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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr.

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Erinnerungen aus Alt-Jena.

war er ausgezeichnet; hier ließ er auch die liebenswürdigere Seite seines an
sich etwas herben Naturells oft in genialer Weise zu Worte kommen.

Senior der theologischen Fakultät war der Orientalist A. G. Hoffmann,
der die alttestamentliche Exegese vertrat. Unter den Fachgelehrten erfreute er
sich meines Wissens eines ziemlichen Ansehens und war u. a. namentlich mit
Hammer-Purgstall näher verbunden. Von der Teilnahme an der Redaktion
der Ersch-Gruberschen Encyklopädie Jahre lang in Anspruch genommen, nahm
er doch zugleich mit Vorliebe an der Verwaltung der Universität Anteil und
übte hierbei sichtlichen Einfluß, der erst durch die Ernennung eines Kurators
(18S1) eine merkliche Minderung erlitten haben soll.

Unter den juristischen Professoren kam ich dem bekannten Publizisten und
Germanisten A. Michelsen näher, der bereits im Jahre 1842 von Kiel her
übergesiedelt war. Mit einer Gräfin Brockdorf verheiratet, war er in der
Lage, ein offenes Haus zu halten und die ihm näher stehenden häufig zu
bewirten. Nach allem war er ein Gelehrter von Bedeutung und hätte es
sich ersparen können, von seinen Verdiensten selbst so gern und so häufig zu
sprechen. Die jungem seiner Freunde nahmen indes diese am Ende unschuldige
Schwäche meist geduldig hin; zu seinen Kollegen in der Fakultät trat er nie¬
mals in ein näheres Verhältnis. Die im Gefolge der deutschen Revolution
bald ausbrechende Schleswig-holsteinische Bewegung entzog ihn der Wirksamkeit
in Jena schnell genug und für längere Zeit ganz. Mehr als ein Jahrzehnt
später begegnete ich ihm flüchtig wieder in Nürnberg, wohin er (1861) als
Direktor des Germanischen Museums gegangen war; aber auch von dieser
Stellung nicht befriedigt und von den Interessen seines Heimatlandes aufs neue
in Anspruch genommen, legte er 1864 auch dieses Amt nieder und zog sich
zuletzt nach Schleswig zurück, wo er, obwohl fast gänzlich erblindet, fortgesetzt
wissenschaftlich thätig, im Jahre 1881 gestorben ist.

Unter den ältern Mitgliedern der medizinischen Fakultät zog D. G. Kieser
meine besondre Aufmerksamkeit auf sich. Bereits den Siebziger nahe, aber eine
zähe Natur, hielt er sich noch immer stramm aufrecht. Seine Verdienste waren
mannichfach, und er liebte es so wenig als Michelsen, sein Licht unter den
Scheffel zu stellen. Der Neigung des Alters gemäß erzählte er gern und
wußte viel zu erzählen, denn er hatte viel erlebt. Manche warfen ihm eine
unruhige Neigung zur Projektenmacherei vor, doch hatten wir jüngern keinen
Grund, uns dadurch anfechten zu lassen. Seine Frau war eine Tochter des
berühmten Berliner Arztes Dr. Keil, der seiner aufopfernden Thätigkeit als
Lazaretharzt nach der Schlacht bei Leipzig erlegen war. Frau Kieser zeichnete
sich durch eine wohlthuende Freundlichkeit gegen jedermann aus, hielt sich aber
gegenüber ihrem redseligen und leicht polternden Manne bescheiden zurück. Kieser
hatte sich als Arzt an dem Feldzuge der Jahre 1814 und 1815 beteiligt und
sprach gern von seinen bei dieser Gelegenheit gemachten Erfahrungen und Er-


Erinnerungen aus Alt-Jena.

war er ausgezeichnet; hier ließ er auch die liebenswürdigere Seite seines an
sich etwas herben Naturells oft in genialer Weise zu Worte kommen.

Senior der theologischen Fakultät war der Orientalist A. G. Hoffmann,
der die alttestamentliche Exegese vertrat. Unter den Fachgelehrten erfreute er
sich meines Wissens eines ziemlichen Ansehens und war u. a. namentlich mit
Hammer-Purgstall näher verbunden. Von der Teilnahme an der Redaktion
der Ersch-Gruberschen Encyklopädie Jahre lang in Anspruch genommen, nahm
er doch zugleich mit Vorliebe an der Verwaltung der Universität Anteil und
übte hierbei sichtlichen Einfluß, der erst durch die Ernennung eines Kurators
(18S1) eine merkliche Minderung erlitten haben soll.

Unter den juristischen Professoren kam ich dem bekannten Publizisten und
Germanisten A. Michelsen näher, der bereits im Jahre 1842 von Kiel her
übergesiedelt war. Mit einer Gräfin Brockdorf verheiratet, war er in der
Lage, ein offenes Haus zu halten und die ihm näher stehenden häufig zu
bewirten. Nach allem war er ein Gelehrter von Bedeutung und hätte es
sich ersparen können, von seinen Verdiensten selbst so gern und so häufig zu
sprechen. Die jungem seiner Freunde nahmen indes diese am Ende unschuldige
Schwäche meist geduldig hin; zu seinen Kollegen in der Fakultät trat er nie¬
mals in ein näheres Verhältnis. Die im Gefolge der deutschen Revolution
bald ausbrechende Schleswig-holsteinische Bewegung entzog ihn der Wirksamkeit
in Jena schnell genug und für längere Zeit ganz. Mehr als ein Jahrzehnt
später begegnete ich ihm flüchtig wieder in Nürnberg, wohin er (1861) als
Direktor des Germanischen Museums gegangen war; aber auch von dieser
Stellung nicht befriedigt und von den Interessen seines Heimatlandes aufs neue
in Anspruch genommen, legte er 1864 auch dieses Amt nieder und zog sich
zuletzt nach Schleswig zurück, wo er, obwohl fast gänzlich erblindet, fortgesetzt
wissenschaftlich thätig, im Jahre 1881 gestorben ist.

Unter den ältern Mitgliedern der medizinischen Fakultät zog D. G. Kieser
meine besondre Aufmerksamkeit auf sich. Bereits den Siebziger nahe, aber eine
zähe Natur, hielt er sich noch immer stramm aufrecht. Seine Verdienste waren
mannichfach, und er liebte es so wenig als Michelsen, sein Licht unter den
Scheffel zu stellen. Der Neigung des Alters gemäß erzählte er gern und
wußte viel zu erzählen, denn er hatte viel erlebt. Manche warfen ihm eine
unruhige Neigung zur Projektenmacherei vor, doch hatten wir jüngern keinen
Grund, uns dadurch anfechten zu lassen. Seine Frau war eine Tochter des
berühmten Berliner Arztes Dr. Keil, der seiner aufopfernden Thätigkeit als
Lazaretharzt nach der Schlacht bei Leipzig erlegen war. Frau Kieser zeichnete
sich durch eine wohlthuende Freundlichkeit gegen jedermann aus, hielt sich aber
gegenüber ihrem redseligen und leicht polternden Manne bescheiden zurück. Kieser
hatte sich als Arzt an dem Feldzuge der Jahre 1814 und 1815 beteiligt und
sprach gern von seinen bei dieser Gelegenheit gemachten Erfahrungen und Er-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_289122/223>, abgerufen am 22.07.2024.