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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr.

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Tagebuchblätter eines Sountagsphilosophen.

reich und Portugall aber, weil die alte Teutschen selbige Länder hiebevor auch
eingenonimen und regieret haben, ihre Kronen von der Teutschen Nation aus
freien Stücken zu Lehen empfangen, und alsdann wird wie zu Augusti Zeiten
ein ewiger beständiger Friede zwischen allen Völkern in der ganzen Welt sein":
ein wundersames Traumbild, zumal mit dem grausigen großen Kriege als
Hintergrund, aber eben dieser trieb als Gegensatz dies Traumbild heraus als
Trost in den Wolken erscheinend. Daß auch in dem geträumten Verhältnis
von Europa zu Deutschland ein ernster Kern enthalten ist, wird durch deu
Zusammenhang mit dem wissenschaftlichen Bewußtsein der Zeit erkennbar. Man
weidete sich damals, im Beginn des sprachvergleichenden geschichtlichen Denkens,
an der Einheit der Sprachen und des Geblüts der germanischen Völker, man
stärkte sich daran in dem mitten in allem Jammer neu aufsteigenden deutschen
Selbstbewußtsein, und hier leuchtet aus der neuen Erkenntnis ein ahnender
Gedanke auf: wenn diese Einheit das Ursprüngliche ist, muß sie wohl auch
wiederkommen in der Zeit der Vollendung, wo die deutsche Nation (denn diese
ist gemeint, nicht das Kaisertum) als Lehnsherrin von Europa Allen den
ewigen Frieden verbürgen wird.

Der närrische Jupiter denkt aber auch an die harte Gegenwart und greift
mit großen Zukunftsgedanken ein. Nach dem großen Gericht wird der teutsche
Held "von jeder Stadt durch ganz Teutschland zween von den klügsten und
gelehrtesten Männern zu sich nehmen, aus denselben ein Parlament machen,
die Städte miteinander auf ewig vereinigen (von den Fürsten ist keine Rede),
die Leibeigenschaften samt allen Zöllen, Accisen, Zinsen u. s. w. aufheben und
solche Anstalten (Einrichtungen) machen, daß man von . . . keiner Beschwerung
beim Volk mehr wissen, sondern viel seliger als in den Elysischen Feldern
leben wird." Ja Jupiter selbst will dann mit dem ganzen Chorus der Götter
zu den Deutschen heruntersteigen, "mich unter ihren Weinstöcken und Feigen¬
bäumen zu ergötzen," biblisch traumhaft gedacht. Auch an die Bewegung denkt
er, in der damals und noch auf lange hin die Geister ihren nächsten Hoffnungs-
stern glänzen sahen, an die durch Opitz angeregte. Da einmal die Götter in
Deutschland sich ansiedeln werden (von denen ja die Dichter und Reimer so
viel sangen und redeten, die Maler malten u. s. w.), will er auch den Helieou
nach Deutschland versetzen und die Musen von neuem darauf pflanzen, ein
traumhafter Ausdruck für das Ziel, das man sich im Wetteifer mit den Ita¬
lienern, Franzosen u. s. w. als höchstes gesteckt hatte: aus Deutschland ein neues
Kunst-Griechenland zu machen, ein Ziel, das ja treibend und lockend gewirkt
hat eigentlich bis es durch die Romantiker von einem andern abgelöst wurde.*)



*) Dieser Gedankenkreis giebt, beiläufig zu sage", auch noch den Ilm-Athen, Pleiß-
Athen, Jsar-Athen, Gleim-Anakreon, Goethe-Apoll u. s. w,, die uns nun doch bestaubt aus¬
sehen, seinen Hintergrund und rechte Beleuchtung. Im siebzehnten Jahrhundert wimmelt'
es von solchen Gleichsetzungen von Griechischem und Deutschem, mit einem Ernst behandelt,
Tagebuchblätter eines Sountagsphilosophen.

reich und Portugall aber, weil die alte Teutschen selbige Länder hiebevor auch
eingenonimen und regieret haben, ihre Kronen von der Teutschen Nation aus
freien Stücken zu Lehen empfangen, und alsdann wird wie zu Augusti Zeiten
ein ewiger beständiger Friede zwischen allen Völkern in der ganzen Welt sein":
ein wundersames Traumbild, zumal mit dem grausigen großen Kriege als
Hintergrund, aber eben dieser trieb als Gegensatz dies Traumbild heraus als
Trost in den Wolken erscheinend. Daß auch in dem geträumten Verhältnis
von Europa zu Deutschland ein ernster Kern enthalten ist, wird durch deu
Zusammenhang mit dem wissenschaftlichen Bewußtsein der Zeit erkennbar. Man
weidete sich damals, im Beginn des sprachvergleichenden geschichtlichen Denkens,
an der Einheit der Sprachen und des Geblüts der germanischen Völker, man
stärkte sich daran in dem mitten in allem Jammer neu aufsteigenden deutschen
Selbstbewußtsein, und hier leuchtet aus der neuen Erkenntnis ein ahnender
Gedanke auf: wenn diese Einheit das Ursprüngliche ist, muß sie wohl auch
wiederkommen in der Zeit der Vollendung, wo die deutsche Nation (denn diese
ist gemeint, nicht das Kaisertum) als Lehnsherrin von Europa Allen den
ewigen Frieden verbürgen wird.

Der närrische Jupiter denkt aber auch an die harte Gegenwart und greift
mit großen Zukunftsgedanken ein. Nach dem großen Gericht wird der teutsche
Held „von jeder Stadt durch ganz Teutschland zween von den klügsten und
gelehrtesten Männern zu sich nehmen, aus denselben ein Parlament machen,
die Städte miteinander auf ewig vereinigen (von den Fürsten ist keine Rede),
die Leibeigenschaften samt allen Zöllen, Accisen, Zinsen u. s. w. aufheben und
solche Anstalten (Einrichtungen) machen, daß man von . . . keiner Beschwerung
beim Volk mehr wissen, sondern viel seliger als in den Elysischen Feldern
leben wird." Ja Jupiter selbst will dann mit dem ganzen Chorus der Götter
zu den Deutschen heruntersteigen, „mich unter ihren Weinstöcken und Feigen¬
bäumen zu ergötzen," biblisch traumhaft gedacht. Auch an die Bewegung denkt
er, in der damals und noch auf lange hin die Geister ihren nächsten Hoffnungs-
stern glänzen sahen, an die durch Opitz angeregte. Da einmal die Götter in
Deutschland sich ansiedeln werden (von denen ja die Dichter und Reimer so
viel sangen und redeten, die Maler malten u. s. w.), will er auch den Helieou
nach Deutschland versetzen und die Musen von neuem darauf pflanzen, ein
traumhafter Ausdruck für das Ziel, das man sich im Wetteifer mit den Ita¬
lienern, Franzosen u. s. w. als höchstes gesteckt hatte: aus Deutschland ein neues
Kunst-Griechenland zu machen, ein Ziel, das ja treibend und lockend gewirkt
hat eigentlich bis es durch die Romantiker von einem andern abgelöst wurde.*)



*) Dieser Gedankenkreis giebt, beiläufig zu sage», auch noch den Ilm-Athen, Pleiß-
Athen, Jsar-Athen, Gleim-Anakreon, Goethe-Apoll u. s. w,, die uns nun doch bestaubt aus¬
sehen, seinen Hintergrund und rechte Beleuchtung. Im siebzehnten Jahrhundert wimmelt'
es von solchen Gleichsetzungen von Griechischem und Deutschem, mit einem Ernst behandelt,
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_289122/32>, abgerufen am 22.07.2024.