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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr.

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Das Wahlkartell und die Rreuzzeitnngspartoi,

höheren Ziele unterordnen, recht wohl was geschehen kann, ohne daß man
der eignen Überzeugung irgend etwas vergiebt."

In diesem Sinne verfuhren denn auch die nationalen Parteien bei der
Vorbereitung zu den Wahlen. Die Deutschkonservativen, die Reichspartci und
die Nationalliberalen schlössen mit einander ein Wahlkartcll, wonach in den
Wahlkreisen, in denen bisher ein Mitglied einer von diesen drei politischen
Gruppen im Besitze eines Maubads gewesen war, dieser oder ein Ersatzmann
gleicher Farbe gewählt werden und in andern Kreisen eine Einigung der Ver¬
bündeten über einen gemeinschaftlichen Bewerber erfolgen sollte. Die Folge
dieser Übereinkunft war, daß die Wahlschlacht vom 21. Februar mit einem
glänzenden Siege der reichstreuen Parteien über die Demokraten der ver¬
schiedenen Schattirungen endigte: die Deutschfreisinnigcn behielten von 67 Man¬
daten nur 11, von denen sie überdies 2 der Unterstützung der Klerikalen ver¬
dankten, die Volkspartei wurde ganz und gar vom parlamentarischen Boden
weggefegt, die sozialdemokratischen Bundesbrüder der Herren Windthorst und
Richter büßten die 6 Neichstcigssitze ein, die ihnen die letzten Wahlen in Sachsen
verschafft hatten, das diesmal 22 nationalgesinnte Vertreter und nur einen
deutschfreisinnigen nach Berlin sandte. Mit der oppositionellen Mehrheit war
es zu Ende, und die Negierung sah sich einem Reichstage gegenüber, mit dem
sich ihre reformatorischen Absichten und Aufgaben rasch und unbeschnitten aus¬
führen ließen. Man atmete auf wie nach einem Alpdrücken, man fühlte sich
wie genesen von langewirkcnder Vergiftung, wie von neuem Trieb und Leben
erfüllt. Mit freudiger Genugthuung begrüßte" es alle Patrioten, als sie in
den Berichten vom Parlament täglich mehr sahen, wie in dessen Sitzungssaale
an die Stelle des öden, eiteln, immer nur an sich selbst hinwandelnden Partei¬
zankes, der die Ära Richter-Windthorst-Grillenberger bezeichnet und zuletzt
geradezu ekelhaft für jeden verständigen und rechtlichen Mann gemacht hatte, ziel¬
bewußtes und erfolgreiches Arbeiten für das Vaterland getreten war.

Das Kartell hatte sich also vortrefflich bewährt, und so empfahl es sich
selbstverständlich auch für die jetzt herannahenden Wahlen zum preußischen Land¬
tage. Aber wenn wir die Freude hatten, zu erfahren, daß dies wie von der
großen Mehrzahl der Nationallibcralen auch von vielen Konservativen begriffen
worden ist und man darnach zu handeln begonnen hat, so bemerken wir ander¬
seits zu unserm Leidwesen, daß innerhalb der letztgenannten Partei eine Gruppe
von Andersdenkenden laut und immer lauter wird, der die Annäherung an die
Nationalliberalen, wenn sie ihr je ernstlich recht war, leid geworden ist, und die
starkes Gelüsten verrät, das alte Kompagniegeschäft mit der Schwindelfirma
Windthorst und Kompagnie wieder anzuknüpfen.

Aus Halle, vom Rheine und aus zwei schlesischen Wahlkreisen hören wir zwar,
daß die Verständigung zwischen Konservativen und Nationalliberalen, die sich
bei den Neichstagswahlen so nützlich erwies, für die Landtagswahlen erneuert


Das Wahlkartell und die Rreuzzeitnngspartoi,

höheren Ziele unterordnen, recht wohl was geschehen kann, ohne daß man
der eignen Überzeugung irgend etwas vergiebt."

In diesem Sinne verfuhren denn auch die nationalen Parteien bei der
Vorbereitung zu den Wahlen. Die Deutschkonservativen, die Reichspartci und
die Nationalliberalen schlössen mit einander ein Wahlkartcll, wonach in den
Wahlkreisen, in denen bisher ein Mitglied einer von diesen drei politischen
Gruppen im Besitze eines Maubads gewesen war, dieser oder ein Ersatzmann
gleicher Farbe gewählt werden und in andern Kreisen eine Einigung der Ver¬
bündeten über einen gemeinschaftlichen Bewerber erfolgen sollte. Die Folge
dieser Übereinkunft war, daß die Wahlschlacht vom 21. Februar mit einem
glänzenden Siege der reichstreuen Parteien über die Demokraten der ver¬
schiedenen Schattirungen endigte: die Deutschfreisinnigcn behielten von 67 Man¬
daten nur 11, von denen sie überdies 2 der Unterstützung der Klerikalen ver¬
dankten, die Volkspartei wurde ganz und gar vom parlamentarischen Boden
weggefegt, die sozialdemokratischen Bundesbrüder der Herren Windthorst und
Richter büßten die 6 Neichstcigssitze ein, die ihnen die letzten Wahlen in Sachsen
verschafft hatten, das diesmal 22 nationalgesinnte Vertreter und nur einen
deutschfreisinnigen nach Berlin sandte. Mit der oppositionellen Mehrheit war
es zu Ende, und die Negierung sah sich einem Reichstage gegenüber, mit dem
sich ihre reformatorischen Absichten und Aufgaben rasch und unbeschnitten aus¬
führen ließen. Man atmete auf wie nach einem Alpdrücken, man fühlte sich
wie genesen von langewirkcnder Vergiftung, wie von neuem Trieb und Leben
erfüllt. Mit freudiger Genugthuung begrüßte» es alle Patrioten, als sie in
den Berichten vom Parlament täglich mehr sahen, wie in dessen Sitzungssaale
an die Stelle des öden, eiteln, immer nur an sich selbst hinwandelnden Partei¬
zankes, der die Ära Richter-Windthorst-Grillenberger bezeichnet und zuletzt
geradezu ekelhaft für jeden verständigen und rechtlichen Mann gemacht hatte, ziel¬
bewußtes und erfolgreiches Arbeiten für das Vaterland getreten war.

Das Kartell hatte sich also vortrefflich bewährt, und so empfahl es sich
selbstverständlich auch für die jetzt herannahenden Wahlen zum preußischen Land¬
tage. Aber wenn wir die Freude hatten, zu erfahren, daß dies wie von der
großen Mehrzahl der Nationallibcralen auch von vielen Konservativen begriffen
worden ist und man darnach zu handeln begonnen hat, so bemerken wir ander¬
seits zu unserm Leidwesen, daß innerhalb der letztgenannten Partei eine Gruppe
von Andersdenkenden laut und immer lauter wird, der die Annäherung an die
Nationalliberalen, wenn sie ihr je ernstlich recht war, leid geworden ist, und die
starkes Gelüsten verrät, das alte Kompagniegeschäft mit der Schwindelfirma
Windthorst und Kompagnie wieder anzuknüpfen.

Aus Halle, vom Rheine und aus zwei schlesischen Wahlkreisen hören wir zwar,
daß die Verständigung zwischen Konservativen und Nationalliberalen, die sich
bei den Neichstagswahlen so nützlich erwies, für die Landtagswahlen erneuert


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_289122/298>, abgerufen am 22.07.2024.