Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr.Erinnerungen aus Alt-Jena. schweigen darf ich bei dieser Gelegenheit übergehen, daß die Anhänger der Frie¬ Neben der konstitutionellen und der Volkspartei-Gruppe hatte sich noch Zu den eigentümlichen Erscheinungen dieser Zeit gehörte, daß die Jenaer Erinnerungen aus Alt-Jena. schweigen darf ich bei dieser Gelegenheit übergehen, daß die Anhänger der Frie¬ Neben der konstitutionellen und der Volkspartei-Gruppe hatte sich noch Zu den eigentümlichen Erscheinungen dieser Zeit gehörte, daß die Jenaer <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0324" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/289447"/> <fw type="header" place="top"> Erinnerungen aus Alt-Jena.</fw><lb/> <p xml:id="ID_1064" prev="#ID_1063"> schweigen darf ich bei dieser Gelegenheit übergehen, daß die Anhänger der Frie¬<lb/> sischen Philosophie in Jena, zu welcher auch Schleiden zählte, infolge ihrer ab¬<lb/> weichenden politischen Anschauungen, sich jetzt spalteten und einander die<lb/> . Freundschaft kündigten. Professor Ernst Apelt, der bedeutendste dieser Gruppe,<lb/> ein höchst gediegener und charaktervoller Gelehrter, schloß sich eng an die kon¬<lb/> stitutionelle Partei an, und die zerrissene Freundschaft hat sich nicht wieder her¬<lb/> gestellt. Der Pädagoge Stop, als Fachmann hervorragend, mit Begeisterung in<lb/> den Spuren Pestalozzis wandelnd, ein schöpferischer und organisatorischer Geist,<lb/> ließ sich durch seine volkstümlichen Instinkte auf die Seite der „Volkspartei"<lb/> treiben, ohne über politische Dinge bisher tiefere Betrachtungen angestellt zu<lb/> haben. Er war übrigens in seiner Art ein warmer deutscher Patriot, und es<lb/> gehörte zu seinem System, in den Seelen seiner jugendlichen Zöglinge die Saat<lb/> vaterländischen Sinnes auszustreuen. Der Kliniker A. F. sichert, ein Schüler<lb/> Schönleins, der wenige Jahre vorher aus Vambcrg, wie sein Freund, der Chi¬<lb/> rurg Ried aus Erlangen, nach Jena gerufen worden war, behandelte die Po¬<lb/> litik wohl nicht immer von der ernsthaftesten Seite; gewohnt, sich gehen zu<lb/> lassen, fühlte er sich in diesem Kreise am behaglichsten und konnte mit Sicher¬<lb/> heit darauf rechnen, für seine humoristischen Einfälle ein dankbares Publikum<lb/> zu finden.</p><lb/> <p xml:id="ID_1065"> Neben der konstitutionellen und der Volkspartei-Gruppe hatte sich noch<lb/> eine dritte gebildet, die anf die soziale Republik lossteuerte. Ihr herrschendes<lb/> Haupt war Lafaurie, ein geborner Hamburger, der schon ein paar Jahre vorher<lb/> in Jena aufgetaucht war, nachdem er sich, wie man sagte, auf längern Reisen<lb/> durch Frankreich mit den neuesten kommunistischen Lehren erfüllt hatte. Sein<lb/> Anhang sammelte sich aus dem Kreise der Arbeiter, dem sich eine Anzahl Klein¬<lb/> bürger und wenige Studenten anschlössen. Lafaurie, von fanatischer Anlage<lb/> und mit agitatorischer Kraft ausgestattet, sah bald ein, daß er in der Stadt<lb/> selbst nicht auf große Erfolge rechnen dürfe, und übertrug daher seine Propa¬<lb/> ganda in die Umgegend, auf das flache Laud, wo er, vou der Erlahmung aller<lb/> offiziellen Organe unterstützt, mit seinen verführerischen Lehren bei den gut¬<lb/> mütigen und politisch vollständig unreifen thüringischen Bauern bereitwilliges<lb/> Gehör fand. Aber auch in der Stadt Weimar erfreute er sich lebhafter Be¬<lb/> ziehungen und einer, wenn nicht starken, doch ergebenen Gefolgschaft.</p><lb/> <p xml:id="ID_1066" next="#ID_1067"> Zu den eigentümlichen Erscheinungen dieser Zeit gehörte, daß die Jenaer<lb/> Gesellschaft von außen her allerlei Zuwachs erhielt: die abgelegene Stadt war<lb/> wie eine Freistätte, an der jetzt so mancher, den irgendwo die revolutionäre<lb/> Sintflut dieser Tage erreicht hatte, Schutz suchte. So erinnere ich mich, daß<lb/> bald nach den Märztagen als ungeladener Gast von Berlin her plötzlich der<lb/> ^ Schwabe Adolf Widmann auftauchte. Er hatte ursprünglich in Tübingen in<lb/> dem Kreise gelebt, den der seiner Zeit viel besprochene Roman Lritis sicut, I)<zu8<lb/> geschildert hat, ja eine Zeit lang hat man, soviel bekannt, mit Unrecht, ihn</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0324]
Erinnerungen aus Alt-Jena.
schweigen darf ich bei dieser Gelegenheit übergehen, daß die Anhänger der Frie¬
sischen Philosophie in Jena, zu welcher auch Schleiden zählte, infolge ihrer ab¬
weichenden politischen Anschauungen, sich jetzt spalteten und einander die
. Freundschaft kündigten. Professor Ernst Apelt, der bedeutendste dieser Gruppe,
ein höchst gediegener und charaktervoller Gelehrter, schloß sich eng an die kon¬
stitutionelle Partei an, und die zerrissene Freundschaft hat sich nicht wieder her¬
gestellt. Der Pädagoge Stop, als Fachmann hervorragend, mit Begeisterung in
den Spuren Pestalozzis wandelnd, ein schöpferischer und organisatorischer Geist,
ließ sich durch seine volkstümlichen Instinkte auf die Seite der „Volkspartei"
treiben, ohne über politische Dinge bisher tiefere Betrachtungen angestellt zu
haben. Er war übrigens in seiner Art ein warmer deutscher Patriot, und es
gehörte zu seinem System, in den Seelen seiner jugendlichen Zöglinge die Saat
vaterländischen Sinnes auszustreuen. Der Kliniker A. F. sichert, ein Schüler
Schönleins, der wenige Jahre vorher aus Vambcrg, wie sein Freund, der Chi¬
rurg Ried aus Erlangen, nach Jena gerufen worden war, behandelte die Po¬
litik wohl nicht immer von der ernsthaftesten Seite; gewohnt, sich gehen zu
lassen, fühlte er sich in diesem Kreise am behaglichsten und konnte mit Sicher¬
heit darauf rechnen, für seine humoristischen Einfälle ein dankbares Publikum
zu finden.
Neben der konstitutionellen und der Volkspartei-Gruppe hatte sich noch
eine dritte gebildet, die anf die soziale Republik lossteuerte. Ihr herrschendes
Haupt war Lafaurie, ein geborner Hamburger, der schon ein paar Jahre vorher
in Jena aufgetaucht war, nachdem er sich, wie man sagte, auf längern Reisen
durch Frankreich mit den neuesten kommunistischen Lehren erfüllt hatte. Sein
Anhang sammelte sich aus dem Kreise der Arbeiter, dem sich eine Anzahl Klein¬
bürger und wenige Studenten anschlössen. Lafaurie, von fanatischer Anlage
und mit agitatorischer Kraft ausgestattet, sah bald ein, daß er in der Stadt
selbst nicht auf große Erfolge rechnen dürfe, und übertrug daher seine Propa¬
ganda in die Umgegend, auf das flache Laud, wo er, vou der Erlahmung aller
offiziellen Organe unterstützt, mit seinen verführerischen Lehren bei den gut¬
mütigen und politisch vollständig unreifen thüringischen Bauern bereitwilliges
Gehör fand. Aber auch in der Stadt Weimar erfreute er sich lebhafter Be¬
ziehungen und einer, wenn nicht starken, doch ergebenen Gefolgschaft.
Zu den eigentümlichen Erscheinungen dieser Zeit gehörte, daß die Jenaer
Gesellschaft von außen her allerlei Zuwachs erhielt: die abgelegene Stadt war
wie eine Freistätte, an der jetzt so mancher, den irgendwo die revolutionäre
Sintflut dieser Tage erreicht hatte, Schutz suchte. So erinnere ich mich, daß
bald nach den Märztagen als ungeladener Gast von Berlin her plötzlich der
^ Schwabe Adolf Widmann auftauchte. Er hatte ursprünglich in Tübingen in
dem Kreise gelebt, den der seiner Zeit viel besprochene Roman Lritis sicut, I)<zu8
geschildert hat, ja eine Zeit lang hat man, soviel bekannt, mit Unrecht, ihn
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