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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr.

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Die Kaiserfahrt nach Rußland.

er Besuch, den unser Kaiser dem Hofe von Se. Petersburg ab¬
gestattet hat, hat, wie zu erwarten war, vom ersten bis zum
letzten Tage allenthalben reichlich Anlaß zu Vermutungen über
seine Natur und seinen Zweck gegeben, wobei die ausländische
Presse mitunter sehr seltsame Dinge zu Tage förderte. Wir
haben uns derartiger Gedankenspiele enthalten und sehen auch jetzt davon ab,
indem wir es für sicherer halten, zunächst uns den auf der Hand liegenden
Charakter des Ereignisses zu vergegenwärtigen. Der Besuch war eine Kund¬
gebung freundlicher und friedliebender Gesinnung, die das neue Oberhaupt der
Deutschen gegenüber einem benachbarten und zugleich verwandten Herrscher
ausdrückte, dessen Verhalten zur deutschen Politik in den letzten Jahren zu¬
weilen Zweifeln und Bedenken unterlegen hatte.

Statt des Versuches, weiter zu spüren und zu lüften, thun wir einen
Rückblick auf den Wechsel der Beziehungen Preußens und später des deutschen
Reiches zu Nußland von der Zeit an, wo die heilige Allianz die drei nordischen
Großmächte zum Widerstande gegen das Übergewicht Frankreichs und dessen
Herrschsucht und Eroberungstrieb vereinigte. Dieser Friedensbund zerging an
verschiedenen Ursachen, vorzüglich an dem Widerstreite der Interessen Rußlands
und Österreichs auf dem Gebiete der orientalischen Frage, und an dem Be¬
dürfnisse Deutschlands, sich einheitlich um Preußen zu gestalten, was das Aus¬
scheiden der Halbdeutscheu Großmacht Österreich aus dem deutschen Bunde er¬
forderte. Als Rest blieben lange Zeit gute Beziehungen zwischen Preußen und
Rußland, die nur vorübergehend, während der Revolution von 1848, den
Charakter einer gebieterischen Bevormundung und unbequemen Gönnerschaft
Rußlands Preußen gegenüber trugen, während des Krimkrieges aber und im


Grenzboten NI. 1888. 31


Die Kaiserfahrt nach Rußland.

er Besuch, den unser Kaiser dem Hofe von Se. Petersburg ab¬
gestattet hat, hat, wie zu erwarten war, vom ersten bis zum
letzten Tage allenthalben reichlich Anlaß zu Vermutungen über
seine Natur und seinen Zweck gegeben, wobei die ausländische
Presse mitunter sehr seltsame Dinge zu Tage förderte. Wir
haben uns derartiger Gedankenspiele enthalten und sehen auch jetzt davon ab,
indem wir es für sicherer halten, zunächst uns den auf der Hand liegenden
Charakter des Ereignisses zu vergegenwärtigen. Der Besuch war eine Kund¬
gebung freundlicher und friedliebender Gesinnung, die das neue Oberhaupt der
Deutschen gegenüber einem benachbarten und zugleich verwandten Herrscher
ausdrückte, dessen Verhalten zur deutschen Politik in den letzten Jahren zu¬
weilen Zweifeln und Bedenken unterlegen hatte.

Statt des Versuches, weiter zu spüren und zu lüften, thun wir einen
Rückblick auf den Wechsel der Beziehungen Preußens und später des deutschen
Reiches zu Nußland von der Zeit an, wo die heilige Allianz die drei nordischen
Großmächte zum Widerstande gegen das Übergewicht Frankreichs und dessen
Herrschsucht und Eroberungstrieb vereinigte. Dieser Friedensbund zerging an
verschiedenen Ursachen, vorzüglich an dem Widerstreite der Interessen Rußlands
und Österreichs auf dem Gebiete der orientalischen Frage, und an dem Be¬
dürfnisse Deutschlands, sich einheitlich um Preußen zu gestalten, was das Aus¬
scheiden der Halbdeutscheu Großmacht Österreich aus dem deutschen Bunde er¬
forderte. Als Rest blieben lange Zeit gute Beziehungen zwischen Preußen und
Rußland, die nur vorübergehend, während der Revolution von 1848, den
Charakter einer gebieterischen Bevormundung und unbequemen Gönnerschaft
Rußlands Preußen gegenüber trugen, während des Krimkrieges aber und im


Grenzboten NI. 1888. 31
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[0249] [Abbildung] Die Kaiserfahrt nach Rußland. er Besuch, den unser Kaiser dem Hofe von Se. Petersburg ab¬ gestattet hat, hat, wie zu erwarten war, vom ersten bis zum letzten Tage allenthalben reichlich Anlaß zu Vermutungen über seine Natur und seinen Zweck gegeben, wobei die ausländische Presse mitunter sehr seltsame Dinge zu Tage förderte. Wir haben uns derartiger Gedankenspiele enthalten und sehen auch jetzt davon ab, indem wir es für sicherer halten, zunächst uns den auf der Hand liegenden Charakter des Ereignisses zu vergegenwärtigen. Der Besuch war eine Kund¬ gebung freundlicher und friedliebender Gesinnung, die das neue Oberhaupt der Deutschen gegenüber einem benachbarten und zugleich verwandten Herrscher ausdrückte, dessen Verhalten zur deutschen Politik in den letzten Jahren zu¬ weilen Zweifeln und Bedenken unterlegen hatte. Statt des Versuches, weiter zu spüren und zu lüften, thun wir einen Rückblick auf den Wechsel der Beziehungen Preußens und später des deutschen Reiches zu Nußland von der Zeit an, wo die heilige Allianz die drei nordischen Großmächte zum Widerstande gegen das Übergewicht Frankreichs und dessen Herrschsucht und Eroberungstrieb vereinigte. Dieser Friedensbund zerging an verschiedenen Ursachen, vorzüglich an dem Widerstreite der Interessen Rußlands und Österreichs auf dem Gebiete der orientalischen Frage, und an dem Be¬ dürfnisse Deutschlands, sich einheitlich um Preußen zu gestalten, was das Aus¬ scheiden der Halbdeutscheu Großmacht Österreich aus dem deutschen Bunde er¬ forderte. Als Rest blieben lange Zeit gute Beziehungen zwischen Preußen und Rußland, die nur vorübergehend, während der Revolution von 1848, den Charakter einer gebieterischen Bevormundung und unbequemen Gönnerschaft Rußlands Preußen gegenüber trugen, während des Krimkrieges aber und im Grenzboten NI. 1888. 31

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_289122/249>, abgerufen am 22.07.2024.