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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr.

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Richard Wagners Feen.

der großen Agathenarie und der Szene des Max im "Freischützen" deutlich er¬
kennen. Dagegen scheint Beethoven nur bei der Komposition der Ensemble¬
schlußsätze, namentlich des ersten, durch das zweite Finale seines "Fidelio,"
Marschner bloß in Einzelheiten der Jnstrumentation vorbildlich gewesen zu sein.
Daß auch die italienische Oper der Zeit nicht ohne Wirkung auf den jungen
Tonsetzer blieb, bezeugt die ziemlich häufige Verwendung der "Stretta" als
Abschluß einzelner Nummern; auch die sehr lose gefügte und übermäßig sich
verbreitende Ouvertüre schließt mit einem solchen mehr geräusch- als gehaltvollen
Trumpf ab.

Trotz dieser Unselbständigkeit, die sich aber mehr als Anlehnung an fremde
Muster denn als Entlehnung aus solchen kundgiebt, wohnt der Musik dieses
Jugendwerkes doch eine Macht und stellenweise -- namentlich im zweiten Akt --
auch ein Neiz inne, der nicht nur über die. unsinnige, oft sogar läppische Phantastik
der Handlung hinwegtäuscht, sondern auch die Phrasenhaftigkeit dieser erlernten
musikalischen Formensprache vergessen läßt. Es geht eben doch ein großer Zug
durch diese Arbeit des jugendliches Künstlers, und dies versöhnt auch schließlich,
obwohl manche umfangreichen Teile durch ihre Leerheit und Seichtigkeit lang¬
weilig wirken, den modernen Zuhörer mit all dem Umreisen und Unselbständigen,
Unschönen und Unmöglichen, das dem Werke anhaftet. /

So erging es auch den Besuchern der ersten Aufführung. Das Werk, ge¬
hoben durch die hervorragenden Leistungen unsrer ersten Kräfte, durch das herrliche
Spiel unsers berühmten Orchesters und durch die wirklich "feenhafte" Aus¬
stattung, gewann den Beifall des wohlgefüllten Hauses. Reiflicher Überlegung
freilich wird der Beifall, der namentlich den Leistungen unsrer Sänger und Sänge¬
rinnen und den Künsten und Lichterspielen unsers Maschinenmeisters zu danken
war, als nicht absonderlich schmeichelhaft für den Schöpfer des "Musikdramas"
erscheinen, und manchen wird es auch eine seltsame Fügung des Schicksals
dünken, daß es Wagner bestimmt war, wenige Jahre nach seinem Tode mit
seinem ersten Werke noch einen "Dckorationserfolg" zu erringen.


Heinrich welti.


Richard Wagners Feen.

der großen Agathenarie und der Szene des Max im „Freischützen" deutlich er¬
kennen. Dagegen scheint Beethoven nur bei der Komposition der Ensemble¬
schlußsätze, namentlich des ersten, durch das zweite Finale seines „Fidelio,"
Marschner bloß in Einzelheiten der Jnstrumentation vorbildlich gewesen zu sein.
Daß auch die italienische Oper der Zeit nicht ohne Wirkung auf den jungen
Tonsetzer blieb, bezeugt die ziemlich häufige Verwendung der „Stretta" als
Abschluß einzelner Nummern; auch die sehr lose gefügte und übermäßig sich
verbreitende Ouvertüre schließt mit einem solchen mehr geräusch- als gehaltvollen
Trumpf ab.

Trotz dieser Unselbständigkeit, die sich aber mehr als Anlehnung an fremde
Muster denn als Entlehnung aus solchen kundgiebt, wohnt der Musik dieses
Jugendwerkes doch eine Macht und stellenweise — namentlich im zweiten Akt —
auch ein Neiz inne, der nicht nur über die. unsinnige, oft sogar läppische Phantastik
der Handlung hinwegtäuscht, sondern auch die Phrasenhaftigkeit dieser erlernten
musikalischen Formensprache vergessen läßt. Es geht eben doch ein großer Zug
durch diese Arbeit des jugendliches Künstlers, und dies versöhnt auch schließlich,
obwohl manche umfangreichen Teile durch ihre Leerheit und Seichtigkeit lang¬
weilig wirken, den modernen Zuhörer mit all dem Umreisen und Unselbständigen,
Unschönen und Unmöglichen, das dem Werke anhaftet. /

So erging es auch den Besuchern der ersten Aufführung. Das Werk, ge¬
hoben durch die hervorragenden Leistungen unsrer ersten Kräfte, durch das herrliche
Spiel unsers berühmten Orchesters und durch die wirklich „feenhafte" Aus¬
stattung, gewann den Beifall des wohlgefüllten Hauses. Reiflicher Überlegung
freilich wird der Beifall, der namentlich den Leistungen unsrer Sänger und Sänge¬
rinnen und den Künsten und Lichterspielen unsers Maschinenmeisters zu danken
war, als nicht absonderlich schmeichelhaft für den Schöpfer des „Musikdramas"
erscheinen, und manchen wird es auch eine seltsame Fügung des Schicksals
dünken, daß es Wagner bestimmt war, wenige Jahre nach seinem Tode mit
seinem ersten Werke noch einen „Dckorationserfolg" zu erringen.


Heinrich welti.


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[0277] Richard Wagners Feen. der großen Agathenarie und der Szene des Max im „Freischützen" deutlich er¬ kennen. Dagegen scheint Beethoven nur bei der Komposition der Ensemble¬ schlußsätze, namentlich des ersten, durch das zweite Finale seines „Fidelio," Marschner bloß in Einzelheiten der Jnstrumentation vorbildlich gewesen zu sein. Daß auch die italienische Oper der Zeit nicht ohne Wirkung auf den jungen Tonsetzer blieb, bezeugt die ziemlich häufige Verwendung der „Stretta" als Abschluß einzelner Nummern; auch die sehr lose gefügte und übermäßig sich verbreitende Ouvertüre schließt mit einem solchen mehr geräusch- als gehaltvollen Trumpf ab. Trotz dieser Unselbständigkeit, die sich aber mehr als Anlehnung an fremde Muster denn als Entlehnung aus solchen kundgiebt, wohnt der Musik dieses Jugendwerkes doch eine Macht und stellenweise — namentlich im zweiten Akt — auch ein Neiz inne, der nicht nur über die. unsinnige, oft sogar läppische Phantastik der Handlung hinwegtäuscht, sondern auch die Phrasenhaftigkeit dieser erlernten musikalischen Formensprache vergessen läßt. Es geht eben doch ein großer Zug durch diese Arbeit des jugendliches Künstlers, und dies versöhnt auch schließlich, obwohl manche umfangreichen Teile durch ihre Leerheit und Seichtigkeit lang¬ weilig wirken, den modernen Zuhörer mit all dem Umreisen und Unselbständigen, Unschönen und Unmöglichen, das dem Werke anhaftet. / So erging es auch den Besuchern der ersten Aufführung. Das Werk, ge¬ hoben durch die hervorragenden Leistungen unsrer ersten Kräfte, durch das herrliche Spiel unsers berühmten Orchesters und durch die wirklich „feenhafte" Aus¬ stattung, gewann den Beifall des wohlgefüllten Hauses. Reiflicher Überlegung freilich wird der Beifall, der namentlich den Leistungen unsrer Sänger und Sänge¬ rinnen und den Künsten und Lichterspielen unsers Maschinenmeisters zu danken war, als nicht absonderlich schmeichelhaft für den Schöpfer des „Musikdramas" erscheinen, und manchen wird es auch eine seltsame Fügung des Schicksals dünken, daß es Wagner bestimmt war, wenige Jahre nach seinem Tode mit seinem ersten Werke noch einen „Dckorationserfolg" zu erringen. Heinrich welti.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_289122/277>, abgerufen am 22.07.2024.