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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr.

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Tagebuchblätter eines Sonntagsphilosophen.

wurde als der rettende Friedrich aufgefaßt, man deutete den in Sigmunds Re¬
formation prophezeiten Priester Friedrich auf libr (Bezold a. a. O. S. 1221).
Es hat etwas tief Rührendes, dies Festhalten an einem Hoffnungsfaden, einem
Faden in einer Spinnewebe gleich, aber fortgesponnen in den Geistern an einem
Namen, der alle Not überleuchtete. Und die Hoffnung sollte ja nicht täuschen,
wenn auch die Not sich noch lange mit fortspann in wirrem Gewebe.

Von Luther selbst ist über Deutschlands politischen Stand eine Äußerung
glücklich aufgezeichnet, die gar nicht mittelalterlich mehr, sondern recht modern
klingt, in seinen Tischreden (Frankfurt 1571 395 d. Förstemanns Ausgabe 4, 662,
auch in der Auswahl von Friedr. v. Schmidt, Leipzig, Reclam, S. 371): "Teutsch¬
land ist wie ein schöner weiblicher Hengst, der Futter und alles genug hat,
was er bedarf, es fehlet ihm aber an einem Reuter. Gleich nun wie ein stark
Pferd on einen Reuter, der es regiert, hiu und wider in die irre lauft, also
ist auch Teutschland mechtig genug von Sterke und Leuten, es mangelt ihm
aber an einem guten Haupt und Regenten." Anwendung auf das, was wir
nun über dreihundert Jahre später erlebt haben, ist auszusprechen nicht nötig.
Mir wars aber, als müßte Bismarck auf alle Fälle von Luthers Worten
wissen, so hab ich mir denn einmal erlaubt, sie ihm als Neujahrsgruß zuzu¬
schicken. Von ihm selbst weiß man ein anklingendes Wort, in dem er aber,
man könnte sagen bescheiden, Deutschland selber zum Reiter macht: "Setzen wir
nur Deutschland in den Sattel, reiten wird es schon können."

Auch im siebzehnten Jahrhundert, in der Zeit des größten deutschen Elends,
konnte das Prophezeien nicht fehlen; mitten in der entsetzlichen Ernüchterung
gegenüber der Blütezeit des vorherigen Jahrhunderts glich es mehr als je dem
Brete, an das sich der Ertrinkende klammert, um über Wasser zu bleiben.
Wenn es im sechzehnten Jahrhundert auf bestem Wege war, daß sich ganz
Deutschland um die Stimme des Propheten sammelte, um zunächst die religiöse
Reformation durchzusetzen, so gab eben diese nun den Anstoß dazu, daß die po¬
litischen Kräfte gegen und durch einander gingen in einem Kampfe der Ver¬
nichtung und Verwüstung, daß die altersehnte Reformation unter Mitwirkung
des Auslandes zu einer allgemeinen Zerstörung zu werden drohte. Und doch
blühte in derselben Zeit in der Litteratur eine neue Geisteswelt auf, auch
eine Reformation, die für die Gesamtreformation selbst die Führung übernehmen
sollte.

Das patriotische Prophezeien erscheint groß und eigenartig bei Christoph
von Grimmelshausen, mit eigentümlicher Mischung von Ideen, die der Ver¬
gangenheit, und solchen, die der Zukunft zugekehrt sind, dabei in dem köstlichen
Tone, der dem merkwürdigen Manne zu Gebote steht, jener Mischung von
ganzem, großem Ernste, wie ihn die Zeit nährte, und freiem Humor, wie sie
ihn in gesunden Geistern gerade auch wach rief, einem heiter in sich selbst
ruhenden Sinne, der über die Greuel und Ängste der Zeit frei hinweg schwamm.


Tagebuchblätter eines Sonntagsphilosophen.

wurde als der rettende Friedrich aufgefaßt, man deutete den in Sigmunds Re¬
formation prophezeiten Priester Friedrich auf libr (Bezold a. a. O. S. 1221).
Es hat etwas tief Rührendes, dies Festhalten an einem Hoffnungsfaden, einem
Faden in einer Spinnewebe gleich, aber fortgesponnen in den Geistern an einem
Namen, der alle Not überleuchtete. Und die Hoffnung sollte ja nicht täuschen,
wenn auch die Not sich noch lange mit fortspann in wirrem Gewebe.

Von Luther selbst ist über Deutschlands politischen Stand eine Äußerung
glücklich aufgezeichnet, die gar nicht mittelalterlich mehr, sondern recht modern
klingt, in seinen Tischreden (Frankfurt 1571 395 d. Förstemanns Ausgabe 4, 662,
auch in der Auswahl von Friedr. v. Schmidt, Leipzig, Reclam, S. 371): „Teutsch¬
land ist wie ein schöner weiblicher Hengst, der Futter und alles genug hat,
was er bedarf, es fehlet ihm aber an einem Reuter. Gleich nun wie ein stark
Pferd on einen Reuter, der es regiert, hiu und wider in die irre lauft, also
ist auch Teutschland mechtig genug von Sterke und Leuten, es mangelt ihm
aber an einem guten Haupt und Regenten." Anwendung auf das, was wir
nun über dreihundert Jahre später erlebt haben, ist auszusprechen nicht nötig.
Mir wars aber, als müßte Bismarck auf alle Fälle von Luthers Worten
wissen, so hab ich mir denn einmal erlaubt, sie ihm als Neujahrsgruß zuzu¬
schicken. Von ihm selbst weiß man ein anklingendes Wort, in dem er aber,
man könnte sagen bescheiden, Deutschland selber zum Reiter macht: „Setzen wir
nur Deutschland in den Sattel, reiten wird es schon können."

Auch im siebzehnten Jahrhundert, in der Zeit des größten deutschen Elends,
konnte das Prophezeien nicht fehlen; mitten in der entsetzlichen Ernüchterung
gegenüber der Blütezeit des vorherigen Jahrhunderts glich es mehr als je dem
Brete, an das sich der Ertrinkende klammert, um über Wasser zu bleiben.
Wenn es im sechzehnten Jahrhundert auf bestem Wege war, daß sich ganz
Deutschland um die Stimme des Propheten sammelte, um zunächst die religiöse
Reformation durchzusetzen, so gab eben diese nun den Anstoß dazu, daß die po¬
litischen Kräfte gegen und durch einander gingen in einem Kampfe der Ver¬
nichtung und Verwüstung, daß die altersehnte Reformation unter Mitwirkung
des Auslandes zu einer allgemeinen Zerstörung zu werden drohte. Und doch
blühte in derselben Zeit in der Litteratur eine neue Geisteswelt auf, auch
eine Reformation, die für die Gesamtreformation selbst die Führung übernehmen
sollte.

Das patriotische Prophezeien erscheint groß und eigenartig bei Christoph
von Grimmelshausen, mit eigentümlicher Mischung von Ideen, die der Ver¬
gangenheit, und solchen, die der Zukunft zugekehrt sind, dabei in dem köstlichen
Tone, der dem merkwürdigen Manne zu Gebote steht, jener Mischung von
ganzem, großem Ernste, wie ihn die Zeit nährte, und freiem Humor, wie sie
ihn in gesunden Geistern gerade auch wach rief, einem heiter in sich selbst
ruhenden Sinne, der über die Greuel und Ängste der Zeit frei hinweg schwamm.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_289122/30>, abgerufen am 24.08.2024.