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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr.

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Richard Wagners F?en,

ponisten so sorgsam verborgenen Jugendoper "verquautct" hatten. Das ist
schlimmer als Rücksichtslosigkeit, das ist Impietät. Man versuche nicht, diesen
Mangel an Ehrfurcht, der sich schon einmal in dem absonderlichen Geschäft,
das mit der L-aur-Symphonie aus dem Jahre 1832 getrieben wurde, deutlich
offenbarte, durch die Liebe für Wagners letztes Werk zu entschuldigen, das man
durchaus vor den profanen Bühnen zu bewahren und für Bayreuth "retten"
zu müssen geglaubt hat, deun es kaun doch nicht zweifelhaft sein, daß es für
einen Künstler besser und ehrender ist, wenn das nach seiner Meinung reifste,
als wenn das unreifste seiner Werke der Welt preisgegeben wird.

Die "Feen" aber sind ein durch und durch unreifes Werk, und man muß
sich immer und immer wieder gegenwärtig halten, daß fünfundfünfzig Jahre
seit der Abfassung dieser Oper verflossen sind und daß es ein zwanzigjähriger
Jüngling war, der damals damit seinen ersten dramatischen Versuch machte, sonst
ist es ganz unmöglich, über diese alte "Novität" nach Gebühr zu urteilen. Die
ganze, reiche nud glänzende Entwicklung der großen historischen Oper und
deren weniger erfreuliche Nachwehen, der langjährige Kampf um das "Kunst¬
werk der Zukunft," der Sieg und die geräuschvolle Herrschaft des neuern Musik¬
dramas, das alles, also auch Wagners eignes bedeutsames Wirken, muß man
zu vergessen suchen. Mau muß sich in die Geschmackswelt jener Zeit zurückver¬
setzen, wo auf der deutschen Operubühne der ewig trillernde Rossini die Nach¬
wirkungen der klassischen Oper lähmte und wo dem feinfühligen Weber der mit
gröbern Mitteln arbeitende Marschner, dem "Freischütz" und "Oberon" der
"Vampyr" gefolgt war, um in diesem Textbuch nicht gar zu vieles läppisch und
abgeschmackt und in der Musik nicht das meiste seicht oder unselbständig, ver¬
altet und langweilig zu finden.

Es ist also weniger ein Kunstgenuß als eine kunstgeschichtliche Merkwürdig¬
keit, was mit den "Feen" dem Zuhörer geboten wird, allein es ist eine Merkwürdig¬
keit von mehr als persönlichem Interesse, und jeder, der den Entwicklungsgang
eines Künstlers zu verfolge" vermag, wird sie fesselnd und belehrend finden. Die
"Feen" erweisen nämlich nicht nur den Zusammenhang Wagners mit den Werken
seiner Vorgänger und der Kunstübung seiner Zeit, sondern auch das frühzeitige Vor¬
handensein seiner Eigenart und die ununterbrochene Entwicklung seiner persönlichen
Gedanken- und Formenwelt von der Jugend bis ins Alter. Bis jetzt war "Rienzi,"
geschrieben in den Jahren 1838 bis 1840, die älteste Oper Wagners, die allge¬
meiner Kenntnisnahme zugänglich war, und nur mit Mühe vermochte man in
dem großen Spektakelstücke die Keime und ersten Ansätze jener eigentümlichen
Empfindungs- und Ausdrucksweise zu finden, die den "Fliegenden Holländer"
(1841 komponirt), "Tannhäuser" (1842 bis 184S) und "Lohengrin" (1846
bis 184?) kennzeichnen. Schöpfung und Wesen dieser Werke war schwer zu be¬
greifen, wenn man die große Oper als Ausgangspunkt, den "Rienzi" als den
ersten und wahren Ausdruck der künstlerischen Eigentümlichkeit Wagners faßte.


Richard Wagners F?en,

ponisten so sorgsam verborgenen Jugendoper „verquautct" hatten. Das ist
schlimmer als Rücksichtslosigkeit, das ist Impietät. Man versuche nicht, diesen
Mangel an Ehrfurcht, der sich schon einmal in dem absonderlichen Geschäft,
das mit der L-aur-Symphonie aus dem Jahre 1832 getrieben wurde, deutlich
offenbarte, durch die Liebe für Wagners letztes Werk zu entschuldigen, das man
durchaus vor den profanen Bühnen zu bewahren und für Bayreuth „retten"
zu müssen geglaubt hat, deun es kaun doch nicht zweifelhaft sein, daß es für
einen Künstler besser und ehrender ist, wenn das nach seiner Meinung reifste,
als wenn das unreifste seiner Werke der Welt preisgegeben wird.

Die „Feen" aber sind ein durch und durch unreifes Werk, und man muß
sich immer und immer wieder gegenwärtig halten, daß fünfundfünfzig Jahre
seit der Abfassung dieser Oper verflossen sind und daß es ein zwanzigjähriger
Jüngling war, der damals damit seinen ersten dramatischen Versuch machte, sonst
ist es ganz unmöglich, über diese alte „Novität" nach Gebühr zu urteilen. Die
ganze, reiche nud glänzende Entwicklung der großen historischen Oper und
deren weniger erfreuliche Nachwehen, der langjährige Kampf um das „Kunst¬
werk der Zukunft," der Sieg und die geräuschvolle Herrschaft des neuern Musik¬
dramas, das alles, also auch Wagners eignes bedeutsames Wirken, muß man
zu vergessen suchen. Mau muß sich in die Geschmackswelt jener Zeit zurückver¬
setzen, wo auf der deutschen Operubühne der ewig trillernde Rossini die Nach¬
wirkungen der klassischen Oper lähmte und wo dem feinfühligen Weber der mit
gröbern Mitteln arbeitende Marschner, dem „Freischütz" und „Oberon" der
„Vampyr" gefolgt war, um in diesem Textbuch nicht gar zu vieles läppisch und
abgeschmackt und in der Musik nicht das meiste seicht oder unselbständig, ver¬
altet und langweilig zu finden.

Es ist also weniger ein Kunstgenuß als eine kunstgeschichtliche Merkwürdig¬
keit, was mit den „Feen" dem Zuhörer geboten wird, allein es ist eine Merkwürdig¬
keit von mehr als persönlichem Interesse, und jeder, der den Entwicklungsgang
eines Künstlers zu verfolge» vermag, wird sie fesselnd und belehrend finden. Die
„Feen" erweisen nämlich nicht nur den Zusammenhang Wagners mit den Werken
seiner Vorgänger und der Kunstübung seiner Zeit, sondern auch das frühzeitige Vor¬
handensein seiner Eigenart und die ununterbrochene Entwicklung seiner persönlichen
Gedanken- und Formenwelt von der Jugend bis ins Alter. Bis jetzt war „Rienzi,"
geschrieben in den Jahren 1838 bis 1840, die älteste Oper Wagners, die allge¬
meiner Kenntnisnahme zugänglich war, und nur mit Mühe vermochte man in
dem großen Spektakelstücke die Keime und ersten Ansätze jener eigentümlichen
Empfindungs- und Ausdrucksweise zu finden, die den „Fliegenden Holländer"
(1841 komponirt), „Tannhäuser" (1842 bis 184S) und „Lohengrin" (1846
bis 184?) kennzeichnen. Schöpfung und Wesen dieser Werke war schwer zu be¬
greifen, wenn man die große Oper als Ausgangspunkt, den „Rienzi" als den
ersten und wahren Ausdruck der künstlerischen Eigentümlichkeit Wagners faßte.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_289122/271>, abgerufen am 24.08.2024.