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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr.

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Zur Alters- und Jnvalidenversorgung.

frage bezeichnen kann, ist der zweite ganz entschieden der wichtigere und schwie¬
rigere. Wenn von mancher Seite die Ansicht geäußert wird, daß eine Alters¬
rente von 120 Mark zu wenig sei, daß das 70. Lebensjahr ein zu später Termin
für die Berechtigung zum Bezug dieser Rente, daß der Zeitpunkt bis zum Bezug
des Höchstbetrages der Invalidenrente mit 45 Jahren Wartezeit zu weit hinaus¬
geschoben sei, so sind das Dinge, über die sich streiten läßt, aber es sind auch
Dinge, die jederzeit, auch nach der Einführung des Gesetzes, wieder mit leichter
Mühe geändert werden können. Man wird sagen dürfen: Es ist besser, für
den Anfang zu wenig zu bieten, als zu viel. Sind einmal Erfahrungen ge¬
sammelt und zeigt es sich, daß Abhilfe in dieser oder jener Beziehung nötig
ist, so ist diese bald geschaffen, indem man die Zahlen entsprechend verändert.
Anders verhält es sich mit der Organisationsfrage. Ist der Verwaltungs¬
apparat einmal geschaffen, so sollte er so sein, daß man ihn lassen kann, wie
er ist. Eingreifende Änderungen nach kurzer Zeit wieder vorzunehmen, ist
mißlich und schädlich. Hier gilt es also, mit aller Vorsicht zu Werke zu gehen,
damit etwas wirklich Gutes und dauernd Brauchbares geschaffen werde.

Nach dem seitherigen Gange der Angelegenheit sind nun drei verschiedene
Vorschläge wegen der Organisation zu Tage getreten: der erste ist der ur¬
sprüngliche Plan der Reichsregierung, die für die Unfallversicherung geschaffenen
Berufsgenossenschaften auch zu Trägern der Alters- und Jnvalidenversorgung
zu machen; der zweite Vorschlag möchte die Krankenkassen mit der gleichzeitigen
Besorgung wenigstens eines Teiles der Alters- und Jnvalidenversorgung betraut
sehen; der dritte findet seine Vertretung in dem neuesten Entwurf des Bundes¬
ratsausschusses und will zur Besorgung der Alters- und Jnvalidenangelegenhcit
ganz neue Verbände schaffen.

Dem letzten Vorschlage gegenüber drängt sich uns die Frage auf: Ist es
notwendig, zu den Anstalten für das Krankenwesen und für die Unfallver¬
sicherung noch eine dritte Anstalt mit weiterem kostspieligen Apparat zu schaffen?
Wäre es nicht möglich, diesen Aufwand zu ersparen und die neue Anstalt einer
der schon bestehenden anzugliedern? Daß es wünschenswert sei, wird man
Wohl zugeben; daß es auch, und zwar in ziemlich einfacher Weise, möglich ist,
hoffe ich zeigen zu können.

Wenn aber keine neue Anstalt geschaffen werden soll, an welche von den
beiden seitherigen Anstalten soll sich die neue Einrichtung anschließen? Be¬
trachten wir zunächst die Krankenkassen. Sie sind geschaffen, um den Arbeiter
gegen die Folgen vorübergehender Krankheit zu versichern, und man darf wohl
sagen, daß sie diesen Zweck seither, abgesehen von den Fehlern, die jede der¬
artige große Neuschöpfung bei dem Mangel jeglicher Erfahrung mit sich bringen
mußte, recht gut erfüllt haben. Was die Organisation dieser Kassen betrifft,
so zeigt sie eine Mischung von Berufs- und Ortsgliederung. Ortskassen, Ge¬
meinde- und Bczirkskassen, eingeschriebene Hilfskasfen, Jnnnngskasscn, Fabrik-


Grenzbotm III. 1888. 33
Zur Alters- und Jnvalidenversorgung.

frage bezeichnen kann, ist der zweite ganz entschieden der wichtigere und schwie¬
rigere. Wenn von mancher Seite die Ansicht geäußert wird, daß eine Alters¬
rente von 120 Mark zu wenig sei, daß das 70. Lebensjahr ein zu später Termin
für die Berechtigung zum Bezug dieser Rente, daß der Zeitpunkt bis zum Bezug
des Höchstbetrages der Invalidenrente mit 45 Jahren Wartezeit zu weit hinaus¬
geschoben sei, so sind das Dinge, über die sich streiten läßt, aber es sind auch
Dinge, die jederzeit, auch nach der Einführung des Gesetzes, wieder mit leichter
Mühe geändert werden können. Man wird sagen dürfen: Es ist besser, für
den Anfang zu wenig zu bieten, als zu viel. Sind einmal Erfahrungen ge¬
sammelt und zeigt es sich, daß Abhilfe in dieser oder jener Beziehung nötig
ist, so ist diese bald geschaffen, indem man die Zahlen entsprechend verändert.
Anders verhält es sich mit der Organisationsfrage. Ist der Verwaltungs¬
apparat einmal geschaffen, so sollte er so sein, daß man ihn lassen kann, wie
er ist. Eingreifende Änderungen nach kurzer Zeit wieder vorzunehmen, ist
mißlich und schädlich. Hier gilt es also, mit aller Vorsicht zu Werke zu gehen,
damit etwas wirklich Gutes und dauernd Brauchbares geschaffen werde.

Nach dem seitherigen Gange der Angelegenheit sind nun drei verschiedene
Vorschläge wegen der Organisation zu Tage getreten: der erste ist der ur¬
sprüngliche Plan der Reichsregierung, die für die Unfallversicherung geschaffenen
Berufsgenossenschaften auch zu Trägern der Alters- und Jnvalidenversorgung
zu machen; der zweite Vorschlag möchte die Krankenkassen mit der gleichzeitigen
Besorgung wenigstens eines Teiles der Alters- und Jnvalidenversorgung betraut
sehen; der dritte findet seine Vertretung in dem neuesten Entwurf des Bundes¬
ratsausschusses und will zur Besorgung der Alters- und Jnvalidenangelegenhcit
ganz neue Verbände schaffen.

Dem letzten Vorschlage gegenüber drängt sich uns die Frage auf: Ist es
notwendig, zu den Anstalten für das Krankenwesen und für die Unfallver¬
sicherung noch eine dritte Anstalt mit weiterem kostspieligen Apparat zu schaffen?
Wäre es nicht möglich, diesen Aufwand zu ersparen und die neue Anstalt einer
der schon bestehenden anzugliedern? Daß es wünschenswert sei, wird man
Wohl zugeben; daß es auch, und zwar in ziemlich einfacher Weise, möglich ist,
hoffe ich zeigen zu können.

Wenn aber keine neue Anstalt geschaffen werden soll, an welche von den
beiden seitherigen Anstalten soll sich die neue Einrichtung anschließen? Be¬
trachten wir zunächst die Krankenkassen. Sie sind geschaffen, um den Arbeiter
gegen die Folgen vorübergehender Krankheit zu versichern, und man darf wohl
sagen, daß sie diesen Zweck seither, abgesehen von den Fehlern, die jede der¬
artige große Neuschöpfung bei dem Mangel jeglicher Erfahrung mit sich bringen
mußte, recht gut erfüllt haben. Was die Organisation dieser Kassen betrifft,
so zeigt sie eine Mischung von Berufs- und Ortsgliederung. Ortskassen, Ge¬
meinde- und Bczirkskassen, eingeschriebene Hilfskasfen, Jnnnngskasscn, Fabrik-


Grenzbotm III. 1888. 33
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[0305] Zur Alters- und Jnvalidenversorgung. frage bezeichnen kann, ist der zweite ganz entschieden der wichtigere und schwie¬ rigere. Wenn von mancher Seite die Ansicht geäußert wird, daß eine Alters¬ rente von 120 Mark zu wenig sei, daß das 70. Lebensjahr ein zu später Termin für die Berechtigung zum Bezug dieser Rente, daß der Zeitpunkt bis zum Bezug des Höchstbetrages der Invalidenrente mit 45 Jahren Wartezeit zu weit hinaus¬ geschoben sei, so sind das Dinge, über die sich streiten läßt, aber es sind auch Dinge, die jederzeit, auch nach der Einführung des Gesetzes, wieder mit leichter Mühe geändert werden können. Man wird sagen dürfen: Es ist besser, für den Anfang zu wenig zu bieten, als zu viel. Sind einmal Erfahrungen ge¬ sammelt und zeigt es sich, daß Abhilfe in dieser oder jener Beziehung nötig ist, so ist diese bald geschaffen, indem man die Zahlen entsprechend verändert. Anders verhält es sich mit der Organisationsfrage. Ist der Verwaltungs¬ apparat einmal geschaffen, so sollte er so sein, daß man ihn lassen kann, wie er ist. Eingreifende Änderungen nach kurzer Zeit wieder vorzunehmen, ist mißlich und schädlich. Hier gilt es also, mit aller Vorsicht zu Werke zu gehen, damit etwas wirklich Gutes und dauernd Brauchbares geschaffen werde. Nach dem seitherigen Gange der Angelegenheit sind nun drei verschiedene Vorschläge wegen der Organisation zu Tage getreten: der erste ist der ur¬ sprüngliche Plan der Reichsregierung, die für die Unfallversicherung geschaffenen Berufsgenossenschaften auch zu Trägern der Alters- und Jnvalidenversorgung zu machen; der zweite Vorschlag möchte die Krankenkassen mit der gleichzeitigen Besorgung wenigstens eines Teiles der Alters- und Jnvalidenversorgung betraut sehen; der dritte findet seine Vertretung in dem neuesten Entwurf des Bundes¬ ratsausschusses und will zur Besorgung der Alters- und Jnvalidenangelegenhcit ganz neue Verbände schaffen. Dem letzten Vorschlage gegenüber drängt sich uns die Frage auf: Ist es notwendig, zu den Anstalten für das Krankenwesen und für die Unfallver¬ sicherung noch eine dritte Anstalt mit weiterem kostspieligen Apparat zu schaffen? Wäre es nicht möglich, diesen Aufwand zu ersparen und die neue Anstalt einer der schon bestehenden anzugliedern? Daß es wünschenswert sei, wird man Wohl zugeben; daß es auch, und zwar in ziemlich einfacher Weise, möglich ist, hoffe ich zeigen zu können. Wenn aber keine neue Anstalt geschaffen werden soll, an welche von den beiden seitherigen Anstalten soll sich die neue Einrichtung anschließen? Be¬ trachten wir zunächst die Krankenkassen. Sie sind geschaffen, um den Arbeiter gegen die Folgen vorübergehender Krankheit zu versichern, und man darf wohl sagen, daß sie diesen Zweck seither, abgesehen von den Fehlern, die jede der¬ artige große Neuschöpfung bei dem Mangel jeglicher Erfahrung mit sich bringen mußte, recht gut erfüllt haben. Was die Organisation dieser Kassen betrifft, so zeigt sie eine Mischung von Berufs- und Ortsgliederung. Ortskassen, Ge¬ meinde- und Bczirkskassen, eingeschriebene Hilfskasfen, Jnnnngskasscn, Fabrik- Grenzbotm III. 1888. 33

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_289122/305>, abgerufen am 22.07.2024.