußischen Staatszeitung" Verwendung gefunden. Als aber die Revolution die preußische Hauptstadt überwältigte, hielt er als ein Diener des gestürzten Systems es für ratsam, den unheimlichen Boden zu verlassen und sich nach Jena zurückzuziehen. Die Jenaische Gesellschaft empfing ihn nicht ohne Mißtrauen, und in den konservativen Kreisen wenigstens wurde er selten gesehen; dagegen gewann er mit den Führern der Volkspartei rasch Fühlung, ohne daß ich jedoch anzugeben wüßte, wie wirksam diese war. In spätern Jahren hat er wenig von sich reden gemacht. Ein andrer dieser ungebetenen Gäste war ein Mann viel bekannteren Namens, nämlich Hannibal Fischer, der „Flottenfischcr" unvergänglichen Ange¬ denkens. Als seine Statthalterschaft im oldenburgischen Fürstentum Birkmfeld infolge einer populären Erhebung im Frühjahre 1848 ein unerwünschtes Ende fand, lenkte auch er seine Schritte nach dem gastlichen Saal-Athen. Man könnte nicht sagen, daß er eine angenehme Erscheinung gewesen sei. Ein wahrer kavtÄroii <Zös oriurös, trug er sein unfruchtbares politisches Glaubenssystem gar zu unverfroren vor. Zugleich hatte er etwas Aufdringliches und war feinern Zurechtweisungen nicht zugänglich. Man hatte freilich auch wieder Mitleid mit dem alten Manne, der sich nun plötzlich aufs Trockne gesetzt sah; doch hätte er am liebsten auch jetzt noch eine Rolle gespielt, und dazu reichte sein geistiger Gehalt doch nicht aus, und seine Vergangenheit stand ihm im Wege. Er wußte allerdings aus seinem wandelreichen Leben viel Interessantes zu erzählen, aber er beging den Fehler, sich zu rasch auszugeben, und mit Wiederholungen machte er kein Glück. Er war von einem unermüdlichen Thätigkcitsdrange beseelt, der ihn dann weiterhin die Hand nach höchst bedenklichen Aufträgen ausstrecken ließ, die eine reiche Quelle bitterer Erfahrungen und Verlegenheiten für ihn geworden sind. In seinem „Politischen Martyrium" kann man über diese Dinge sich des weitern in seiner Art von ihm selbst erzählen lassen. Noch eine andre bemerkenswerte Persönlichkeit erschien damals ab und zu in Jena, nämlich Franz von Florencourt, der bekannte und erst vor kurzem in hohem Alter gestorbene Publizist und Konvertit, der damals in der Nähe von Naumburg a. S. lebte und als alter Burschenschafter mit dem „Burgkeller" nahe Beziehungen unterhielt. Er hatte eine Anzahl der talentvollsten jungen Männer aus diesem Kreise für seine neueste Richtung gewonnen, die, in der Politik streng konservativ, der Frankfurter Nationalversammlung geradezu den

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_289122/325>, abgerufen am 22.07.2024.