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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr.

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I/Inimortel,

eine leibhafte Persönlichkeit unter ihnen weilt, nach außen hin vor der Blamage
zu bewahren. Komödianten sind sie, glücklich, wenn sie ihre grasgrünen Fräcke
bei prunkhaften Leichenfeiern dein Pöbel zeigen können. Das liebe Geld giebt
auch hier, wie überall, den Ausschlag bei der Wahl eines neuen Unsterblichen,
der ja ebenbürtig auftreten, gesellschaftlich repräsentiren können muß. Feil und
feig ist die ganze Gesellschaft, orlecmistisch unter der Republik, höfisch kotzen-
buckelnd unter der Demokratie. Einem Großfürsten zu Ehren halten sie Fest¬
sitzungen, einer Herzogin zuliebe machen sie einen Taugenichts "unsterblich."
Sie sind von einer unglaublichen Schmntzerei. Die sechs Franks, die jedes
Mitglied der Akademie nach einer alten Stiftung für die Teilnahme an einer
Sitzung empfängt, lassen sie sich um keinen Preis entgehen; im Fiaker fahren
sie vor, um sie einzukassiren, und streiten sich noch mit dem Kassirer um
zwei Franks herum, wenn sie sich verkürzt glauben. Dieser, der Kassirer,
der kennt sie am besten, der behandelt sie von oben herab -- wie der
Kammerdiener, fügen wir hinzu, seinen Fürsten am besten nehmen zu können
glaubt.

So schwarz hat Daudet die Akademie gemalt. Kein einziger anständiger
Mensch sitzt demnach darin. Daß Gelehrte von dem Range eines Ernest Renan,
Claude Bernard, Paul Berl, Hippolyt Taine, daß Dichter wie Dumas, Paillero",
Feuillee. liebenswürdige Naturen wie ein Labiche noch gegenwärtig oder doch im
letzten Jahrzehnt ihr angehörten, fällt für Daudet uicht ins Gewicht. Es ist gar
kein Zweifel, daß er sich auch hier, wie in seinen andern Sittenschilderungen, an
geschichtliche Wahrheit gehalten hat, daß die Einzelzüge derselben nachgebildet sind.
Die Geschichte mit dem Manuskriptenschwindel ist im Jahre 1367 thatsächlich
vorgefallen. Der Geometer Michel Chusles glaubte Briefe von Pascal an
Newton gefunden zu haben, wonach dem erster" die eigentliche Entdeckung der
Gravitationsgesetze hätte zugeschrieben werden müssen, und die gesamte Akademie
erkannte nicht sofort die Unechtheit der plump gefälschten Briefe, weil sie die
französische Eitelkeit verblendete. Und dennoch, wenn Daudets Charakteristik
der Akademiker zur Grundlage ihrer Beurteilung dienen sollte, so wäre es nnr
ein höchst ungerechtes Urteil, das über sie gefällt würde. Es ist ein von per¬
sönlicher Gehässigkeit erfülltes Zerrbild der Akademie, die viele der vorgeworfenen
Schwächen besitzen mag, ohne ihre Bedeutung für die Nation einzubüßen. Denn
diese Bedeutung liegt ganz anderswo, als Daudet meint, und er, dem sogar
die Vis xarisiMNö den bösen Lapsus nachwies, das Grab der Scaliger von
Verona nach Florenz verlegt zu haben, ist wohl nicht der Mann, sie zu wür¬
digen. Wohl aber ist sein Werk sehr dazu geeignet, das Ansehen der Akademie
in der Heimat wie im Auslande tief zu schädigen. Denn es enthält neben der
Satire eine sehr unterhaltende Lustspielhandlung, eine Fülle der köstlichsten
Pariser Typen aus der sogenannten guten Gesellschaft, drastische Situationen,
pikante Verwicklung und läßt den Leser nicht einen Augenblick aus der Spannung.


I/Inimortel,

eine leibhafte Persönlichkeit unter ihnen weilt, nach außen hin vor der Blamage
zu bewahren. Komödianten sind sie, glücklich, wenn sie ihre grasgrünen Fräcke
bei prunkhaften Leichenfeiern dein Pöbel zeigen können. Das liebe Geld giebt
auch hier, wie überall, den Ausschlag bei der Wahl eines neuen Unsterblichen,
der ja ebenbürtig auftreten, gesellschaftlich repräsentiren können muß. Feil und
feig ist die ganze Gesellschaft, orlecmistisch unter der Republik, höfisch kotzen-
buckelnd unter der Demokratie. Einem Großfürsten zu Ehren halten sie Fest¬
sitzungen, einer Herzogin zuliebe machen sie einen Taugenichts „unsterblich."
Sie sind von einer unglaublichen Schmntzerei. Die sechs Franks, die jedes
Mitglied der Akademie nach einer alten Stiftung für die Teilnahme an einer
Sitzung empfängt, lassen sie sich um keinen Preis entgehen; im Fiaker fahren
sie vor, um sie einzukassiren, und streiten sich noch mit dem Kassirer um
zwei Franks herum, wenn sie sich verkürzt glauben. Dieser, der Kassirer,
der kennt sie am besten, der behandelt sie von oben herab — wie der
Kammerdiener, fügen wir hinzu, seinen Fürsten am besten nehmen zu können
glaubt.

So schwarz hat Daudet die Akademie gemalt. Kein einziger anständiger
Mensch sitzt demnach darin. Daß Gelehrte von dem Range eines Ernest Renan,
Claude Bernard, Paul Berl, Hippolyt Taine, daß Dichter wie Dumas, Paillero»,
Feuillee. liebenswürdige Naturen wie ein Labiche noch gegenwärtig oder doch im
letzten Jahrzehnt ihr angehörten, fällt für Daudet uicht ins Gewicht. Es ist gar
kein Zweifel, daß er sich auch hier, wie in seinen andern Sittenschilderungen, an
geschichtliche Wahrheit gehalten hat, daß die Einzelzüge derselben nachgebildet sind.
Die Geschichte mit dem Manuskriptenschwindel ist im Jahre 1367 thatsächlich
vorgefallen. Der Geometer Michel Chusles glaubte Briefe von Pascal an
Newton gefunden zu haben, wonach dem erster» die eigentliche Entdeckung der
Gravitationsgesetze hätte zugeschrieben werden müssen, und die gesamte Akademie
erkannte nicht sofort die Unechtheit der plump gefälschten Briefe, weil sie die
französische Eitelkeit verblendete. Und dennoch, wenn Daudets Charakteristik
der Akademiker zur Grundlage ihrer Beurteilung dienen sollte, so wäre es nnr
ein höchst ungerechtes Urteil, das über sie gefällt würde. Es ist ein von per¬
sönlicher Gehässigkeit erfülltes Zerrbild der Akademie, die viele der vorgeworfenen
Schwächen besitzen mag, ohne ihre Bedeutung für die Nation einzubüßen. Denn
diese Bedeutung liegt ganz anderswo, als Daudet meint, und er, dem sogar
die Vis xarisiMNö den bösen Lapsus nachwies, das Grab der Scaliger von
Verona nach Florenz verlegt zu haben, ist wohl nicht der Mann, sie zu wür¬
digen. Wohl aber ist sein Werk sehr dazu geeignet, das Ansehen der Akademie
in der Heimat wie im Auslande tief zu schädigen. Denn es enthält neben der
Satire eine sehr unterhaltende Lustspielhandlung, eine Fülle der köstlichsten
Pariser Typen aus der sogenannten guten Gesellschaft, drastische Situationen,
pikante Verwicklung und läßt den Leser nicht einen Augenblick aus der Spannung.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_289122/267>, abgerufen am 22.07.2024.