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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr.

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Tagebuchblätter eines Sonntagsphilosophen.

lo populäres äsvorg.buQt xriuoixks, der gemeine Mann wird die Fürsten ver¬
schlingen, wie diese dem Reiche thun, also wie es dann in den Stürmen von
unten durch den sogenannten Armen Konrad und die Bauernkriege wahr werden
wollte, deren Sturmgeist man schon in der Schrift des Priesters Frieorich
wehen fühlt. Aber die Bauern forderten ja auch eine Erneuerung und Wieder¬
herstellung der zerstörten Reichsordnung und Reichsgewalt, eine gleiche Münze,
gleiches Maß und Gewicht durch das Reich u. s. w.

Im sechzehnten Jahrhundert erhielt der Gang oder besser Stand der Dinge
eine neue Wendung, die stockende Gährung fand eine bestimmte Richtung, in
der die Kräfte sich zusammenfassen konnten zu nahem, hohem Ziele. Es weht
eine Frühlingsluft durch die ersten Zeiten der Bewegung, mit der ein deutscher
Mann, ein Mönch, nun fertig zu bringen schien, was die Concilien mit Kaisern
und Päpsten nicht vermocht hatten, die Reformation, ein deutsches Christentum,
verjüngt aus der reinen Quelle des Evangeliums und der Wirkung des er¬
weckten Gewissens. Und in derselben Zeit war auch ein Augenblick, wo die
Neichsfrage gleichfalls auf neuen Fuß gestellt zu werden schien, indem man nach
Maximilians Abscheiden die Reichsgewalt nach dem Lande verlegen wollte, das
schon seit dem zur Neige gehenden Mittelalter sich wie zu einem neuen Kraft-
und Schwerpunkte für die Zukunft des Reiches herausgebildet hatte, demselben
Lande, von dem die religiöse Reformation ausging ins Reich. Es mußte wohl
dem Volke, vielleicht den Kurfürsten selbst nicht als Zufall erscheinen, daß es
ein Friedrich war, dem sie im Jahre 1519 die Krone des Reiches anbieten
konnten.

Luther selbst setzte den Namen seines Kurfürsten in Beziehung zu der alten
Prophezeiung, obwohl nur im religiösen Sinne, in der Schrift vom Mißbräuche
der Messe vom Jahre 1522 (Jenaer Ausgabe der Schriften 2, 45b): "Ich hab
oft in diesen Landen, als ich ein Kind war, ein Prophecey geHort, Kaiser
Friderich würde das heilige Grab erlösen, und wie denn der Propheceien art
und natur ist, das sie ehe erfüllet, denn verstanden werden, so sehen sie allzeit
anderswo hin, deun die wort für der Welt lauten. Also deucht mich auch,
das diese Prophecey in diesem unserm Fürsten Herzog Friderichen zu Sachsen
erfüllet sey. Denn was turnen wir für ein ander heilig Grab verstehen, denn
die heilige Schrift, darinnen die warheit Christi durch die Papisten getödtet,
begraben gelegen u. s. w. Denn nach dem Grab, da der Herr in gelegen hat,
welchs die Saracen inne haben, fragt Gott gleich so viel, als nach allen Kner
von Schweiz." Der Fürst, heißt es weiter, sei doch in Frankfurt von den Kur¬
fürsten einträchtiglich als Kaiser gewählt worden und wäre es, wenn er gewollt
hätte, sich selbst aber denkt er, fragweise hingeworfen, als Engel bei dem Grabe,
also als gottbestellten Hüter der evangelischen Wahrheit. Der Gedanke wurde
in einem Liede verarbeitet, das sich "ein neuer Bergreye von der Sibilla
Weissagung" nennt (Uhlands Volkslieder Ur. 353). Aber auch Luther selbst


Tagebuchblätter eines Sonntagsphilosophen.

lo populäres äsvorg.buQt xriuoixks, der gemeine Mann wird die Fürsten ver¬
schlingen, wie diese dem Reiche thun, also wie es dann in den Stürmen von
unten durch den sogenannten Armen Konrad und die Bauernkriege wahr werden
wollte, deren Sturmgeist man schon in der Schrift des Priesters Frieorich
wehen fühlt. Aber die Bauern forderten ja auch eine Erneuerung und Wieder¬
herstellung der zerstörten Reichsordnung und Reichsgewalt, eine gleiche Münze,
gleiches Maß und Gewicht durch das Reich u. s. w.

Im sechzehnten Jahrhundert erhielt der Gang oder besser Stand der Dinge
eine neue Wendung, die stockende Gährung fand eine bestimmte Richtung, in
der die Kräfte sich zusammenfassen konnten zu nahem, hohem Ziele. Es weht
eine Frühlingsluft durch die ersten Zeiten der Bewegung, mit der ein deutscher
Mann, ein Mönch, nun fertig zu bringen schien, was die Concilien mit Kaisern
und Päpsten nicht vermocht hatten, die Reformation, ein deutsches Christentum,
verjüngt aus der reinen Quelle des Evangeliums und der Wirkung des er¬
weckten Gewissens. Und in derselben Zeit war auch ein Augenblick, wo die
Neichsfrage gleichfalls auf neuen Fuß gestellt zu werden schien, indem man nach
Maximilians Abscheiden die Reichsgewalt nach dem Lande verlegen wollte, das
schon seit dem zur Neige gehenden Mittelalter sich wie zu einem neuen Kraft-
und Schwerpunkte für die Zukunft des Reiches herausgebildet hatte, demselben
Lande, von dem die religiöse Reformation ausging ins Reich. Es mußte wohl
dem Volke, vielleicht den Kurfürsten selbst nicht als Zufall erscheinen, daß es
ein Friedrich war, dem sie im Jahre 1519 die Krone des Reiches anbieten
konnten.

Luther selbst setzte den Namen seines Kurfürsten in Beziehung zu der alten
Prophezeiung, obwohl nur im religiösen Sinne, in der Schrift vom Mißbräuche
der Messe vom Jahre 1522 (Jenaer Ausgabe der Schriften 2, 45b): „Ich hab
oft in diesen Landen, als ich ein Kind war, ein Prophecey geHort, Kaiser
Friderich würde das heilige Grab erlösen, und wie denn der Propheceien art
und natur ist, das sie ehe erfüllet, denn verstanden werden, so sehen sie allzeit
anderswo hin, deun die wort für der Welt lauten. Also deucht mich auch,
das diese Prophecey in diesem unserm Fürsten Herzog Friderichen zu Sachsen
erfüllet sey. Denn was turnen wir für ein ander heilig Grab verstehen, denn
die heilige Schrift, darinnen die warheit Christi durch die Papisten getödtet,
begraben gelegen u. s. w. Denn nach dem Grab, da der Herr in gelegen hat,
welchs die Saracen inne haben, fragt Gott gleich so viel, als nach allen Kner
von Schweiz." Der Fürst, heißt es weiter, sei doch in Frankfurt von den Kur¬
fürsten einträchtiglich als Kaiser gewählt worden und wäre es, wenn er gewollt
hätte, sich selbst aber denkt er, fragweise hingeworfen, als Engel bei dem Grabe,
also als gottbestellten Hüter der evangelischen Wahrheit. Der Gedanke wurde
in einem Liede verarbeitet, das sich „ein neuer Bergreye von der Sibilla
Weissagung" nennt (Uhlands Volkslieder Ur. 353). Aber auch Luther selbst


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[0029] Tagebuchblätter eines Sonntagsphilosophen. lo populäres äsvorg.buQt xriuoixks, der gemeine Mann wird die Fürsten ver¬ schlingen, wie diese dem Reiche thun, also wie es dann in den Stürmen von unten durch den sogenannten Armen Konrad und die Bauernkriege wahr werden wollte, deren Sturmgeist man schon in der Schrift des Priesters Frieorich wehen fühlt. Aber die Bauern forderten ja auch eine Erneuerung und Wieder¬ herstellung der zerstörten Reichsordnung und Reichsgewalt, eine gleiche Münze, gleiches Maß und Gewicht durch das Reich u. s. w. Im sechzehnten Jahrhundert erhielt der Gang oder besser Stand der Dinge eine neue Wendung, die stockende Gährung fand eine bestimmte Richtung, in der die Kräfte sich zusammenfassen konnten zu nahem, hohem Ziele. Es weht eine Frühlingsluft durch die ersten Zeiten der Bewegung, mit der ein deutscher Mann, ein Mönch, nun fertig zu bringen schien, was die Concilien mit Kaisern und Päpsten nicht vermocht hatten, die Reformation, ein deutsches Christentum, verjüngt aus der reinen Quelle des Evangeliums und der Wirkung des er¬ weckten Gewissens. Und in derselben Zeit war auch ein Augenblick, wo die Neichsfrage gleichfalls auf neuen Fuß gestellt zu werden schien, indem man nach Maximilians Abscheiden die Reichsgewalt nach dem Lande verlegen wollte, das schon seit dem zur Neige gehenden Mittelalter sich wie zu einem neuen Kraft- und Schwerpunkte für die Zukunft des Reiches herausgebildet hatte, demselben Lande, von dem die religiöse Reformation ausging ins Reich. Es mußte wohl dem Volke, vielleicht den Kurfürsten selbst nicht als Zufall erscheinen, daß es ein Friedrich war, dem sie im Jahre 1519 die Krone des Reiches anbieten konnten. Luther selbst setzte den Namen seines Kurfürsten in Beziehung zu der alten Prophezeiung, obwohl nur im religiösen Sinne, in der Schrift vom Mißbräuche der Messe vom Jahre 1522 (Jenaer Ausgabe der Schriften 2, 45b): „Ich hab oft in diesen Landen, als ich ein Kind war, ein Prophecey geHort, Kaiser Friderich würde das heilige Grab erlösen, und wie denn der Propheceien art und natur ist, das sie ehe erfüllet, denn verstanden werden, so sehen sie allzeit anderswo hin, deun die wort für der Welt lauten. Also deucht mich auch, das diese Prophecey in diesem unserm Fürsten Herzog Friderichen zu Sachsen erfüllet sey. Denn was turnen wir für ein ander heilig Grab verstehen, denn die heilige Schrift, darinnen die warheit Christi durch die Papisten getödtet, begraben gelegen u. s. w. Denn nach dem Grab, da der Herr in gelegen hat, welchs die Saracen inne haben, fragt Gott gleich so viel, als nach allen Kner von Schweiz." Der Fürst, heißt es weiter, sei doch in Frankfurt von den Kur¬ fürsten einträchtiglich als Kaiser gewählt worden und wäre es, wenn er gewollt hätte, sich selbst aber denkt er, fragweise hingeworfen, als Engel bei dem Grabe, also als gottbestellten Hüter der evangelischen Wahrheit. Der Gedanke wurde in einem Liede verarbeitet, das sich „ein neuer Bergreye von der Sibilla Weissagung" nennt (Uhlands Volkslieder Ur. 353). Aber auch Luther selbst

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_289122/29>, abgerufen am 22.07.2024.