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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr.

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Lrnmerungen aus Alt-Jena.

auf dem Marktplatze plötzlich lebendig; die Jugend der Schulen versammelte
sich und zog unter der Führung ihrer Lehrer und unter der Begleitung eines
zahlreichen Gefolges Erwachsener auf eine der Höhen, die die Stadt umgeben.
Hier oben wurden stattliche Feuer angezündet, und Hunderte von Kehlen ver¬
einigten sich zu patriotischen Gesängen, die laut und herzerhebend die stille Nacht
durchtönten. Nach Beendigung der Feier zog die Jugend in geordneten Reihen
in die Stadt zurück, während die Erwachsenen sich in der nahen "Rasenmühle"
niederließen und bei einem frischen Trunke und zwangloser Plauderei sich in
ihrer guten Gesinnung bestärkten.

Ein günstigeres Vorzeichen meines Eintrittes in Jena hätte ich meiner
Denkungsweise gemäß gar nicht wünschen können. Nun aber galt es, mich auf
dem neuen Boden zurechtzufinden. Die nächste Umgebung von Jena ist oft
genug geschildert worden, sie verdient in ihrer Eigentümlichkeit das ihr ge¬
spendete Lob reichlich und vermag wohl einen Eindruck zu machen, der sich nicht
so leicht verwischt und auch vor einem strengen Richter besteht. Ich ging zu¬
nächst vor allem den Spuren nach, die von den großen Tagen unsrer klassischen
Epoche sich in Jena etwa erhalten hatten. Die Überlieferung erwies sich noch
kräftig genug; von lebenden mitwirkenden Zeugen derselben war jedoch so gut
wie nichts übrig geblieben. Frau Karoline von Wolzogen, Schillers Schwägerin
und als Schriftstellerin nicht unbewährt, die die letzten Jahre ihres Lebens
hier zugebracht hatte, war im Anfange des Jahres (1847) gestorben, und man
konnte mir höchstens das Haus bezeichnen, in welchem sie ihr Dasein beschlossen
hatte. Die Witwe des Majors von Knebel, des bekannten Freundes Goethes,
lebte noch -- sie war, glaube ich, in ihren jungen Tagen weimarische Kammer¬
sängerin gewesen -- und zeichnete sich durch eine gewisse harmlose Originalität
in ihrem Auftreten und ihrer Kleidung aus, wobei eine Art von Turban in
erster Reihe stand. Sie bewohnte jedoch nicht mehr das oft genannte Knebelsche
Gartenhaus, wo Goethe, wenn er zum Besuche nach Jena herüberkam, so
manche Stunden zugebracht hatte; dieses war vielmehr auf ihren Sohn über¬
gegangen. Ohne darnach gefragt zu haben, wurde ich gelegentlich auf die einst¬
malige Wohnstätte eines seit langem gänzlich verschollenen deutschen Dichters
aufmerksam gemacht, nämlich des Freiherrn I. M. von Sonnenberg, der sich
mit kühnem Anlaufe namentlich im Gebiete der Epik versucht hatte und in ver¬
zweifelter Aufregung in der Nacht des 22. November 1805 durch einen Sturz
aus dem Fenster seinen Tod gesucht und gefunden hat.

Doch kehren wir zu den Lebenden zurück. Bald hatte sich das Kontingent
der studirenden Jugend vervollständigt und hatten die Vorlesungen begonnen.
Es gehörte zu den Eigentümlichkeiten Jenas, daß ein wirkliches Universitäts¬
gebäude nicht vorhanden war. Was man so nannte, war das ehemalige
Pcmlinerkloster, welches u. a. die Aula, die Bibliothek, die nötigen Räumlich¬
keiten für die Verwaltung, die Sitzungen des Senats und der Fakultäten in


Lrnmerungen aus Alt-Jena.

auf dem Marktplatze plötzlich lebendig; die Jugend der Schulen versammelte
sich und zog unter der Führung ihrer Lehrer und unter der Begleitung eines
zahlreichen Gefolges Erwachsener auf eine der Höhen, die die Stadt umgeben.
Hier oben wurden stattliche Feuer angezündet, und Hunderte von Kehlen ver¬
einigten sich zu patriotischen Gesängen, die laut und herzerhebend die stille Nacht
durchtönten. Nach Beendigung der Feier zog die Jugend in geordneten Reihen
in die Stadt zurück, während die Erwachsenen sich in der nahen „Rasenmühle"
niederließen und bei einem frischen Trunke und zwangloser Plauderei sich in
ihrer guten Gesinnung bestärkten.

Ein günstigeres Vorzeichen meines Eintrittes in Jena hätte ich meiner
Denkungsweise gemäß gar nicht wünschen können. Nun aber galt es, mich auf
dem neuen Boden zurechtzufinden. Die nächste Umgebung von Jena ist oft
genug geschildert worden, sie verdient in ihrer Eigentümlichkeit das ihr ge¬
spendete Lob reichlich und vermag wohl einen Eindruck zu machen, der sich nicht
so leicht verwischt und auch vor einem strengen Richter besteht. Ich ging zu¬
nächst vor allem den Spuren nach, die von den großen Tagen unsrer klassischen
Epoche sich in Jena etwa erhalten hatten. Die Überlieferung erwies sich noch
kräftig genug; von lebenden mitwirkenden Zeugen derselben war jedoch so gut
wie nichts übrig geblieben. Frau Karoline von Wolzogen, Schillers Schwägerin
und als Schriftstellerin nicht unbewährt, die die letzten Jahre ihres Lebens
hier zugebracht hatte, war im Anfange des Jahres (1847) gestorben, und man
konnte mir höchstens das Haus bezeichnen, in welchem sie ihr Dasein beschlossen
hatte. Die Witwe des Majors von Knebel, des bekannten Freundes Goethes,
lebte noch — sie war, glaube ich, in ihren jungen Tagen weimarische Kammer¬
sängerin gewesen — und zeichnete sich durch eine gewisse harmlose Originalität
in ihrem Auftreten und ihrer Kleidung aus, wobei eine Art von Turban in
erster Reihe stand. Sie bewohnte jedoch nicht mehr das oft genannte Knebelsche
Gartenhaus, wo Goethe, wenn er zum Besuche nach Jena herüberkam, so
manche Stunden zugebracht hatte; dieses war vielmehr auf ihren Sohn über¬
gegangen. Ohne darnach gefragt zu haben, wurde ich gelegentlich auf die einst¬
malige Wohnstätte eines seit langem gänzlich verschollenen deutschen Dichters
aufmerksam gemacht, nämlich des Freiherrn I. M. von Sonnenberg, der sich
mit kühnem Anlaufe namentlich im Gebiete der Epik versucht hatte und in ver¬
zweifelter Aufregung in der Nacht des 22. November 1805 durch einen Sturz
aus dem Fenster seinen Tod gesucht und gefunden hat.

Doch kehren wir zu den Lebenden zurück. Bald hatte sich das Kontingent
der studirenden Jugend vervollständigt und hatten die Vorlesungen begonnen.
Es gehörte zu den Eigentümlichkeiten Jenas, daß ein wirkliches Universitäts¬
gebäude nicht vorhanden war. Was man so nannte, war das ehemalige
Pcmlinerkloster, welches u. a. die Aula, die Bibliothek, die nötigen Räumlich¬
keiten für die Verwaltung, die Sitzungen des Senats und der Fakultäten in


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[0219] Lrnmerungen aus Alt-Jena. auf dem Marktplatze plötzlich lebendig; die Jugend der Schulen versammelte sich und zog unter der Führung ihrer Lehrer und unter der Begleitung eines zahlreichen Gefolges Erwachsener auf eine der Höhen, die die Stadt umgeben. Hier oben wurden stattliche Feuer angezündet, und Hunderte von Kehlen ver¬ einigten sich zu patriotischen Gesängen, die laut und herzerhebend die stille Nacht durchtönten. Nach Beendigung der Feier zog die Jugend in geordneten Reihen in die Stadt zurück, während die Erwachsenen sich in der nahen „Rasenmühle" niederließen und bei einem frischen Trunke und zwangloser Plauderei sich in ihrer guten Gesinnung bestärkten. Ein günstigeres Vorzeichen meines Eintrittes in Jena hätte ich meiner Denkungsweise gemäß gar nicht wünschen können. Nun aber galt es, mich auf dem neuen Boden zurechtzufinden. Die nächste Umgebung von Jena ist oft genug geschildert worden, sie verdient in ihrer Eigentümlichkeit das ihr ge¬ spendete Lob reichlich und vermag wohl einen Eindruck zu machen, der sich nicht so leicht verwischt und auch vor einem strengen Richter besteht. Ich ging zu¬ nächst vor allem den Spuren nach, die von den großen Tagen unsrer klassischen Epoche sich in Jena etwa erhalten hatten. Die Überlieferung erwies sich noch kräftig genug; von lebenden mitwirkenden Zeugen derselben war jedoch so gut wie nichts übrig geblieben. Frau Karoline von Wolzogen, Schillers Schwägerin und als Schriftstellerin nicht unbewährt, die die letzten Jahre ihres Lebens hier zugebracht hatte, war im Anfange des Jahres (1847) gestorben, und man konnte mir höchstens das Haus bezeichnen, in welchem sie ihr Dasein beschlossen hatte. Die Witwe des Majors von Knebel, des bekannten Freundes Goethes, lebte noch — sie war, glaube ich, in ihren jungen Tagen weimarische Kammer¬ sängerin gewesen — und zeichnete sich durch eine gewisse harmlose Originalität in ihrem Auftreten und ihrer Kleidung aus, wobei eine Art von Turban in erster Reihe stand. Sie bewohnte jedoch nicht mehr das oft genannte Knebelsche Gartenhaus, wo Goethe, wenn er zum Besuche nach Jena herüberkam, so manche Stunden zugebracht hatte; dieses war vielmehr auf ihren Sohn über¬ gegangen. Ohne darnach gefragt zu haben, wurde ich gelegentlich auf die einst¬ malige Wohnstätte eines seit langem gänzlich verschollenen deutschen Dichters aufmerksam gemacht, nämlich des Freiherrn I. M. von Sonnenberg, der sich mit kühnem Anlaufe namentlich im Gebiete der Epik versucht hatte und in ver¬ zweifelter Aufregung in der Nacht des 22. November 1805 durch einen Sturz aus dem Fenster seinen Tod gesucht und gefunden hat. Doch kehren wir zu den Lebenden zurück. Bald hatte sich das Kontingent der studirenden Jugend vervollständigt und hatten die Vorlesungen begonnen. Es gehörte zu den Eigentümlichkeiten Jenas, daß ein wirkliches Universitäts¬ gebäude nicht vorhanden war. Was man so nannte, war das ehemalige Pcmlinerkloster, welches u. a. die Aula, die Bibliothek, die nötigen Räumlich¬ keiten für die Verwaltung, die Sitzungen des Senats und der Fakultäten in

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_289122/219>, abgerufen am 22.07.2024.