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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr.

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Lrinnorungen aus Alt-Jena.

aber, namentlich der erstere, in der Überlieferung noch vernehmlich fort. Dafür
hatte die Hochschule eine stattliche Anzahl gediegener, tüchtiger Gelehrten und
Lehrer aufzuweisen. Mit des verbreitetsten Rufes erfreute sich unzweifelhaft
der Kirchenhistoriker Karl Hase. Die Bekanntschaft mit diesem Manne gehört
zu den angenehmsten Erinnerungen, die ich aus Jena mitgenommen habe. Seine
Verdienste als Gelehrter und Lehrer sind längst anerkannt und gewürdigt.
Seine Persönlichkeit war von hinreißender Liebenswürdigkeit: er war die ver¬
körperte Humanität und von jeder Engherzigkeit frei. Duldsam nach allen
Seiten, wußte er gleichwohl seinen Standpunkt stets zu wahren. Angehenden
Kollegen kam er jederzeit aufs zuvorkommendste entgegen und förderte sie mit
Rat und That. Die wohlthuende Gastlichkeit seines Hauses -- er lebte in
höchst bequemen Verhältnissen, wie sie jedem deutschen Professor zu wünschen
wären -- wird jedem, der sie genoß, in dankbarem Gedächtnis geblieben sein.
Er war auch zugleich ein eifriger Politiker. Die Überlieferungen der alten
Burschenschaft und der Zeit ihrer Gründung fanden an ihm bekanntlich einen
echten Vertreter; er hatte für sie gelitten und zählte zu ihren Märtyrern. In
seinem Buche "Ideale und Irrtümer" hat er diesen Abschnitt seines Lebens
selbst in höchst lehrreicher Weise beschrieben. Die Begeisterung für das gute
Recht unsrer Väter hatte er sich fest bewahrt, und im Frühjahr 1848 brach sie
mit erneuter Kraft hervor. Auch in der Presse trat er für den Traum seiner
Jugend, für "Kaiser und Reich," nachdrücklich in die Schranken, mir daß
sein Standpunkt zeitweise vielleicht dehnbarer als billig war, wie es bei einem
so vollendeten Idealisten nicht verwundern konnte. Doch unterwarf er sich bald
vorbehaltlos dem Dahlmannschen Programm mit dem preußischen Erbkaisertum.
Die gewaltige Persönlichkeit Dahlmanns, der die Jahre zwischen seiner Ver¬
treibung aus Göttingen und seiner Anstellung in Bonn fast ganz in Jena zu¬
gebracht und hier einen mächtigen Eindruck zurückgelassen hatte, wirkte auch
aus der Entfernung noch nach. Hase selbst hat die meisten seiner Altersgenossen
überlebt. So alt wie das Jahrhundert, wandelt er noch unter den Lebendigen
und erfreut sich des Ertrages und der Ehren eines wohl angewandten arbeit¬
samen Lebens.

In nahen Beziehungen zu Hase stand der Geheime Kirchenrat I. K. Eduard
Schwarz, den entfernter stehende oft mit dem bekannten freisinnigen Gothaer
Oberhofprediger Karl Schwarz verwechselt haben. Eduard Schwarz war Super¬
intendent und Oberpfarrer in Jena und Professor der praktischen Theologie.
Seine Freundschaft mit Hase beruhte auf der vollendeten Gegensätzlichkeit ihrer
Naturen. Unbedingt subjektiv gestimmt, nicht durchaus frei von Leidenschaft¬
lichkeit, vermochte es Schwarz nicht, eines leisen hierarchischen Anfluges völlig
Herr zu werden. Seine Hauptkraft lag in der unmittelbaren Wirksamkeit, vor
allem auf der Kanzel, wo er gern, was ihn gerade bewegte, brennende Tagesfragen
u. dergl. in packenden Worten zur Sprache brachte. Als Gelegenheitsredner


Lrinnorungen aus Alt-Jena.

aber, namentlich der erstere, in der Überlieferung noch vernehmlich fort. Dafür
hatte die Hochschule eine stattliche Anzahl gediegener, tüchtiger Gelehrten und
Lehrer aufzuweisen. Mit des verbreitetsten Rufes erfreute sich unzweifelhaft
der Kirchenhistoriker Karl Hase. Die Bekanntschaft mit diesem Manne gehört
zu den angenehmsten Erinnerungen, die ich aus Jena mitgenommen habe. Seine
Verdienste als Gelehrter und Lehrer sind längst anerkannt und gewürdigt.
Seine Persönlichkeit war von hinreißender Liebenswürdigkeit: er war die ver¬
körperte Humanität und von jeder Engherzigkeit frei. Duldsam nach allen
Seiten, wußte er gleichwohl seinen Standpunkt stets zu wahren. Angehenden
Kollegen kam er jederzeit aufs zuvorkommendste entgegen und förderte sie mit
Rat und That. Die wohlthuende Gastlichkeit seines Hauses — er lebte in
höchst bequemen Verhältnissen, wie sie jedem deutschen Professor zu wünschen
wären — wird jedem, der sie genoß, in dankbarem Gedächtnis geblieben sein.
Er war auch zugleich ein eifriger Politiker. Die Überlieferungen der alten
Burschenschaft und der Zeit ihrer Gründung fanden an ihm bekanntlich einen
echten Vertreter; er hatte für sie gelitten und zählte zu ihren Märtyrern. In
seinem Buche „Ideale und Irrtümer" hat er diesen Abschnitt seines Lebens
selbst in höchst lehrreicher Weise beschrieben. Die Begeisterung für das gute
Recht unsrer Väter hatte er sich fest bewahrt, und im Frühjahr 1848 brach sie
mit erneuter Kraft hervor. Auch in der Presse trat er für den Traum seiner
Jugend, für „Kaiser und Reich," nachdrücklich in die Schranken, mir daß
sein Standpunkt zeitweise vielleicht dehnbarer als billig war, wie es bei einem
so vollendeten Idealisten nicht verwundern konnte. Doch unterwarf er sich bald
vorbehaltlos dem Dahlmannschen Programm mit dem preußischen Erbkaisertum.
Die gewaltige Persönlichkeit Dahlmanns, der die Jahre zwischen seiner Ver¬
treibung aus Göttingen und seiner Anstellung in Bonn fast ganz in Jena zu¬
gebracht und hier einen mächtigen Eindruck zurückgelassen hatte, wirkte auch
aus der Entfernung noch nach. Hase selbst hat die meisten seiner Altersgenossen
überlebt. So alt wie das Jahrhundert, wandelt er noch unter den Lebendigen
und erfreut sich des Ertrages und der Ehren eines wohl angewandten arbeit¬
samen Lebens.

In nahen Beziehungen zu Hase stand der Geheime Kirchenrat I. K. Eduard
Schwarz, den entfernter stehende oft mit dem bekannten freisinnigen Gothaer
Oberhofprediger Karl Schwarz verwechselt haben. Eduard Schwarz war Super¬
intendent und Oberpfarrer in Jena und Professor der praktischen Theologie.
Seine Freundschaft mit Hase beruhte auf der vollendeten Gegensätzlichkeit ihrer
Naturen. Unbedingt subjektiv gestimmt, nicht durchaus frei von Leidenschaft¬
lichkeit, vermochte es Schwarz nicht, eines leisen hierarchischen Anfluges völlig
Herr zu werden. Seine Hauptkraft lag in der unmittelbaren Wirksamkeit, vor
allem auf der Kanzel, wo er gern, was ihn gerade bewegte, brennende Tagesfragen
u. dergl. in packenden Worten zur Sprache brachte. Als Gelegenheitsredner


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_289122/222>, abgerufen am 22.07.2024.